Tichys Einblick
Von "Schrumpfpimmeln" & Unwörtern des Jahres

Die Top-10 Entgleisungen der „Remigration“-Causa – Teil 1

Bislang galt Ludwig van Beethoven als Deutschlands Meister der Orchestrierung. Doch die mediale Kampagne, die auf die Correctiv-Veröffentlichungen folgte, dürfte ihm nun den Rang ablaufen. TE sammelte aus dem Empörung-Trommelfeuer die 10 bemerkenswertesten Entgleisungen aus Politik und Presse. Heute: die Plätze 10 bis 6.

IMAGO / Sven Simon

Pünktlich zur kippenden Stimmung im Land im Zuge der großen Sympathien und Zustimmung für die Bauernproteste, veröffentlichte das von u.a. Bundesministerien der Ampel finanzierte Medium Correctiv die Recherche zum vermeintlichen „Geheimplan gegen Deutschland“ – der bereits seit Jahren in Büchern nachzulesen ist. Ohne auch nur die Beschuldigten sich rechtfertigen zu lassen, setzte sich eine Welle der Empörung in Gang, deren zeitliche Koordination („Geheimtreffen“ November 2023 – Veröffentlichung zu Höhepunkt Bauernproteste, Absinken in Wählergunst, Rücktrittsforderungen an Ampel, Neuwahl-Rufe, Aufführung des Stoffes als Theaterstück in Berlin) vermuten lässt, dass dieses Mittel wohl schon lange in Schubladen parat lag.

Unbelegte Behauptungen der Recherche wurden noch vor deren Verifizierung zurechtinterpretiert im Sinne dessen, was damit „wirklich gemeint” wäre. Der Begriff der „Remigration“ eskalierte in Windeseile zur „Deportation“ und die Forderung nach einem Verbot der AfD – just in jenem Jahr, in dem sie in drei Landtagen zur deutlich stimmenstärksten Partei werden könnte – drang in den Vordergrund einer Debatte, die von der Ampel und ihren Medien kaum opportuner geführt werden könnte.

TE hat für Sie die Top-10 Ungeheuerlichkeiten und irrsinnigen Zitate dieser Neujahrskampagne zusammengefasst:

Platz 10. Kurt Krömers Faszination mit Björn Höckes „Schrumpfpimmel“

Erinnern Sie sich noch an Kurt Krömer, der sich einen Namen damit machte, dass er politisch unliebsamen Gästen (sprich: Nicht-Linken) in seiner Show „Chez Krömer“ mit untergriffigsten Methoden unter dem Deckmantel von Satire regelrechte Verhöre abrang? Gästen, die er öffentlich als „Arschlöcher“ bezeichnete, wenngleich manch unbedarfter Zuschauer in Verwirrung geraten konnte, wer denn nun eigentlich das Arschloch sei? Jener Krömer, der zum Ende seiner Show lieber über seine Gefühle, Alkoholprobleme und Depression sprechen wollte? Ja, genau diese empfindsame Seele fühlte sich nun bemüßigt, mal wieder ins Rampenlicht zu drängen und seine subtile Analyse des AfD-Chefs Björn Höcke kundzutun. Auf Instagram schrieb Krömer:

„Liebe AFD,
Mein Name ist Alexander Bojcan. Mein Opa ist damals aus Böhmen und Mähren nach Deutschland geflüchtet. Ich bin daher leider kein „reinrassiger Deutscher“. Und ich habe auch null Bock auf faschistische Strukturen in Deutschland.
Nur weil Björn Höcke auf Grund seines Schrumpfpimmels Komplexe hat, muss das ja jetzt nicht ein ganzes Land ausbaden.
Und wenn dann bald Millionen von Freunden von mir und ich aus Deutschland rausgeschmissen werden, kann ich dann direkt nach Bali auswandern oder wäre es zwingend notwendig in Nordafrika einen Stop einzulegen?
Die schweigende Mehrheit sollte jetzt langsam wach werden, sonst ist bald wieder 1933.
Und jetzt mal ehrlich „Heil Höcke“ hört sich echt scheiße an.
Love Habibis ❤️
PS: Hitler hatte auch nur ein Ei.
#SchweigendeMehrheitWachAuf“

Da ließ der Feingeist seinen Gefühlen freien Lauf, wenngleich der inhaltliche Teil seiner Kritik sicher noch ausbaufähig wäre. Der Medienlandschaft war das egal, tag24 titelte, Krömer „rechne mit AfD“ ab, t-online würdigte die unterstellten „Schrumpfpimmel-Komplexe“ sogar als „Breitseite“ gegen den AfD-Politiker. Der Focus hielt sich, in Kenntnis seiner Leserschaft, ein wenig zurück und bezeichnete die satirische Meisterleistung von Krömer als Frotzelei, gestand aber in einer Zitatkachel ein, dass Krömer für seinen AfD-Post Beifall ernte. Diesen erhielt er auf jeden Fall auch von der Berliner Zeitung, die ebenfalls von einer „Abrechnung“ sprach, die dieser „auf seine Art“ vornehme.

Für Krömer jedenfalls ein Gewinn, nach langer Zeit mal wieder mit Politanalyse „auf seine Art“ im Gespräch zu sein. Der politische Feuilleton dankte Krömer im Gegenzug dafür, mit seinem Vergleich den passenden Ton für die politische Debatte der Gegenwart gesetzt zu haben. Platz 10 für Krömer und sein obsessives Interesse an den Genitalien von Höcke.

Platz 9. „Remigration“: Das Unwort des Jahres

Ruprecht Polenz ist eine Legende. Ob nun in Abwanderungsdiskussionen von X, beim Wettstreit um die meisten Flaggen in seinen Social-Media-Profilen, oder beim ewigen Kampf gegen rechts: Polenz ist immer vorne dabei. Dafür durfte er diesmal als Gastjuror ein entscheidendes Wort bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2023 mitreden. Wenige Tage nach Veröffentlichung der Correctiv-Veröffentlichung wurde rein zufällig das Wort „Remigration“ – rechtzeitig bevor dieses in der öffentlichen Diskussion zugunsten des Begriffes „Deportation“ aufgegeben wurde – zum traurigen Gewinner der dubiosen Wahl gekürt. Die offizielle Pressemitteilung zitiert Polenz mit folgender Begründung:

„Der harmlos daherkommende Begriff Remigration wird von den völkischen Nationalisten der AfD und der Identitären Bewegung benutzt, um ihre wahren Absichten zu verschleiern: die Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft, selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Nach der Wahl zum „Unwort des Jahres“ sollte diese Täuschung mit Remigration nicht mehr so leicht gelingen.“

Die Umdeutung des Remigrationsbegriffes zur „Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft“ bedarf dabei auch keiner weiteren Erläuterung, das Wort des verdienten Polenz muss dabei genügen. Dank des Titels soll die Täuschung nun nicht mehr gelingen. Umgekehrt ließe sich mutmaßen, dass die Verleihung des Titels und dessen Begründung lediglich dem Gelingen der Umdeutung des Begriffes „Remigration“ dienen.

Doch warum handle es sich dabei um eine dubiose Wahl? Nun, es kann schon von einem glücklichen Zufall gesprochen werden, dass die Jury unter den Einsendungen das Gespür hatte, just diesen höchst aktuellen Kampfbegriff aufzugreifen und nur wenige Tage nach Publikation der Correctiv-Veröffentlichung auffallend zu flankieren. Denn unter den 2301 Einsendungen mit Vorschlägen fand sich nur 27-mal der Begriff „Remigration“. Begriffe wie „Kriegstüchtigkeit“ (71 Stimmen), „Sondervermögen“ (62 Stimmen), „Technologieoffenheit“ (78 Stimmen) und allen voran „Stolzmonat“ (982 Stimmen) übertrafen „Remigration“ bei weitem.

Dabei gab die Jury zu, dass von den 710 eingesandten Ausdrücken nur knapp 110 den geheimen „Unwort-Kriterien“ der Jury entsprachen. Die genannten Einsendungen, unter denen sich auch „Nachhaltigkeit“ (10 Stimmen) und „Klimakleber“ (20 Stimmen) fanden, entsprachen laut Pressenachricht „nicht zwingend“ den Kriterien der Jury. Kurzum: Ohne die Correctiv-Recherche wäre wohl „Stolzmonat“ das Unwort des Jahres geworden. Aber das wäre wohl ebenso wie letzten Juni nur nach hinten los gegangen.

Platz 8. Stern: „Haben Sie ANGST vor einem Attentat, Herr Habeck?“

Wenn jemand wie Robert Habeck in seiner Funktion als Wirtschaftsminister so viele Entscheidungen trifft, die Deutschland wirtschaftlich so hart treffen, dann darf man sich über Unmut nicht wundern. Dennoch entpuppte sich der „Sturm“ auf die Fähre Habecks eher als Sturm im Wasserglas, genauer gesagt: Von einem Sturm konnte keine Rede sein.

Das hält aber den Stern, der eine lange Geschichte grenzüberschreitender und agitatorischer Cover – von Donald Trump unter dem Titel „Sein Kampf“ bis zu Alice Weidels „Hass“-Cover in Frakturschrift – aufweisen kann, nicht ab, auch hier wieder in die Vollen zu langen. Diesmal erfolgt der Angriff gegen die rechte Gefahr aber, im Gegensatz zu Trump und Weidel, indirekt, indem nahegelegt wird, Habeck unterliege einer höheren Attentatsgefahr, die natürlich nur von rechts kommen kann.

Nicht nur wird damit die Protestbewegung der Bauern diffamiert, auch der Kontrast zu Anschlägen und Drohungen auf AfD-Politiker wird bequemerweise ausgeblendet. Die reale Verzweiflung weiter Teile der Bevölkerung, die unter dem Deindustrialisierungsminister mit zweifelhaftem Verständnis von Insolvenzen leidet, wird als Wut unzufriedener Rechter abgetan. Klappe halten, Untertan, und weiter arbeiten – die Radwege in Peru zahlen sich nicht von selbst!

Platz 7. Lars Klingbeil: „Jahr des Kampfes“ gegen die AfD

Von der Kanzlerpartei SPD sollte man eigentlich vermuten, dass sie gelungene Regierungspolitik für sich und gegen die Opposition sprechen lässt. Nicht aber im besten Ampel-Deutschland aller Zeiten, wo regelmäßig selbst die Opposition der CDU in die Pflicht genommen wird, sie möge doch die Ampel bei ihrem Umbau der Gesellschaft ideologisch unterstützen. Dieser Ausgrenzung der AfD noch nicht genug, erklärte nun der Vorsitzende Lars Klingbeil, dass die SPD sich in diesem Jahr besonders dem Kampf gegen die Opposition widmen würde, da diese das Land kaputtmachen würde.

Anstatt im dritten vollständigen Regierungsjahr endlich mal wieder für ein wenig – verrückte Idee! – sozialdemokratische Errungenschaften zugunsten der arbeitenden Bevölkerung hinzuarbeiten, legt Klingbeil also den Fokus darauf, „herauszuarbeiten, wie sich dieses Land verändern würde, wenn die AfD das Ruder übernehmen könnte“. Womöglich fürchtet sich Klingbeil vor der Konkurrenz, denn die AfD „gefährde unseren Wohlstand und unsere Zukunft“ – dabei weiß doch jedes Kind, dass Wohlstandsgefährdung eigentlich eine Kerndomäne der Ampel ist!

Denn, so Klingbeil, schon bald würde „die AfD durchs Land gehen und alle aussortieren“ wollen, „deren Nachname oder Hautfarbe ihr nicht passt“. Dabei handle es sich natürlich um all „diejenigen, die überall in diesem Land dazu beitragen, dass der Laden läuft“. Wer sich hier an die nicht eingetretenen Horrorprognosen eines verhungernden Großbritanniens infolge des Brexit erinnert fühlt, ist schlicht und einfach nur rechts.

Platz 6. Habeck: AfD will „aus Deutschland einen Staat wie Russland machen“

Das Stern-Interview mit Robert Habeck hatte nicht nur ein provokantes Cover zu bieten, auch der Vizekanzler präsentierte sich passend in agitatorischer Hochform. Die AfD greife das „Wesen der Republik“ an und wolle „aus Deutschland einen Staat wie Russland machen“. Es handelt sich dabei um den häufig geäußerten Vorwurf, die AfD wolle die Demokratie aushebeln, Habeck selbst sieht die Einheitsparteien diesseits der Brandmauer als die „demokratischen Parteien“, die unabhängig von einem Verbotsverfahren „so oder so“ die AfD schlagen müssten.

Es ist nicht das letzte Mal in dieser Liste, dass die neuesten Lieblingsmethoden der Demokraten zum Schutz der Demokratie – anti-demokratische Verbote – herangezogen werden. Praktisch, dass die deutschen Medien das Bejubeln „anti-demokratischer Mittel zum Schutze der Demokratie“ bereits seit Wochen in Polen üben konnten, um somit für den nun eintretenden Ernstfall in Deutschland gewappnet zu sein.

Habeck ist mit dieser Meinung aber natürlich nicht allein. Der Koalitionspartner FDP ist sich ebenfalls sicher: „Die AfD will unserem Land schaden“. Tja, da können die Anfänger von der AfD noch was lernen, denn was sie angeblich wollen, beherrscht die Ampel schon längst. Und der bereits zuvor erwähnte Ruprecht Polenz weiß die Habeck-These ebenfalls weiterzuspinnen, denn die AfD wolle Deutschland nicht zu Russland machen, schlimmer noch, sie wolle „Deutschland zu Russlands Vasall machen“.

***

Schwer vorstellbar, dass es sich hier nur um die Plätze 10 bis 6 handelte. Und dennoch hat eine fachkundige unabhängige Jury (lies: der Autor) nach langem Ringen beschlossen, dass die Plätze 5 bis 1 dies noch einmal übertreffen. Diese können Sie morgen in Teil 2 der Top-10 Entgleisungen der Remigrations-Causa nachlesen. Verpassen Sie sie nicht, es sind manche Perlen dabei!

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