Tichys Einblick
Konservative Hülle ohne Inhalt:

Anstehende Wahlen in UK: Das Ergebnis wird eine Neuauflage von New Labour sein

New Labour 2.0 bedeutet noch mehr woke Ideologie, weiteren Linksdrall des BBC, der Kulturindustrie und Universitätslandschaft, ungebremste Masseneinwanderung und Planlosigkeit in Sachen Wirtschaft. Zwar hat man die Bürde der EU-Mitgliedschaft abgeschüttelt, die dadurch erlangte politische Freiheit gilt es aber auch zu nützen. Georg Menz

IMAGO

Der Paukenschlag erfolgte im strömenden Londoner Regen: Begossen wie ein Pudel verkündete der erfolgslose Premier Britanniens Rishi Sunak vorgezogene Wahlen zum Unterhaus am 4. Juli. Ausgerechnet am US-amerikanischen Unabhängigkeitstag also sollen die Briten zum ersten Mal seit der Corona-Ära und der damaligen Patzer und staatlicher Übergriffigkeit und dem glücklosen Truss-Intermezzo wieder an die Urnen. Die Prognosen sind düster: Während im Rest Europas angesichts von Energiekrise, Masseneinwanderung, moslemischem Terror, NATO-Säbelrasselei und anhaltender Inflation eher der politischen Rechten zugetraut wird, mit den Krisen umzugehen, steht es auf der Insel anders. Gelang es dem charmanten Schlitzohr Johnson noch über 50 Prozent der Wahlberechtigten von einem moderaten Konservatismus zu überzeugen, darunter viele traditionelle Anhänger der Arbeiterpartei im verarmten Norden Englands, so liegt diese in den Umfragen derzeit mit satt 20 Prozent in Führung.

Woran liegt’s? An der charmelosen Gestalt des indischstämmigen Sunaks allein lässt sich das katastrophale Absacken wohl nicht allein festmachen. Gewiss: Der einstige Goldman-Sachs-Bankier wirkt weder mit Britannien verwachsen noch in irgendeiner Weise kompetent, eine Volkswirtschaft von G8-Größe zu verwalten: ein lustloser Globalist mit arroganter Attitüde, der noch dann neureich wirkt, wenn er (volksnah?) mit löchrigen Schuhen fotografiert wird. Auch als Finanzminister unter Premier Johnson war der Ex-Bankier schlicht überfordert: Außer ein paar temporären Maßnahmen wie der Absenkung der Grunderwerbssteuer, um den Immobilienmarkt zu stabilisieren, hatte er schlicht wenig zu bieten. Und sicher: Hier kommt einiges zusammen, so die aufgestaute Wut über Johnsons Lügen, mit denen er die Partys im Regierungssitz vertuschen wollte, während der Rest des Landes unter Lockdown litt und die Polizei Spaziergänger anhielt, die ihren Tee nicht im Gehen, sondern im Sitzen aus ihren Pappbechern trinken wollten. Oder aber: ein fast coup-artiges Budget der Truss-Regierung, die in Anlehnung an die längst überholte Laffe-Kurve mal eben die Spitzensteuersätze reduzieren wollte – ohne Auskunft, wie das denn nun gegenzufinanzieren wäre.

Im Zeitalter der Emotionen und Gefühle in der Politik ist das Wohlgefühl in Britannien zurzeit stark eingeschränkt: Das aus Norwegen eingeführte Gas und Erdöl ist seit dem Ukraine-Krieg im Preis stark gestiegen, der Brexit hat zu neuen Zollschranken auf die aus dem Festland und Irland importierten Lebensmittel geführt und auch an der Threadneedle Street hat die Bank von England die Gelddruckerei der Frankfurter und Washingtoner Kollegen imitiert. Die Gehälter stagnieren, die Immobilienpreise steigen von Unverschämt auf Unmöglich und die Regierung meint immer noch, statt die Einwanderung endlich zu reduzieren, diese sogar noch auf Rekordzahlen von fast 800.000 im Jahr 2023 anschwellen zu lassen.

Fast so schlimm wie die desaströse Ampelei in Deutschland also? Nicht ganz und die Gemengelange ist nicht identisch. Ließ sich die Cameron-Regierung noch klar rechts der Mitte verorten, mit Maßnahmen, die tatsächlich eine behutsame Modernisierung in Sachen Soziales und Umwelt beinhalteten, wenn auch die Haushaltskonsolidisierung nicht jedermann schmeckte, so war spätestens unter Johnson keine klare Linie mehr erkennbar. Was genau konserviert oder bewahrt denn die britische Konservative Partei noch? Was genau soll der mittige „one nation“-Konservatismus konkret heute, nicht im Rückgriff auf die Nachkriegsära, beinhalten? Und damit sind wir bei des Pudels Kern, der sich mutandis mutatis auch auf die nach wie vor vermerkelte CDU unter Merz erkennen lässt: Ohne Werte und Inhalte bleibt die politische Rechte farblos und letztlich ohne Ausstrahlung. Auch in Deutschland dürfte die CDU eher von der katastrophalen Bilanz der Ampel profitieren als von den eigenen Konturen. Und wer ernsthaft mit den Grünen herumkumpeln und -kuppeln will, hat offenbar wenig verstanden und keinen ernstzunehmenden politischen Kompass mehr.

In Britannien kann man dieses Problem anschaulich studieren: Ein kosmopolitischer und telegener Unterhalter wie Johnson hat zwar eine gewisse Ausstrahlung, und zwar nicht nur innerhalb der ihm eigenen britischen Oberschicht und im Großraum London. Letztlich war der Mann ein Liberaler, der sich aber politisch kaum festnageln ließ, und vor allem wegen seiner konsequenten Haltung, den überfälligen Auszug aus der übergriffigen und undemokratischen Europäischen Union endlich umzusetzen, gewählt wurde. Doch ansonsten blieb unklar, was denn nun genau den Kern der Konservativen Partei ausmachte. Ein endgültiger Abschied vom Thatcherismus, der ja unter völlig anderen Umständen das Abgleiten Britanniens in einen dysfunktionalen Staatssozialismus verhindern wollte, ist anzuraten.

Nur: Das sollte weder staatliche Re-Regulierung beinhalten noch kann eine solche Kurskorrektur dem Sachzwang der hohen Staatsverschuldung bei steigenden Renten- und Gesundheitswesensausgaben ganz entkommen. Glaubhaft eine solche mittige Wirtschafts- und Sozialpolitik auszuformulieren, hätte bedeutet, dem blassen Blairschen Technokraten Starmer von der Arbeiterpartei Paroli zu bieten. Denn letztlich wird dieser das Land auf die New Labour-Linie zurückführen wollen. Die linkere Ausrichtung unter Milliband und Corbyn haben der Partei schlicht nichts eingebracht und die harte britische Linke, mit der Labour damals flirtete, ist mindestens genauso brandgefährlich und realitätsbefreit wie Anfang der 80er Jahre.

In Sachen Wirtschaft also Richtung Mitte abbiegen, in anderen Dingen aber klare Kante nach links zeigen? Es gibt viel, was dafür spricht. Außerhalb der Uni-Städte und Londons lässt sich wenig flächendeckende Sympathie für die woke und neomarxistische Ausrichtung der Linken erkennen: ob Dragqueens in Kindergärten, die lachhafte Behauptung von den 52 Geschlechtern und Sexualpräferenzen, Schuldkult rund um die lange vergangene Kolonialherrschaft oder der Übernahme von Textbausteinen zum Thema Rassenbeziehungen aus den Vereinigten Staaten. Hier könnte, sollte, müsste die britische (und die deutsche!) Rechte dagegenhalten. Wer es nicht tut, bewahrt nichts.

Und dann wäre da noch das Reizthema Einwanderung. Wer das Wahlvolk schlicht belügt, wie die Konservativen aus dem Königreich, der hat sich die Verbannung in die Opposition verdient. Die Tories gaben in den 10er Jahren das Planziel von unter 100.000 Immigranten pro Jahr aus. Das ist immer noch viel zu hoch für eine dichtbesiedelte Insel: Besser wäre Planziel Null mit Signalwirkung für den Rest Europas. Beides war fairerweise ob der Arbeitnehmerfreizügigkeit im EU-Binnenmarkt nicht realistisch. Aber der Brexit bot und bietet die Chance zur Neuausrichtung: KI und Automatisierung statt dem Import von Billigarbeitern aus Polen oder dem Commonwealth. Eine Neuauflage der Ausbildungen im Handwerksbereich und niedrigere Studiengebühren könnten den Bedarf an qualifizierteren Fachkräften abdecken. Mit Steueranreizen ließe sich an der Geburtenrate drehen.

Schengen und Dublin waren nie unterschrieben, hier hätte man also auch in Sachen Asyl eine härtere Gangart umsetzen können nebst Abschiebungen vor Kameras statt spätabends und verschämt. Allein: Die Konservativen drehten den Regler nach oben. Sunak schien es sich weder mit dem Heimatland seiner Großeltern noch den afrikanischen Commonwealth-Mitgliedern verscherzen zu wollen und schraubte die Gehaltsanforderungen für „qualifizierte“ Einwanderer unter das Durchschnittsgehalt auf der Insel. Die Folgen sind klar: enormer Druck auf die Immobilienpreise, Stagnieren der Löhne im Niedriglohnbereich, importierte Kriminalität und Anschwellen der Parallelgesellschaften in den praktisch segregierten Großstädten im Norden und im Ostende von London. Dass sich die Arbeiterpartei immer unverhohlener auch mit radikalen Moslems solidarisiert, Antisemitismus, so er denn von Moslems stammt, schlicht lange toleriert hat, und ganz unverhohlen an südasiatischstämmige Wähler appelliert, all dies ließe sich ausschlachten, solange man keine Angst vor der Rassismus-Keule der Linken und dem auf Rot gedrehten BBC hätte. Wer dies aber nicht tut und sich im Gegenteil noch mit einem völlig überproportionalen Anteil an Migrahulern im Kabinett und sogar im Premierministeramt meint, schmücken zu müssen, der landet verdient im Abseits.

Diese Neuausrichtung – Mitte in Sachen Wirtschaft und Soziales, klar rechts in Dingen der Kultur und Einwanderung – wird sich jetzt wohl für die Konservativen in der Opposition austarifieren lassen. Für das Königreich stehen düstere fünf Jahre ins Haus: New Labour 2.0 bedeutet noch mehr woke Ideologie, ein weiterer Linksdrall des BBC, der Kulturindustrie und der Universitätslandschaft, ungebremste Masseneinwanderung mit allen Folgen und planloses Herumlavieren in Sachen Wirtschaft. Zwar hat man die Bürde der EU-Mitgliedschaft erfolgreich abgeschüttelt, die entstehende politische Freiheit gilt es aber auch zu nützen.


Georg Menz ist Professor für Internationale Politik an der Old Dominion University in Norfolk, Virginia, USA. Der Band erscheint im Sommer 2022 bei Routledge in London: “The Resistible Corrosion of Europe’s Center-Left after 2008”.

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