Tichys Einblick
Eine raffinierte Merkelstimme

Aufstand der Giganten gegen Merkel

Hans-Erich Bilges warnt Christian Lindner vor dem Schicksal seines Vorgängers Rösler. Der machte sich auf beinahe kindliche Weise in einer Talkshow über Merkel lustig - dann war bald Schluss mit lustig – für Rösler.

© Getty Images

Für CDU-Chefin Angela Merkel wird es jetzt brenzlig: Publizistische Hellseher und politische Kleinstrategen aus den Kellergewölben ihrer Partei ohne Einfluss und Reputation haben ihr den Fehdehandschuh hingeworfen:

Über die erbittert Anti-Merkel-positionierte Neue Zürcher Zeitung können sogar nachweisbar falsche Behauptungen transportiert werden, Angela Merkel sei früher in der DDR FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda gewesen, obwohl nachweisbar (!) aus Stasi-Akten hervorgeht und Autoren dies wissen, das Merkel genau dies abgelehnt hat, sondern im Bereich „Kunst und Kultur“ kurzzeitig mitwirkte. Aber was gedruckt und gesprochen ist, zieht dann erst einmal Kreise …

An der publizistischen Anti-Merkel-Front ist ein ganz spezieller Text-Titan und zugleich Hellseher unterwegs: Die nun folgenden Aussagen sind keineswegs verunglückte Bewerbungstexte für die ZDF-“heute Show“, sondern sind eine konsequente Bereitschaft zur Selbst-Blamage.

Der eigenen Angaben zufolge „Publizist und Verleger“ und Talkshow-Dauergast Wolfram Weimer brachte das Kunststück fertig, einen ganz formidablen Kandidaten für die Merkel-Nachfolge zu präferieren: Am 10. Oktober orakelte es über Merkel-Nachfolger: „Es kommen daher vier Kandidaten ernsthaft in Frage: Volker Bouffier, Julia Klöckner, Jens Spahn und Stanislav Tillich“. Eine Großvision. Pech freilich, das Tillich kurz darauf das Amt als Ministerpräsident in Sachsen quittierte. Er hatte krachend die Bundestagswahl in seinem Bundesland verloren und war unter die AfD gesackt – Der legendäre und wirklich kluge, langjährige CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf über Tillich v o r Tillichs Rücktritt: „Er kann’s nicht; er hat es nicht gelernt, er ist unfähig“. Biedenkopf wird sich wohl bei Weimer rechtfertigen müssen, weshalb er anderer Meinung als Weimer war ….

Unenttäuschbar
Jamaika nützt nur Merkel
So und so ähnlich geht das politische und publizistische Marionettentheater nunmehr Tag für Tag weiter. Man kann das Ganze auch lustig betrachten. Weiteres von Talkshow-Dauergast Weimer. In Kolumnen entdeckte er stets, ohne je einen konkreten Namen zu präsentieren, irgendwelche Partei-Anonymusse gegen Merkel, wohl aber „sagt ein Spitzenpolitiker“ der CDU, „heißt es aus der Fraktion“ oder „in der Union reift der Wunsch“, es möge ein neuer Parteivorsitzender ran; das sei so „aus Sicht von immer mehr Abgeordneten“ und „von dort kommt Widerstand“. Es würden „im politischen Berlin“ Gespräche geführt, wer denn die CDU besser führen könne – und dazu passt dann Weimers exklusive Entdeckung von Stanislav Tillich als Merkel-Nachfolger.

Weimer kann aber auch ganz anders und entdeckte auf wundersame Weise eine ganz tolle Angela Merkel: Fünf Tage vor der Bundestagswahl am 19. September zeigte sich Weimer als Hellseher: „Angela Merkel wird die Bundestagswahl am Sonntag klar gewinnen. Und sie dürfte sich sogar die Koalition auswählen können. Damit steigt Angela Merkel zu einer Großfigur der Deutschen Geschichte auf“.
Weiter: Merkel sei „die besonnene Anführerin des liberalen Westens, die mächtigste Frau der Welt und eine friedensorientierte Weltpolitikerin, die Deutschlands Reputation guttut“.

Jamaika kriegt's nicht leicht
Aufgalopp im Bundestag
Ebenfalls am 19. September schrieb er: „Seehofer wird Merkel mit Joachim Herrmann einen Bundesinnenminister zur Seite stellen … Und Seehofer wird ein drittes Schwergewicht (vielleicht sogar Karl-Theodor zu Guttenberg) nach Berlin schicken“. Dumm nur, das Herrmann es nicht mal in den Bundestag schaffte, zu Guttenberg klar und deutlich gesagt hat, dass er keineswegs nach Berlin zurückkehrt; und die CSU Führung dies inzwischen bestätigt. Die Frage ist nur, ob Weimer sich diese gänzlich andere Meinung von zu Guttenberg und der CSU gefallen lässt und Herrman sich gefälligst in den Bundestag zu begeben hat – irgendwie.

Eine visionäre starke Gestalt sieht Weimer auch in US-Präsident Trump. Im Januar verkündete Weimer, „warum Trump positiv überraschen könnte“. „Man übersieht zu weilen das Potential von Trump“. Weimers Scharfsicht:

Und weiter geht’s: „Das angekündigte US-Konjunkturprogramm dürfte die gesamte Weltwirtschaft beflügeln. Es kann dabei hilfreich sein, das Trump weder Berufspolitiker ist noch zum Establishment gehört …“ Die Kolumne endet mit dem Satz: „Manchmal halten gerade die Narren der Macht den schärfsten Spiegel vor“. Die Frage ist, wen sieht der Publizist und Verleger Weimer, wenn er in den Spiegel schaut …

Eine Woche nach diesem Artikel, am 24. Januar 2017, entdeckte Weimer eine weitere Lichtgestalt der internationalen Weltpolitik: „Theresa May findet plötzlich eine neue Führungsrolle: “Fortan wird Theresa May auf der weltpolitischen Bühne ganz oben stehen … Wenn sich Spanier oder Norweger fragen, wie es mit der NATO weitergeht oder mit der Ukraine oder Syrien-Krise, und was Europas Position dazu ist, dann werden sie erst einmal in London nachfragen und hernach vielleicht Berlin hören. Die Achse Trumpf-May schafft realpolitisch neue Fakten“.

Macht zehrt
Frau Merkel, treten Sie zurück. Es wäre besser.
Zum Brexit kommt Weimer richtig auf Touren: „Für May steht nach dem Brexit ein ganz großer Handelsdeal mit den USA ganz oben auf der Agenda … Mittlerweile dämmert es in Brüssel, das London mit seiner neuen Autonomie eng an die USA heranrückt und EU nicht mehr braucht als die umgekehrt die EU Großbritannien … Großbritannien kann der EU mächtig Druck machen … Kurzum: May hat sich emanzipiert, amerikanisiert und einen Brexitweg gefunden … Trump und May werden die neue Allianz inszenatorisch stärken. Ihre Botschaft: Trump und May bilden auch eine zeitgeistige Achse, sind Teil eines historischen Megatrends … May wird fortan als Gestalterin einer neo-konservativen Zeitenwende wahrgenommen … May findet ihre Rolle als „Ärztin“ des Westens, die von Merkel als Krankenschwester der Globalisierung verliert ihren Einfluss …”

Es geht drunter und drüber, geht es um Angela Merkel. Originalsätze Weimer: „Plötzlich wirkt Merkel stark wie nie … Das ist das eigentliche Geheimnis ihrer Politik … Protestantin protestiert gegen Trump und wächst damit automatisch in die große Rolle der Reformatorin. Seit dieser Woche feiert die westliche Presse Angela Merkel jedenfalls als Anführerin des liberalen Westens … Diese Weltenretterrolle lässt ihren innenpolitischen Herausforderer ganz nebenbei wie einen altmodischen Provinzmeckerer wirken … Und wo mit jeder Woche das weltpolitische Klima eisiger wurde, scharrte sich Deutschland und Europa instinktiv um die erfahrene „Mutterfigur“. Mehr noch: Angela Merkel steckt jede Attacke und Beleidigung mit der robusten Grundruhe einer deutschen Eiche unsichtbar weg. So zieht Merkel die großen Fäden der Weltpolitik Stück für Stück an sich, wie dies unter den Kanzlern nur Helmut Kohl geschafft hat“.

Untertanen sind wechselphob
24 Variationen über ein Thema von Angela Merkel
Um in TV-Talkshows zu kommen, reichen einige hanebüchene Unsinn-Sätze; darüber lässt sich dann prima palavern. Wenn etwa der Millionenerbe Jakob Augstein alternative Fakten entdeckt: „Die Wirtschaft wächst nicht mehr so wie früher“ (Anmerkung: Gerade wurde das Wirtschaftswachstum für 2018 von wirklichen Fachwissenschaftlern signifikant nach oben gehoben); die Wirtschaft brummt wie nie, und die Deutschen sich weiter durchaus wohlfühlen in diesem Land, verzweifelt der Multimillionär und Rächer der Armen im SPIEGEL: „Letzte Möglichkeit: Die Deutschen sind einfach gehirngewaschene Schwachmaten, die sich alles gefallen lassen …“ Und weiter: „Die Volkswirtschaft hat sich vom Volk abgekoppelt … Wer also sagt, dass es uns gutgehe, der lügt. Aber nicht nur das. Er legt auch Zeugnis über seine eigene Fantasielosigkeit ab“. Mit Augstein hingegen geht die Fantasie verlässlich immer durch.

Seit kurzem taucht ein weiterer Spezialist gegen Merkel auf der Bühne auf: FDP-Chef Christian Lindner. Selbst der merkelkritische renommierte Berliner Tagesspiegel schrieb über ihn: „In beinahe täglichen Interviews diskreditiert er einmal das Finanzministerium als Unterabteilung des Kanzleramtes, das man der CDU nicht überlassen dürfe. Ein anderes Mal gibt er der Kanzlerin Ratschläge, wie sie ihre Nachfolge organisieren sollte, attestiert Angela Merkel sogar einen deutlich spürbaren Autoritätsverlust. Zwischendurch erhebt Lindner mit der Abschaffung des Soli Koalitionsbedingungen, wirbt in Tweets um Verständnis für die Verweigerung der FDP an Koalitionsbeteiligungen in Berlin und Niedersachsen. Wie soll so Vertrauen in die Sondierung entstehen“?

Merkel schweigt natürlich zu alldem; und Lindner sollte das Schicksal seines Vorgängers Rösler Warnung sein. Der machte sich auf beinahe kindliche Weise in einer Talkshow über Merkel lustig – dann war bald Schluss mit lustig – für Rösler.


Hans-Erich Bilges war Korrespondent der WELT in Berlin und Bonn, 16 Jahre lang in der Chefredaktion von BILD und ist heute Chef eines Beratungsunternehmens für Politik, Wirtschaft und Kommunikation.

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