Tichys Einblick
Kampfbegriff schadet der politischen Kultur

Abschied vom Populismus

In diesem Diskussionsbeitrag will Joachim Stark zeigen, dass der sogenannte Populismus ein schädliches Ideenkonstrukt ist, das zur Beschreibung der politischen Wirklichkeit in einem demokratischen Regierungssystem wie dem der Bundesrepublik nicht taugt.

Medien und Sozialwissenschaften haben inzwischen wohl einige Regalmeter an Literatur produziert, die den Ursprüngen, dem Erfolg, den Inhalten und den Kennzeichen des „Populismus“ nachspürt. In der Regel wird davon ausgegangen, dass Populismus tatsächlich existiert und dass es politische Akteure und Anhänger und Zielgruppen gibt, die sich allein populistisch gerieren und sich damit in Gegensatz bringen zum normalen Funktionieren eines demokratischen Gemeinwesens. Populisten, zumal „Rechtspopulisten“, gefährden den Ablauf des demokratischen Prozesses, ja, bedrohen gar den Bestand der Demokratie, so die gängige Ansicht.

In diesem Diskussionsbeitrag soll versucht werden herauszuarbeiten, was wohl die meisten TE-Leser mehr oder weniger explizit wissen, dass nämlich der sogenannte Populismus ein schädliches Ideenkonstrukt ist, das zudem für die Beschreibung der politischen Wirklichkeit in einem demokratischen Regierungssystem wie dem der Bundesrepublik nicht taugt. Der Begriff ist zu unscharf und allgemein, als dass damit bestimmte politische Einstellungen und Akteure beschrieben werden könnten. Die angeblich populistischen Verhaltensweisen gehören vielmehr zum normalen Alltagsgeschäft der Demokratie. Mehrheitsparteien bedienen sich ihrer genauso, wie Parteien und Gruppierungen, die in der Minderheit sind und deren Kritik an den herrschenden Verhältnissen keine Chance hat, den politischen Prozess zu beeinflussen.

Populisten als Gegner der Demokratie

Der politische Prozess ist in Deutschland aber in Schieflage geraten, weil es den Mehrheitsparteien, den grün-linken Oppositionsparteien und den sie unterstützenden Medien als Diskurshegemon gelungen ist, den Begriff des Populismus zu okkupieren und ihn ihren politischen Gegnern überzustülpen derart, dass alle, die als Populisten klassifiziert werden, auch gleich als Gegner der demokratischen Ordnung diffamiert werden. Damit ist in der Praxis der Streit der Argumente und Positionen außer Kraft gesetzt. Der demokratische Diskurs erstarrt in der Wiederholung und Bestätigung der immer gleichen Reden der Mehrheit, verkörpert von den Parlamentsparteien und den gesellschaftlichen Vereinen und Verbänden, die ihnen zuarbeiten.

Verhandeln statt Handeln - Reden statt Entscheiden
Merkels Auflösung des Politischen
Kaum ein Tag vergeht, an dem politische Wortführer und Medien uns nicht über die Gefahren des „Populismus“ belehren. Mit angeblich einfachen Rezepten wollen die sogenannten Populisten die angeblichen Wohltaten der Globalisierung rückgängig machen, sie wollen den Euro abschaffen, sie wollen die Europäische Union rückabwickeln, sie wollen die Wohlstandsmigration aus dem Nahen Osten und Afrika bremsen, sie wollen die Grenzen schärfer kontrollieren, sie wollen den wachsenden Einfluss des Islam in Europa eindämmen. Sie säen angeblich Hass und schaffen bei den Menschen Ängste, die das Funktionieren der Demokratie gefährden, ja sie letztlich abschaffen. Am Ende würden dann autoritäre Regime, wie Einpartei-Systeme und „völkische“ Diktaturen drohen. All das, so die wackeren Kämpfer gegen das Übel des Populismus, den von rechts und den von links, vor allem aber den von rechts – gefährdet unser aller Wohlstand, gefährdet unser aller Freiheit, gefährdet die europäischen Werte, wie Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit, Solidarität mit den Schwachen und Entrechteten, ja die Menschenrechte.
„Berlins Kurs ist so populistisch wie menschenverachtend“

Überhaupt, die Menschenrechte: Wer sie nicht uneingeschränkt und unbedingt an die erste Stelle setzt, ohne Rücksicht auf nationale oder EU-Gesetze und Sicherheitserwägungen, kann heute schon als Populist gebrandmarkt werden. Unversehens wird da zum Beispiel die Bundesregierung bzw. das Auswärtige Amt wegen ihrer bzw. seiner Haltung zu Abschiebungen nach Afghanistan in eine populistische Ecke gestellt. „Berlins Kurs ist so populistisch wie menschenverachtend“, schreibt am 9. August ein N-TV-Redakteur in einem Online-Kommentar seines Senders. „Lebensgefährlich pragmatisch“,  „perfide“ und „Armutszeugnis“ sind weitere Charakterisierungen der Absicht der Bundesregierung, weiterhin zumindest Gefährder und Straftäter abzuschieben – auch wenn diese Absicht bei Lichte betrachtet lediglich Symbolcharakter hat, mit dem Ziel, den Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl zu geben, dass der Staat es weiterhin als seine Aufgabe ansieht, ein gewisses Minimum an Sicherheit anzustreben.

Dieses aktuelle Beispiel verdeutlicht, zu welchen Wandlungen der Populismus-Begriff fähig ist und wie flexibel er als Kampfbegriff zur Diffamierung von Positionen und Meinungen einsetzbar ist, die nicht vorbehaltlos auf der Linie der gerade geltenden schwarz-rot-grünen ideologischen Dogmen sind. Der Populismus-Vorwurf scheint insbesondere dann schnell bei der Hand zu sein, wenn der Eindruck entsteht, dass den Menschenrechten nicht absoluter Vorrang eingeräumt wird vor welchem Gesetz und welchem Sicherheitsaspekt auch immer.

Die großen Drohgestalten

Die großen Drohgestalten der Populismus-Kritiker sind Donald Trump in den USA, Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden, Nigel Farage und die Brexit-Anführer in Großbritannien, Victor Orban in Ungarn, PiS und ‎Jarosław Kaczyński in Polen, Gauland, Höcke, Poggenburg und Petry mitsamt der notorisch als „rechtspopulistisch“ apostrophierten AfD in Deutschland, die Lega Nord und Cinque Stelle in Italien. Die Liste für Europa ließe sich beliebig verlängern: Syriza, Podemos, Wahre Finnen …

Der Weg der Kanzlerin verliert sich im Nebel der Ungewissheit
Ein Stresstest für die Demokratie
All diese Akteure sind für die Populismus-Warner gefährliche Populisten, so wird landauf landab von den Regierungsparteien – Dle Linke und die Grünen können getrost dazu gezählt werden, da sie Landesregierungen führen oder in ihnen vertreten sind – und den Medien verkündet. Doch was ist all diesen angeblichen Populisten gemeinsam? Was unterscheidet sie letztlich von den herrschenden Parteien und Personen? Dass sie einfache Lösungen anbieten? Dass sie Ängste bei den einfachen Bürgerinnen und Bürgern schüren? Dass sie die aktuellen politischen und medialen Eliten verachten und bekämpfen und dem „Volk“ oder dem Mann auf der Straße nach dem Mund reden? Dass sie anti-pluralistisch sind und bestimmte ethnische und/oder religiöse Gruppen „ausgrenzen“? Dass sie islamkritisch sind? Dass sie mit der Forderung nach mehr plebiszitären Elementen die repräsentative Demokratie gefährden? Sind sie charismatische Führer wie ein Peron, ein Chavez in Südamerika, die vorgeben, in direktem Dialog mit den Massen deren Bedürfnisse zu verwirklichen? Stellen sie sich mit all diesen Aspekten sogleich außerhalb der Gemeinsamkeit der Demokraten?
Kaum Einheit über die Inhalte des „Populismus“

In der wissenschaftlichen Diskussion über das Populismuskonzept gibt es kaum Einigkeit darüber, was Populismus inhaltlich bedeutet, wer die sozialen Träger sind, wie er in einer Gesellschaft funktioniert und sich auswirkt. Zu unterschiedlich sind historische Kontexte der Entstehung von politischen Gruppierungen und Bewegungen, die als populistisch bezeichnet werden. Zu unterschiedlich sind die Anteile der ideologischen Aufladungen und Anleihen bei der Theorie der Volkssouveränität, bei der Idee der Nation, bei der Religion, etwa beim Christentum, oder bei politischen Ideen, wie dem Liberalismus (so der Hamburger Soziologe Wolfgang Knöbl, FAZ vom 26.6.2017).

In der Regel rangieren jedoch moralisch-Ideelle Motive vor rein ökonomischen (siehe etwa den Beitrag des Berner Soziologen Christian Joppke in FAZ, 12.6.2017. Es handele sich beim sogenannten Populismus als einem Relationsbegriff also höchstens um eine „dünne“ Ideologie (so der Ideologieforscher Michael Freeden 1998, siehe auch Aus Politik und Zeitgeschichte, 30.01.2012, der Beitrag von Karin Priester), deren Auffüllung weiterer Inhalte bedarf, etwa nationalistischer oder sozialistischer Observanz.

Störfaktor für das Funktionieren der Demokratie

In der Regel wird allerdings die Existenz des Populismus als gegeben vorausgesetzt und als Störfaktor für das reibungslose Funktionieren einer parlamentarisch-repräsentativen Demokratie angesehen. So hatten die beiden amerikanischen Soziologen Seymour Martin Lipset und Edward Shils ihn in den 1950er Jahren eingeführt. Sie dachten bei populistischen Bewegungen an Bolschewismus und Nationalsozialismus, aber auch an den anti-kommunistischen McCarthyismus Anfang der 1950er Jahre in den USA. Kennzeichen war für sie das dysfunktionale Verhältnis zum demokratischen Regime. Die inhaltliche Bestimmung blieb allerdings unscharf. An der mangelnden Präzision leidet der Populismusbegriff bis heute und das macht ihn für wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn über das politische Funktionieren von Gesellschaften und ihre politischen Ungleichgewichte ungeeignet. Die mangelnde Bestimmtheit öffnet freilich für Vereinfacher in Politik und Medien Tür und Tor, um politisch unliebsame Kritiker zu diffamieren und zu delegitimieren. Dazu gehören auch Ansätze wie der von Jan Werner Müller (Princeton), der als Unterscheidungskriterium zwischen populistischem und demokratischem Denken die Kritik der Eliten und den Antipluralismus identifiziert. Für den Populisten sei das „wahre Volk“ immer auf der richtigen Seite. Aber der wahre Volkswille werde durch die Eliten immer verfälscht oder unterdrückt.

Allgemein wird man wohl sagen können, dass populistische Gruppen nach Belieben konstruiert werden können, je nachdem, welche dysfunktionalen Eigenschaften oder Ziele in die Definition aufgenommen werden. Ein Beispiel dafür ist auch die Bertelsmann-Studie „Stunde der Populisten? (Juli 2017), die dieselben Kriterien verwendet, wie Müller.

Radikaler und moderater „Populismus“

Diese Studie, an der hier bei TE bereits grundsätzlich Kritik geübt wurde operationalisiert den Populismus anhand von drei Dimensionen: „Anti-Establishment“, „Anti-Pluralismus“ und „Pro-Volkssouveränität“. „Radikale Populisten erkenne man daran, dass sie die Entmachtung der herrschenden Politik fordern, um den Einfluss des Volkswillens zu stärken. Dazu fordern sie radikale Reformen des politischen Systems, und behaupten, dass sie alleine den wahren Bürgerwillen repräsentieren. In seiner moderaten Variante setzt sich Populismus kritisch mit den etablierten demokratischen Institutionen auseinander, und wünscht sich mehr direkte Beteiligung der Bürger und eine bessere Berücksichtigung ihrer Interessen bei politischen Entscheidungen.”

Quasi regierungsamtlich stellt die Studie fest: in Deutschland gebe es lediglich einen moderaten Populismus und die Anhänger seien lediglich enttäuschte Demokraten, aber keine Feinde der Demokratie. Populisten würden in allen Parteien einen erklecklichen Anteil der Anhängerschaft ausmachen. Aber sie seien nicht radikal: Sie wollen weder aus der EU austreten, noch wollen sie das politische System grundlegend ändern. Aber sie wollen nur noch „einige Flüchtlinge“ aufnehmen.

Gegensatz von Populismus und Demokratie löst sich auf

Damit löst sich der seit langem behauptete bedrohliche Gegensatz von Populismus und Demokratie regelrecht in Wohlgefallen auf. Und es wird einmal mehr deutlich, dass das Populismuskonzept schon seit langem ein Kampfbegriff zur Diffamierung unbequemer politischer Gegner und deren Positionen ist. Das was in Deutschland als Populismus bekämpft wird, ist ganz alltäglicher politischer Wettbewerb, ganz alltägliche Konkurrenz um die Vorherrschaft im politischen Meinungsstreit.

Eine Zumutung
Bertelsmann-Studie: "Die Stunde der Populisten?"
Dem korrespondieren Ansätze, die Populismus als Indikator ansehen für Defizite in demokratischen Regimen. Er hat damit die Funktion eines Warnsignals, so der argentinische Theoretiker Ernesto Laclau: Für ihn war Populismus ein natürlicher Begleiter und geradezu ein Grundprinzip der Demokratie. Wenn die etablierten Parteien kritische Meinungen nicht mehr aufnehmen, artikulieren und kanalisieren, dann suchen sich die abweichenden Meinungsströme andere Kanäle, zum Beispiel die Social Media. Aber es ist ja gerade die Daseinsberechtigung der Demokratie, ihre raison d’être, dass sie eine lernfähige Regimeform ist. Sie ist eine der wenigen Regierungsformen, die in der Lage ist – zumindest in der Theorie – Nachteile für das Gemeinwesen zu begrenzen, einfach indem Regierungen ihre Politik ändern, oder eben im Zuge von Wahlen ausgetauscht werden. Kritik an Eliten und an politischen Inhalten und Entscheidungen ist das A und O dieser Regierungsform. Die Kritiker müssen dann auch mitunter auf den Vorwurf des Establishments reagieren, dass ihre Lösungsvorschläge zu „einfach“ seien. Das muss dann eben diskutiert werden. Aber Kritiker des Partei- und Regierungsestablishments als Populisten zu diffamieren und auszugrenzen, ist ihrerseits eine grobe Vereinfachung, die auf die Populismus-Kritiker zurück fällt.

Soziologie und Politikwissenschaft sehen zunehmend die Unbrauchbarkeit des Begriffs für die politische Debatte. Allenfalls scheint der Populismusbegriff geeignet für Diskussionen im Seminar für Ideengeschichte, Parteientheorie oder Politische Kultur. Für die politische Debatte etwa im Kontext der politischen Meinungsbildung in der Bundesrepublik ist der Begriff untauglich.  Aber die herrschende Politik benutzt trotzdem das, was sie am vorgeblichen Populismus kritisiert, selbst als Waffe: Nämlich Ausgrenzung und Angst, ja es wird auch an Egoismus und Eigennutz appelliert.

Populismus: „ähnlich der einer Biogasanlage“

Das ist auch aus akademischen Bereich mitunter zu hören, so von der Bielefelder Soziologin Barbara Kuchler (FAZ vom 17.Juni 2017). Für sie sind Demokratie und Populismus zwar durchaus miteinander verwandt, aber nicht wie Bruder und Schwester, sondern eher wie ein Clan und ein Familienspross. Während Demokratie eine komplexe Strukturform ist, sei Populismus eine Strategie, eine Handlungsanweisung für Akteure, um im Rahmen der demokratischen Regimes die Schwächen und Widersprüche des demokratischen Regierungssystems  „auszubeuten“. Die Wortwahl ist schon fragwürdig, deutet sie doch an, dass es hier nur um anrüchige Motive gehen kann. Und in der Tat, es wird noch expliziter: „Populismus ist immer partiell, parasitär und reaktiv: Er ist das schlechte Gewissen der Demokratie, das dieser ihre eigenen, selbstverkündeten Ansprüche entgegenhält“ … Doch die Diffamierung wird noch unappetitlicher und verfänglicher, da sie sich durch die verwendeten Metaphern auf historisch vermintes Gelände begibt:  Der „Taschenspielertrick des Populismus ist“, die beim demokratischen Prozess „anfallenden Abfälle, Stoffwechselprodukte, Ressentiments auszubeuten und daraus Energie zu ziehen. Die populistische Funktionsweise ist ähnlich der einer Biogasanlage – nur weniger gestankmindernd als gestankvermehrend, und deshalb zu Recht schlecht beleumundet“, schließt die Soziologin ihren Beitrag. Die Assoziationsfelder, die mit der Biogas-Metapher eröffnet werden, sind wohl beabsichtigt, aber eines wissenschaftlichen Traktats unwürdig. Hier wird die Nähe des Populismus zum grundsätzlich demokratiefeindlichen Rechtsextremismus und Nationalsozialismus angedeutet und damit eine Diffamierungsstrategie gegenüber jenen eröffnet, die Kritik üben an fragwürdigen politischen Entscheidungen einer wie auch immer zusammengesetzten Parteienmehrheit und der von ihr getragenen Exekutive.

Ausgrenzungs- und Diffamierungsstrategien bei Regierungspolitikern

Aber die hier angedeutete Ausgrenzungsabsicht und Diffamierung wird gerade auch von jenen Politikerinnen und Politikern an den Tag gelegt, die den angeblichen Populismus am heftigsten kritisieren. Sie geben sich selbst populistisch, im Sinne von vereinfachend, an Ängste appellierend, verächtlich machend, ja, auch demagogisch, vor allem um gegenüber der eigenen Anhängerschaft zu punkten.

Einige Beispiele aus letzter Zeit, die wohl unvergessen sind.

Etwa Sigmar Gabriels Beschimpfungen angesichts der Krawalle gegen Flüchtlingsunterkünfte in Heidenau im August 2015:

„Das ist wirklich Pack und Mob, und was man da machen muss, man muss sie einsperren.” Weiterhin sagte der damalige SPD-Chef: „Diese Leute haben mit dem Land Deutschland, wie wir es wollen, nichts zu tun.” Subtext: Niemand sollte sich auch nur gedanklich in die Nähe einer Kritik der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung begeben. Es droht der Ostrazismus, die Verstoßung aus der Gemeinschaft der Demokraten. Natürlich muss kriminelles Verhalten als solches genau beschrieben und verurteilt werden, aber ein Minister sollte sich nicht zu Diffamierungen versteigen.

Oder auch Merkels Aussagen in der Neujahrsansprache vom 31.12.2014, die sich unterschwellig an Angstdispositionen der Fernseh- Zuschauer wendet.

Diejenigen, die montags auf die Straße gingen und wie die Menschen vor 25 Jahren in der DDR wieder riefen „Wir sind das Volk“, meinten tatsächlich etwas anderes, so Merkel. Ihnen gehe es um Ausgrenzung aufgrund von Hautfarbe oder Religion. Und dann kommt die Ausgrenzungs- und Diffamierungs-Aussage: „Deshalb sage ich allen, die auf solche Demonstrationen gehen: Folgen Sie denen nicht, die dazu aufrufen!“ Merkel warnte: „Zu oft sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen!“

Im Zweifrontenkampf
Merkels Populismus der Mitte - Kurze Bilanz zum langen Abschied
Auf der gleichen Ebene liegt auch Merkels bekanntes Diktum:„Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ Dazu Wolfgang Herles bei TE am 1.Oktober 2016 auch unter Bezug auf Merkels „Wir schaffen das“: Das seien Denkverbote, die keinen Schritt weiter helfen.  Merkel habe die Diskursschwäche der konformistischen Deutschen allzu lange ausgenutzt. Sie betreibe „Populismus aus der Mitte“ heraus. Da wir hier vorschlagen, sich vom Populismusbegriff zu verabschieden, so würde man Merkels Diskursstil wohl am besten mit irreführender, manipulierender Vereinfachung umschreiben, eine Überredungstechnik, wie sie nun mal im politischen Meinungskampf an der Tagesordnung ist.

In eine ähnliche Richtung gingen Aussagen Gabriels zu Grenzschließungen und verschärften Grenzkontrollen im Herbst 2015: Wenn in der EU und in Deutschland die Binnen-Grenzen geschlossen würden, dann schade das der Wirtschaft erheblich. Er sei der Wirtschaftsminister und er wisse wovon er spreche. Hier wurde an die Angst vor Wohlstandseinbußen aufgrund der Einschränkung des Warenverkehrs appelliert.

In die gleiche Angst-Kerbe haute der damalige Außenminister  Steinmeiers angesichts der Erfolge von Donald Trump. Was „Hassprediger“ wie Trump, die Verantwortlichen des Brexit und die AfD eine, dass sie mit den Ängsten der Menschen Politik machten. Dies sei ein „Brandsatz für die Gesellschaft“.

Angst-Geschütz der SPD

Aus Sicht der SPD arbeiten Populisten generell mit den Ängsten der Bürger und sie übernähmen Stimmungen in der Bevölkerung (sic!) kritiklos, so stand es auf der Webseite des Vorwärts zu lesen. Aber gleichsam im selben Atemzug fährt die SPD selbst ihr Angst-Geschütz auf: Angesichts des Populismus und der Ablehnung von Flüchtlingen in der EU komme Deutschland eine besondere Aufgabe zu.

Andere Länder würden genau beobachten, wie die AfD bei der Bundestagswahl abschneide. Bei einem Erfolg drohe Vertrauen verloren zu gehen. Dieses Vertrauen sei allerdings Deutschlands wichtigste Ressource, so Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion im in seinem Beitrag. Das rührt an tiefsitzende Ängste bei vielen Bundesbürgern, die fürchte, sie könnten vom Ausland nicht mehr geliebt werden.

Das ist der „Populismus“ von Amtsinhabern, die dem gerade angesagten links-grün-schwarzen juste milieu das Wort reden. Sie operieren mit Emotionen, mit Ablehnung, Ausgrenzung, aber sie appellieren auch an simplen Egoismus, in Form von Phantasien von Wohlstandsmehrung, Reichtum, die durch Zuwanderer angeblich ins Werk gesetzt werden. Diese Reden des gerade gültigen schwarz-links-grünen juste milieu sind ebenso „spalterisch“, wie die Reden von Rechtsradikalen und Rechtsextremen, die bekämpft werden sollen.

Seelenfunk 3. Akt
Böse Populisten unter uns?
A propos spalterisch: Es wird von den Populismustheoretikern oft angeführt, dass zum populistischen Weltbild die Vorstellung eines ethnisch, moralisch und/oder unter Willensbildungsaspekten homogenen Volkes gehöre. Daher ja auch der gängige Vorwurf des Anti-Pluralismus. Aber wer die angeblichen Populisten der Spaltung zeiht, etwa in der Migrationsfrage, – Standardformulierung etwa angesichts von Terroranschlägen: „Wir dürfen uns jetzt nicht spalten lassen“ – insinuiert, dass es doch einen homogenen Grundkonsens aller moralisch richtig empfindenden Bürger gebe. Wer von drohender Spaltung durch angebliche Populisten redet, imaginiert schon eine homogene Volksgemeinschaft oder eine sich einige Gesellschaft, oder setzt sie voraus.
Appell an Egoismus und Besitzinstinkte

Zum anderen wird in verführerischer Weise an Besitzinstinkte und Bereicherungsphantasien appelliert, indem Flüchtlinge und Migranten mit Edelmetallen und Geschenken verglichen werden. Gerade diejenigen, die vom höchsten moralischen Ross herab die Niederungen der so verwerflichen pragmatischen Realpolitik betrachten wie eine Katrin Göring-Eckardt, sollten ihre Worte gewissenhaft wägen. Stattdessen  wird von Göring-Eckardt im November 2015 in regelrecht irreführender  Weise formuliert, es sei „eine schöne Ironie der Geschichte“, dass  Flüchtlinge künftig die Renten von Wählern der „Alternative für Deutschland“ bezahlen würden. „Wir kriegen jetzt plötzlich Menschen geschenkt.“

Diese Zitate sind sattsam bekannt, aber sie verdienen es, hier im Kontext einer Begriffsklärung noch einmal zitiert zu werden. Das gilt auch für Martin Schulz mit seiner Gold-Analogie aus seiner Heidelberger Hochschulrede vom Juni 2016:

Gerade die in Europa Zuflucht suchenden Menschen könnten helfen“, so Schulz, „unseren Wertekanon wieder wahrzunehmen. Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold“ … Es ist der unbeirrbare Glaube an den Traum von Europa. Ein Traum, der uns irgendwann verloren gegangen ist.“ Angesichts der islamistischen Anschläge von Nizza, Berlin, Stockholm, London, und nun Barcelona scheint weniger denn je absehbar, wie dieser Schulz-Traum wiederbelebt werden kann.

Interessant wäre es zu untersuchen, ob der Populismus-Begriff in seiner öffentlichen, politischen Verwendung als Kampfbegriff seit Ende der Nuller-Jahre einen Bedeutungswandel durchgemacht hat. 2010 konnte Ulf Poschardt in der Welt immerhin noch von den Grünen als „aufgeklärten Populisten“ schreiben. Bemerkenswert: Aufklärung und Populismus scheinen damals noch nicht als unvereinbare Gegensätze gegolten zu haben.

„‘Populistisch‘ darf in Demokratien kein Schimpfwort sein“

„Populistisch“ darf in Demokratien kein Schimpfwort sein“ hieß es damals noch. „Schließlich ist das Überpopuläre keiner der im Bundestag vertretenen Parteien fern“ fuhr der damalige stellvertretende Chefredakteur fort. „Die Grünen bedienen die aufgeklärte Variante des Populismus: Sie geben den modernisierungsskeptischen Bürgern aus der Mitte ein Forum, ihr Unbehagen an denen da oben zu artikulieren, ohne sich mit denen da unten gemein zu machen. Und: Die Grünen sind die wahre Partei der Besserverdiener“ (zun ergänzen wäre: also nicht die FDP, die damals noch in der Koalition mit der CDU die Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen gesenkt hatte, Stichwort Mövenpick-Parteispenden an die FDP).

Von der Entpolitisierung des Politischen
Wolfgang Herles: Konformismus - Populismus der Mitte
Vor sieben Jahren konnte also noch geschrieben werden, dass Populismus in einer Demokratie kein Schimpfwort sein dürfe. Seitdem ist allerdings der Begriff zu einem politischen Kampfbegriff mutiert, mit dem politische Gegner beginnend mit dem konservativ-liberalen Spektrum, über das nationalkonservative, rechtskonservative bis hin zum rechtsradikalen Spektrum in die Schmuddelecke des Rechtspopulismus abgeschoben werden können. Die militant Ausgrenzende, diffamierende Konnotation hat sich seitdem zumindest verstärkt. Wegmarken könnten sein Tilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“, und die aufgeregte Diskussion darüber, ferner die Gründung der AfD 2013 und die Pegida-Demonstrationen seit Spätherbst 2014.

Wie auch immer: Der Populismusvorwurf dient seitdem lediglich als Vorhang oder Kulisse, hinter der die De-Facto-Allparteienkoalition und die von ihr getragene Regierung ihre eigenen populistischen Vereinfachungen zu verschleiern versuchen, hinter der die Appelle an die Angst in solche an die Vernunft umgedeutet werden, hinter der die Aushöhlung der Demokratie in Kauf genommen wird, indem wahrhaft offene Diskussionen über das Gemeinwohl unterbunden werden. Die wahren „Populisten“ sitzen im Bundestag und im Bundeskanzleramt. Sie zeigen uns jeden Tag aufs Neue, was „Populismus“ an den Schalthebeln der Macht bedeutet: die Bewahrung des Status quo, auch wenn er von der weltweiten Politik schon längst überholt ist.

Populismus-Kritiker selbst als gefährliche Vereinfacher

Die inhaltliche Unbestimmtheit des Populismus-Begriffs offenbart, dass diejenigen, die ihn verwenden, selbst gefährliche Vereinfacher sind, die nur an der Verunglimpfung des politischen Gegners interessiert sind. Das was als „populistisch“ oder als „rechtspopulistisch“ angeklagt wird, sind abweichende Meinungen und Proteste gegen eine als falsch angesehene Politik einer Mehrheit, die die sich im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit glaubt. Das meiste, was als rechtspopulistisch gilt, sind Spielarten des Liberalismus und Konservatismus, die den Staat und die Rechtsordnung, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger nicht zu Gunsten von „No Nations, no borders“ über Bord werfen wollen. Es sind Positionen, die die mittel-und langfristigen Risiken einer Politik, die die finanzielle und die Sicherheit der Zukunft des Gemeinwesens infrage stellen, nicht einfach mit Schweigen oder gar mit begeisterter Zustimmung übergehen wollen. Das was von links-grüner Warte aus als Populismus bekämpft wird, ist unverzichtbarer Teil des Meinungsspektrums einer Demokratie, ja, es sind gerade kritische und streitbare Meinungen, die die Demokratie im Jahre des Heils 2017 „in diesem unserem Lande“ am Leben erhalten.

Statt Diffamierung „Arbeit des Begriffs“

Wegen seiner ausgrenzenden, diffamierenden Konnotation und seiner inhaltlichen Unbestimmtheit sollte deshalb lieber auf den Begriff des Populismus – zumal Rechtspopulismus – verzichtet werden. Medien und Politik sollten sich auf die intellektuelle Redlichkeit und die Pflicht zu Differenzierung besinnen – die sie bei Themen wie Migration und Europäische Union ja fortwährend einfordern – und die aus ihrer Sicht zu kritisierenden politischen Haltungen jeweils als konservativ, nationalkonservativ, rechtskonservativ etc. beschreiben. Rechtsextremistische und rassistische Positionen müssen konsequent davon unterschieden und nachprüfbar als solche bezeichnet werden. Das macht Mühe, kostet Zeit und gedankliche Sorgfalt bei der Beschäftigung mit dem Gegenstand und erfordert buchstäblich die „Arbeit des Begriffs“, um Hegel zu zitieren. Aber diese Mühe und diese Sorgfalt kämen dem zivilisierten Umgang und der politischen Kultur in Deutschland zugute.

Dr. Joachim Stark ist Politikwissenschaftler und Publizist.

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