Die Ampel-Regierung ist gescheitert, aber sie gibt nicht auf. Zu viel von dem, was sie sich vorgenommen hatte, ist liegen geblieben und soll jetzt eiligst nachgeholt werden. Die Zeit drängt, der Winter steht bevor, aber Strom und Gas sind immer noch nicht teuer genug, um den Leuten das Heizen zu verleiden. Türken, Syrer und Afghanen drängen ins Land, doch soll es immer noch ein paar Schulen geben, in denen Deutsch gesprochen wird. Die Windradindustrie floriert, und trotzdem dreht sich immer noch nicht auf jedem Berg ein großes Windrad. Hatte Olaf Scholz denn nicht versprochen, jeden Tag dreißig von diesen grauen Masten in den Boden zu rammen? Der Fortschritt, den die Ampel propagiert hat, ist längst noch nicht am Ziel. Drei Monate hat Scholz herausgeschlagen, um das Desaster zu vollenden. Und Friedrich Merz macht mit.
Im Streit um die Schuldenbremse soll die Koalition zerbrochen sein. Doch das ist unwahrscheinlich, denn Bremsen gibt es längst nicht mehr. Es gibt nur Schulden, die jetzt bloß anders heißen: Sondervermögen zum Beispiel, Darlehen oder Kredit, am liebsten Fonds. Fonds, das klingt verlässlich und solide, ist aber Pfusch wie das meiste, was diese Regierung zustande gebracht hat. Einen Gesundheitsfonds gibt es bereits, Pflegefonds inzwischen auch, weitere Fonds sind im Gerede. Robert Habeck droht mit einem Deutschlandfonds, natürlich ohne zu sagen, wo er das Geld hernehmen will, das ihm genauso fehlt wie allen seinen Kabinettskollegen. Als Sozialpolitiker kennt er die Goldene Regel des Gewerbes, die da lautet: „Wie können wir das so finanzieren, dass der größte Beitrag von denen verlangt wird, die am wenigsten davon haben, und keiner merkt, an wem das Ganze schließlich hängen bleibt?“
Wahrscheinlich wissen sie das selbst nicht, da sie die Regeln einer soliden Haushaltsführung außer Kraft gesetzt haben. Das Grundgesetz verlangt zwar immer noch, dass die Einnahmen aus Krediten, die Neuverschuldung also, die Höhe der investiven Ausgaben nicht übersteigen darf, Notzeiten wie immer ausgenommen. Aber das Grundgesetz ist lästig, und was lästig ist, wird nicht beachtet. Seitdem Frau Merkel einen ordentlich gewählten Ministerpräsidenten aus dem Amt jagen und Neuwahlen diktieren durfte, gilt die Verfassung nur noch unter Vorbehalt. Die Haushaltspolitiker waren bloß geschickter als sie, indem sie das Überschuldungsverbot nicht einfach ignorierten, sondern durch eine neue Vorschrift, die Schuldenbremse, ersetzten. Sie taten das in der Erwartung, dass die neue Vorschrift genauso wenig bewirken würde wie die alte. In Notzeiten wird sie ausgesetzt (so die Roten), reformiert (so die Grünen), gelockert (so die Schwarzen) oder aufgehoben (so die Violetten). Und Not herrscht immer.
Wir sind schlecht dran, hat Montaigne einmal gesagt, weil es nur eine Wahrheit, aber viele Formen der Lüge, der Irreführung und des Etikettenschwindels gibt. In allen diesen Formen hat es der Gesetzgeber in letzter Zeit zur Meisterschaft gebracht. Das Gute-Kita-Gesetz hat keine einzige Kindertagesstätte besser gemacht, die Einrichtungen, wie sie heißen, leben von der Hand in den Mund und hangeln sich von einer Not zur nächsten. Das Starke-Familien-Gesetz hat die Familie nicht stärker gemacht, sie leidet unter der Verlogenheit eines Systems, das von Kindergeld, Kinderzuschlägen und Kindergeldsofortzuschlägen redet, wenn es den Eltern einen Bruchteil von dem, was es ihnen an Steuern und Abgaben, Beiträgen und Gebühren abgepresst hat, wieder zurückgibt. Das Wachstumschancengesetz oder das Steuerentwicklungsgesetz sind nach demselben Muster gearbeitet. Man muss nur die Silben zählen, um den Betrug zu ahnen. Und der Betrug ist immer größer als der Verdacht.
Das Demokratieförderungsgesetz – Gesetz zur Stärkung von Maßnahmen zur Demokratieförderung – schießt allerdings den Vogel ab. Der Titel ist eine Zumutung, der Text eine Frechheit. Er wimmelt von unbestimmten Rechtsbegriffen wie Teilhabe, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und anderer Nebelkerzen aus dem Waffenarsenal der Grünen. Um zu verstehen, was gemeint ist, greift man am besten auf das Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei zurück, das berüchtigte Heimtückegesetz vom 20. Dezember 1934. Es droht allen, „die öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates, über ihre Anordnungen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen machen“, mit Geld- und Gefängnisstrafen. Hass und Hetze, das kannten schon die Nationalsozialisten. Sie wussten auch, wie man mit Hass und Hetze fertig wird. Wenn man die niedrige Gesinnung dann auch noch durch das delegitimieren ersetzt, ist man auch schon bei Thomas Haldenwang und Nancy Faeser. Der Teufel, sagt ein altes Sprichwort, scheißt nicht zweimal auf denselben Stein. Faschisten offenbar auch nicht.
Von hier an anders!, hieß der Titel eines der vielen Kinderbücher, die Robert Habeck verfasst hat. Wie alle großen Kinder meint er das ganz ernst. Gemeinsam mit seinen Freunden aus der Fortschrittskoalition hat er aus Deutschland ein Land gemacht, in dem es tatsächlich anders zugeht als überall sonst auf der Welt. Wir leben in einem Land, das von Pazifisten regiert wird, die sich fürs Kriegführen begeistern. Von Humanitären, die sich mit Menschenhändlern verbünden. Von Ökologen, die Bäume durch Windräder ersetzen. Von Lebensschützern, die das Leben abtreiben. Von Sozialarbeitern, die zur Faulheit animieren. Von Klimaaktivisten, die Kartoffelsuppe über Bilder schütten. Von Kinderfreunden, die Kinder als Sexspielzeug betrachten. Von Wohltätern, die Geld, das ihnen nicht gehört, an Leute verteilen, die sie nicht kennen, und so weiter.
In einem solchen Land sollte es die Opposition leicht haben. Hat sie aber nicht, sie tut sich schwer. Statt einen Kanzler, der ohne Mehrheit dasteht, vor sich herzutreiben, setzt sie auf Kooperation mit Leuten, die drei Jahre lang bewiesen haben, dass sie das Handwerk nicht beherrschen. Die Engländer nennen die Opposition die Regierung von morgen. Aber will diese Opposition denn überhaupt noch regieren?
Dr. Konrad Adam ist Journalist, Publizist und ehemaliger Politiker der AfD. Er war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefkorrespondent und Kolumnist der Tageszeitung Die Welt in Berlin.