Tichys Einblick
Größte zivile Explosion  

Vor 100 Jahren: Die Katastrophe von Oppau 

1921 explodierte im BASF-Werk in Ludwigshafen-Oppau eine große Menge Ammoniumsulfat und Ammoniumnitrat. Über 500 Menschen starben. Die Explosion von Beirut 2020 war vergleichbar.

Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Explosion war gigantisch. Noch im 70 km entfernten Frankfurt zerbrachen Fensterscheiben, selbst in München hörte man noch den Donner, die Seismografen registrierten Ausschläge wie bei einem Erdbeben. Vor 100 Jahren ereignete sich die größten zivile Explosion in Deutschland, die auch die junge Weimarer Republik erschütterte. Die Weltpresse berichtete über das Inferno von Oppau. Wie im TE-Wecker berichtet, passierte am 21. September 1921 um 7:32 Uhr in dem kleinen Städtchen Oppau nördlich von Ludwigshafen am Rhein die Katastrophe: In dem Silo des Düngemittelwerkes der BASF, in dem 4500 Tonnen eines Mischsalzes aus Ammoniumsulfat und Ammoniumnitrat lagerten, kam es zu ungeheuren Explosionen.

Dieses Mischsalz wurde als Düngemittel verwendet, verhärtete sich jedoch im Laufe der Zeit und bildete in dem Silo harte Brocken. Vor dem Verladen wurden die Verklumpungen des Salzes mit kleinen Sprengungen gelockert. Ein Verfahren, das mindestens 20.000 mal angewendet wurde, als sicher galt, eine Routinesprengung gewissermaßen.

Im Werk, das als modern galt, wurden übrigens keine veralteten Technologien eingesetzt, doch Verbesserungen mussten kontinuierlich von Chemikern und Ingenieuren entwickelt werden. Die Unfallraten vor dem Ersten Weltkrieg hatten sich positiv entwickelt.

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Doch bei einer jener üblichen Lockerungssprengungen kommt es vor genau 100 Jahren zur Katastrophe. Eine der Sprengladungen löste eine erste Explosion aus, 4 Sekunden später zündete eine zweite heftige Explosion. Das Mischsalz, das durch die erste Explosion bereits erhitzt war und sich staubförmig im Silo verteilte, zündete durch und ließ alles vollends in die Luft fliegen.

In dem Ort blieb kein Stein mehr auf dem anderen, mehr als 500 Menschen wurden getötet und vermisst. Allein in Oppau wurden mehr als 1000 Gebäude zerstört, nochmal so viele schwer beschädigt.

Schwere Maschinenteile flogen über den Rhein bis nach Mannheim, selbst in Heidelberg wurden durch die Druckwelle Dächer abgedeckt und eine Straßenbahn aus den Schienen gehoben.

Noch heute erinnert die Trichterstraße in Oppau an den gigantischen, fast 20 Meter tiefen und zwei Fußballfelder breiten Krater, den die Explosion gerissen hatte.

Die Vermessung des Unbekannten
Expertenherrschaft in der Risikogesellschaft
Der damalige Vorstandsvorsitzende Carl Bosch in seiner Trauerrede: »Gerade der Stoff, der bestimmt war, Millionen unseres Vaterlandes Nahrung zu schaffen und Leben zu bringen, den wir seit Jahren hergestellt und versandt haben, hat sich plötzlich als grimmiger Feind erwiesen aus Ursachen, die wir noch nicht kennen. Unser Werk hat er in Schutt gelegt. Aber was ist das alles im Vergleich zu den Opfern, die die Katastrophe gefordert hat!«

Die Hilfen liefen – anders als in unserer Zeit im Ahrtal – sofort an, bereits zwei Tage später stand ein Sechs-Punkte-Plan, um Opfer Angehörigen und Überlebenden zu helfen, obdachlos gewordene Familien konnten in Werkswohnungen einziehen. Innerhalb von wenigen Wochen war das Werk wieder produktionsfähig.

Damals gehörte die Pfalz noch zu Bayern, der bayerische Staat gründete das Hilfswerk Oppau. Sogar Reichspräsident Friedrich Ebert kam zur Beerdigung am 25. September auf das linke Rheinufer. Das war damals von der französischen Rheinarmee besetzt, der zurückgetretene Kaiser Wilhelm II. kondoliert aus seinem niederländischen Exil.

Carl Bosch hatte mit dem Chemiker Fritz Haber das sogenannte Haber-Bosch-Verfahren entwickelt und damit die Grundlage für das Düngemittelwerk Oppau gelegt und gleichzeitig die Landwirtschaft revolutioniert. Ihnen gelang es, mit Hilfe hoher Drücke und Temperaturen der Luft den Stickstoff zu entziehen und mit Hilfe eines Katalysators aus Eisenoxid ein Gasgemisch aus Wasserstoff und Stickstoff reagieren zu lassen und schließlich Ammoniak zu synthetisieren. Dafür bekamen Fritz Haber und Carl Bosch 1918 den Nobelpreis. Ihr Verfahren benötigte zudem deutlich weniger Energie als zeitgleich entwickelte andere Methoden, Stickstoff aus der Luft zu gewinnen.

Bis dahin musste aus Chile stickstoffhaltiger Salpeter zur Ergänzung des Düngers aus dem Stall eingeführt werden. Erst mit dem Haber-Bosch-Verfahren wurde es möglich, zusätzlich mit Stickstoff Böden zu düngen, die Ernteerträge deutlich zu steigern und mehr Menschen ernähren zu können.

Ohne dieses Element Stickstoff gäbe es kein Leben. Es ist eines der wichtigsten Elemente in allen Organismen. Proteine, Nukleinsäuren, Vitamine, Hormone – Stickstoff ist ihr wichtigster Baustein. Das farb- und geruchslose Gas Stickstoff ist genau wie Sauerstoff die Grundlage des Lebens.

Doch wie so oft gibt es auch hier zwei Seiten: Stickstoffverbindungen können explodieren und sind damit auch Grundlage für Sprengstoff. Kein Wunder, dass das Militär große Mengen für den Ersten Weltkrieg verschlang. So nah liegen im Stickstoff Leben und Tod nebeneinander.

Nach dem Ersten Weltkrieg flossen erhebliche Stickstoffmengen wieder als Dünger in die Landwirtschaft und steigerten die Erträge. Die offizielle Jahresproduktion im Werk Oppau von 100.000 Tonnen Stickstoff entsprach, so errechnete die damalige BASF-Düngemittelabteilung, rund zwei Millionen Tonnen an zusätzlichem Getreide.

Digitalisierung
Null Produktivitätsfortschritt nach zehn Jahren Industrie 4.0
Bis dann die Katastrophe die Produktion lahmlegte. Für rund zwanzig Jahre nach der Explosion wurde in Oppau kein Ammonsulfatsalpeter mehr produziert. Die Produktionsverfahren wurden geändert, das Mischsalz mit Antibackmitteln vor Verkrustungen geschützt. Auch werden verhärtete Düngemittel nicht mehr mit Sprengstoff gelockert. 

Am Jahrestag besuchte BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller mehrere Gedenkstätten für die Opfer: »Das Unglück von damals, aber auch jeder andere Unfall, der sich in einem BASF-Werk ereignet, ist für uns eine eindringliche Mahnung«, sagte er. »Eine Mahnung, dass wir alles Erdenkliche dafür tun müssen, damit solch ein Unglück nicht wieder geschieht.«

Die Produktion ist mittlerweile deutlich sicherer geworden, in Ludwigshafen allein finden jährlich 300 Termine mit Überwachungsbehörden statt. Dennoch ist der Umgang mit Chemikalien nicht risikolos.

Auch Wasserstoff hat übrigens ein erhebliches zerstörerisches Potential – und soll dennoch die Grundlage einer neuen »Wasserstoffwirtschaft« bilden.

Ammoniumnitratverbindungen explodierten in Texas 1947, in Tianjin in China 2015. Im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut explodierten im vergangenen Jahr vermutlich große Mengen desselben Stoffes, Ammoniumnitrat. Mehr als 190 Menschen kamen nach offiziellen Angaben ums Leben, weite Bereiche des Hafens wurden zerstört, wobei die genauen Umstände immer noch unklar sind.

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