Tichys Einblick
Nine Eleven

Ausgerechnet zum Fest der Liebe fing der große Terror an

Legenden, Verschwörungen, Fantasien. Auch 16 Jahre später ist der 11. September für jede Spekulation gut. Zeit also, dem Datum auf den Grund zu gehen. Wie der Terror von Afghanistan in den Westen kam.

Afghanistan's president Mohammed Najibullah (C) reviews 17 October 1986, along with Red Army and Afghan soldiers in downtown Kabul Soviet army soldiers marching during a military parade. The Soviet Union invaded Afghanistan in December 1979 to shore up the pro-Soviet regime in Kabul and maintained more than 100,000 troops in the country until completing their phased withdrawal in 1989. Najibullah who became president in 1986, was hanged in a street 27 September 1996 near the UN compound in Kabul where he had sought sanctuary since April 1992 when mujahedeen guerrillas entered Afghan capital.

© Daniel Janin/AFP/Getty Images

Kommunisten war Weihnachten noch nie heilig und so wunderte sich Kommandeur Michail Romanov in seiner Moskauer Wohnung auch nicht besonders, als im Dezember 1979 das Diensttelefon am Abend vor dem Festtag klingelt und sich sein Vorgesetzter aus dem Kreml am anderen Ende der Leitung meldet.

Noch zwanzig Jahre später, am Rande eines Kameradentreffens, kann er sich vor einer Kamera der BBC genau an das Gespräch erinnern. Es ist der Beginn eines Einsatzes der die Welt für immer verändern sollte, die Geburtsstunde des ‚Afghanistankonfliktes‘:

„Mein Vorgesetzter fragte mich: Bist du bereit Mutterland und Partei zu dienen? Ich sagte: Natürlich.“

Dafür sind er und seine Männer von der geheimen KGB-Elitetruppe Spednarz schließlich ausgebildet.

„Danach kam er persönlich zu mir nach Hause und gab mir die Befehle. Ich wurde Kommandeur einer Spezialeinheit, die ich führen sollte. Er sagte: ‚Stell eine Gruppe zusammen, richtige Kämpfer, Patrioten, aber nur Freiwillige.‘ Ich fragte ihn, wo und gegen wen wir kämpfen. Er sagte nur: ‚Das erfährst du später. Ich kann dir auch keine Details geben, ich habe keine. Wir können das alles nicht vorhersehen.'“

Am nächsten Tag, den 24. Dezember 1979, fährt seine Gruppe in voller Kampfmontur auf einen Flughafen außerhalb Moskaus.

„Ich wusste nicht wo es hingeht. Wir flogen bei Nacht ab und kamen in der Nacht an. Was mich überraschte war, dass es keine Beleuchtung auf der Landebahn gab. Wir konnten die Piste nicht mal sehen. Wie konnte der Pilot die Maschine nur so landen?“

Weil er zu den besten Piloten des Landes gehört. Und die beste Maschine fliegt:

„Wir hatten die Privatmaschine von Juri Andropow, dem KGB Chef.“

Aber trotzdem:

„Es war, als wenn wir direkt von einem der hohen Berge ringsherum abgestürzt wären.“

Erst nach der glücklichen Landung erfahren er und seine Kameraden wo sie sind:

„In Kabul, der Hauptstadt von Afghanistan.“

Dort regiert damals gerade Hafizullah Amin, eigentlich ein treuer Freund Moskaus. Aber der Kreml hat mit ihm gebrochen, jetzt soll er weg und durch einen neuen Mann ersetzt werden. Ein paar moskautreue Russen in seiner engsten Umgebung mischen ihm so schon seit Tagen Gift ins Essen, um ihn zu schwächen. Am Heiligabend 1979 liegt er deshalb im Bett. Vadim Kirpichenko, der Mann des KGB bei der Aktion, erinnert sich:

„Ich sah schon kurz nach der Ankunft, dass der einzige Weg Amin zu bekommen die Erstürmung seines Palastes war.“

Der aber steht auf einem Berg.

„Ich bildete zwei Gruppen: Alpha und Zenit.“

Eine führt Michail Romanov, der in die Runde fragt:

„Hat einer von euch jemals in einem Zirkus gearbeitet?“

„Nein. Warum?“

„Weil der Weg zum Palast nur über Serpentinen führt. Und das im Dunkeln. Ihr werdet wie richtige Trapezkünstler agieren müssen.“

Für einen Außenstehenden wirkt es wie eine ‚Mission Impossible‘, zumal der Palast von 300 sowjettrainierten Afghanen bewacht wird. Die sollen die gerade mal 15 Spednarz-Männer zuerst ausschalten. Dann Amin. Michail Romanov:

„Um 19.15 Uhr fuhren wie in zwei Einheiten die steilen Serpentinen hoch und eröffneten das Feuer. Niemand von uns war je in einem wirklichen Krieg. Es war beängstigend. Ich erinnere mich, wir stiegen aus und ich sah sie aus jedem Fenster auf uns schießen. Entfernung vielleicht 30-40 Meter. Ich dachte nur: Oh Misst.“

Aber die jahrelange Ausbildung macht sich bezahlt. Sie nehmen die Festung ein:

„Im Palast eingedrungen hörten wir seine Frau schreien: ‚Amin, Amin!‘ Er versuchte gerade vor uns wegzurennen, zum Fahrstuhl. Er sah krank aus und war nur halb angezogen.“

Er wird von seinen Männern auf der Stelle erschossen. Zusammen mit seiner Frau und dem 9-jährigen Sohn. Kommandeur Romanov:

„Auf meinen Befehl hin wurden die Körper in einen Teppich gerollt. Wir übergaben sie am nächsten Tag der neuen Regierung.“

Die wird angeführt von Babrak Karmal, Moskaus neuem Mann in Afghanistan. Unter ihm soll das Land endlich das nächste kommunistische Land auf Erden werden und die Rote Armee soll dafür sorgen.

In den Massenmedien der kommunistischen Welt steht danach zu lesen, dass der Einmarsch der Sowjetunion in ihr Nachbarland kein Einmarsch, sondern ein ‚Akt zur Erhaltung des Internationalen Friedens‘ ist.

Die Länder der westlichen und der islamischen Welt dagegen verurteilen den Überfall und boykottieren als Protest im Sommer 1980 die Olympischen Spiele in Moskau. Ohne das die Russen sich deshalb aus dem Land zurückziehen. Danach verstärkt der Westen den Druck auf Moskau. Denn der amtierende Präsident der USA, Ronald Reagan, ist von Anfang an auf der Seite der afghanischen Widerstandskämpfer.

Zu denen gehört schon damals der Mann, der dem 11. September sein Gesicht geben wird. Geboren am 10. März 1957 in Riad, der Hauptstadt des Königreiches Saudi-Arabien, als siebzehntes von circa 57 Kindern, die Vater Muhammad mit seinen zehn Frauen gezeugt hat.

Muhammad ist ein jemenitischer Baumagnat und enger Freund des ehemaligen saudischen Königs Faisal. Mit Renovierungs- und Erweiterungsaufträgen für die heiligen Moscheen von Mekka und Medina, mit Bauaufträgen für Schulen, Hospitäler und Straßen ist er über die Jahre märchenhaft reich geworden und so verbringt auch sein Sohn‚ Osama bin Mohammad bin Laden einen großen Teil seiner Kindheit mit Dienern und Kindermädchen in luxuriösen Villen in Djidda, einem Nobelbadeort am Roten Meer.

Nach seinem Schulabschluss besucht er 1973, im Alter von 16 Jahren, zum ersten Mal Beirut, das damals wegen seines Nachtlebens als ‚Paris des Nahen Ostens‘ gilt. Die arabische Schickeria feiert hier ganz ohne die strengen Regeln des Islam. Die gelten in den Bars und Kasinos der Stadt am Mittelmeer nicht, deshalb ist Beirut der ideale Platz für ein junges Playboyleben mit vollen Taschen. Ein Bekannter aus der Zeit:

„Wenn jemand Osamas komplizierten Namen nicht richtig aussprechen konnte, meinte er immer: Nenn mich einfach Sammy!“

Trotz seiner hohen Fistelstimme kommt er bei den Frauen gut an:

„Nicht nur bei den Prostituierten. Er sah attraktiv aus, hatte eine schlanke Figur, und seine Augen hatten einen geheimnisvollen Charme.“

Den versprühen sie 1977 erstmals auch in Europa. Gerade 19 Jahre alt taucht er mit einigen seiner Brüder mehrmals im spanischen Prominenten-Badeort Marbella auf. Der Vater ist inzwischen gestorben. Allein Osama hat 80 Millionen Dollar geerbt. Ein Angestellter der damaligen In-Diskothek ‚Regine’s‘, sagt später in der spanischen Zeitung Diario Sur:

„Ich erinnere mich gut daran, dass sie noch mehr Geld ausgaben als die Ölscheichs. Deshalb nannten wir sie auch ‚Scheichs‘, obwohl wir wussten, dass sie gar keine waren.“

Sondern Söhne eines Milliardenschweren Bauunternehmers, dessen Firma Osamas Brüder weiterführen.

Er selbst heiratet lieber eine entfernte Verwandte und schreibt sich mit 23 Jahren in Djidda an der renommierten König-Abdulaziz-Universität ein, um Wirtschaftswissenschaften, Betriebsmanagement und Bauingenieur-Wesen zu studieren. Damit würde er seinem Vater folgen und wäre heute so reich wie er.

Stattdessen ist er heute so tot wie er. Denn an der Universität lernt Osama einen ganz anderen Mann kennen. Und folgen. Abdullah Yusuf Azzam, ein jordanischer Palästinenser, der schon damals den ‚Heiligen Krieg gegen alle Ungläubigen‘ predigt und der Einmarsch der kommunistischen Sowjetunion in das moslemische Afghanistan ist für ihn das Zeichen, endlich damit zu beginnen.

Osama ist von der Idee sofort begeistert und so wird der Einmarsch der Kommunisten in Afghanistan der Anfang seiner Karriere vom Playboy zum Terroristen. Zusammen gehen die Beiden 1980 nach Pakistan.

Kaum angekommen eröffnet Azzam in den Räumen der Muslimbruderschaft in Peschawar, nahe der afghanischen Grenze, ein Meldebüro für den ‚Jihad‘, den ‚Heiligen Krieg gegen die gottlosen Kommunisten‘. Mit dem jungen Osama als einem der Anführer:

„Um diese sowjetischen Atheisten zu kontern, wählten mich die Saudi-Araber zu ihrem Vertreter in Afghanistan. Ich ließ mich deshalb in Pakistan nieder. Dort empfing ich Freiwillige aus dem Königreich Saudi-Arabien und aus arabischen und muslimischen Ländern.“

Die alle gekommen sind, um im Heiligen Krieg mitzukämpfen und zu sterben. Als Märtyrer im Namen Allahs. Dieser Glaube vereint Moro-Rebellen von den Philippinen, Usbeken aus Zentralasien, Araber aus Algerien, Ägypten, Saudi-Arabien, Kuwait und die Uiguren aus Chinas Xinjiang-Provinz.

Aus ihnen formt Osama die legendären ‚Arab-Afghanen‘, die zeitweilig an die 35.000 Mann stark sind und als Teil der afghanischen ‚Mujaheddin‘ gegen die Rote Armee kämpfen. Am Anfang noch mit Handfeuerwaffen, aber seit Washington die Widerstandskämpfer auch materiell unterstützt, haben sie Stinger-Raketen, die aus dem Arm abgeschossen werden können und sogar Hubschrauber vom Himmel holen.

So lernt auch Osama schnell den Umgang mit modernen Waffen und wie man sie am effektivsten einsetzt. Dabei entwickelt er zum ersten Mal seine ‚Theorie der Tausend kleinen Stiche‘, um maximalen Erfolg im Heiligen Krieg gegen die ungläubigen Kommunisten zu haben.

Die bereuen zu der Zeit längst, dass sie in Afghanistan einmarschiert sind. Die Bilanz der letzten fünf Jahre sind allein 200.000 Tote unter den Zivilisten, circa zwei Millionen Flüchtlinge und eine zerstörte Infrastruktur, die zum Krieg führen so wenig taugt wie die zerklüftete Bergwelt, in die sich die Muhajeddin immer wieder zurückziehen. Die sieggewohnte Rote Armee erleidet eine Niederlage nach der anderen.

Bis 1985 in Moskau ein Mann über Nacht an die Macht kommt, der den Afghanistankrieg so schnell wie möglich beenden will: Michail Gorbatschow. Im Zuge seiner ‚Perestroika‘ tauscht er Babrak Karmal gegen Mohammed Nadschibullah aus.

Der versucht durch zwei Regierungsumbildungen eine breitere Regierungsbasis zu schaffen. Oppositionsparteien werden wieder zugelassen, die kommunistischen Reformen aufgehoben und die Bereitschaft, die Macht mit der Islamischen Opposition zu teilen, wird signalisiert. Aber, die Mujaheddin lehnt ab:

„Wir verhandeln nicht mit Marionetten.“

So geht der Krieg geht weiter.

Damit die Kämpfer dafür nicht aussterben, beginnt Osama 1986, im Alter von 29 Jahren, mit seinen Arab-Afghanen eigene Lager in Afghanistan aufzubauen. In denen wird der Heilige Krieg nicht mehr nur trainiert, sondern auch gelehrt

Mit dem Koran im Kopf und der Maschinenpistole in der Hand gründen er und seine fanatischsten Glaubensbrüder 1988 dann die Urzelle des heutigen Terrors: „Al-Qaida“, auf Deutsch „der Weg“.

An dessen Anfang schon ein Endsieg steht. Als die ruhmreiche Rote Armee nach zehn ruhmlosen Jahren 1989 aus Afghanistan abzieht. Nicht geschlagen, aber zermürbt. Die zehn Jahre Krieg haben ihr und der ganzen Sowjetunion den Rest gegeben, die Kosten gehen in die Milliarden.

Ein Jahr später ist die einstige Supermacht Geschichte. Als letzter Kommunist macht Michail Gorbatschow im Dezember 1990 im Kreml das Licht aus. Auch Dank Osama, wie der gerne sagte:

„Wir haben die Sowjetunion in Afghanistan beerdigt.“

Und damit das Zeitalter des Kommunismus. Das Osama bin Laden und seine Kämpfer überhaupt erst auf den Weg gebracht hatte. Ohne den Einfall der Russen in ihr muslimisches Nachbarland wäre der Playboy nicht in den Heiligen Krieg gezogen. Und ohne die Amerikaner hätte er ihn nicht gewonnen.

Die hätten dafür eigentlich Blumen verdient. Aber der Sieg über die rote Großmacht war für Bin Laden und seine Anhänger erst der Anfang im Krieg gegen alle Ungläubigen. Und der Beweis, dass man ihn gewinnen kann. Man muss „den Weg“ nur immer weitergehen, dann wird es kommen, das Reich Allahs auf Erden.

So folgte dem Zeitalter der Kommunisten das Zeitalter der Islamisten. Eröffnet live und in Farbe, als Osama Bin Laden statt Blumen drei lebende Bomben als Dankeschön an seine ehemaligen Waffenbrüder schickte. Seitdem ist der 11. September der bekannteste Tag der Welt, ein Datum für die Ewigkeit, nie mehr zu vergessen, nur noch zu erinnern: Ausgerechnet zum Fest der Liebe fing der große Terror an.

Torsten Preuß ist freier Publizist.

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