Nun wird er es also doch. Es war lange gemunkelt worden, gerade nach seinem phänomenalen Neueinstieg in den Berliner Orchestergraben mit Wagners „Ring des Nibelungen“ im vergangenen Herbst (für Interessierte gibt es hier noch die Kritik des Verfassers zum Ereignis). Das Berliner Publikum badete den Stardirigenten und Sohn der Stadt Christian Thielemann förmlich im Applaus, als die „Walküre“ mit Feuerzauber und Wotans Abschied über die Bühne gegangen war. Kenner erkannten eine inoffizielle Inthronisation per Akklamation von Christian Thielemann als Nachfolger des eigentlich auf Lebenszeit gewählten Generalmusikdirektors Daniel Barenboim. Anfang des Jahres war der gebürtige Argentinier dann aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt zurückgetreten, das ihm vor über 30 Jahren übertragen worden war. Damit geht eine Ära an dem Haus zu Ende, die nicht immer ohne Skandal war, und eine neue Zeit beginnt.
Als Thielemann im Mai 2021 in Dresden von einer CDU-Staatsministerin für Kultur und Tourismus entlassen wurde, hätte kaum einer an so etwas geglaubt. Man möchte nicht zu sehr an die Dresdner Geschehnisse erinnern, aber es muss doch gesagt werden, dass die Staatsministerin Barbara Klepsch damals wild in die Ausrichtung und Programmatik der Dresdner Semperoper und Staatskapelle hineinregierte und verschiedene „Neuerungen“ forderte. „Eine Oper in zehn Jahren“, hieß es da, „wird eine andere als die Oper von heute sein: Sie wird teilweise neue Wege zwischen tradierten Opern- und Konzertaufführungen und zeitgemäßer Interpretation von Musiktheater und konzertanter Kunst gehen müssen.“
Das klang zum einen nach der üblichen Einheitskost, die deutsche „Kulturpolitiker“ den Bühnen und Orchestern im Land heute flächendeckend verschreiben: Ein wenig Tradition und ganz viel „Neues“, „Zeitgemäßes“, „Musiktheatrales“ sollen daneben „neue Publikumsschichten“ eröffnen, was alles andere als sicher ist. Dass das mit dem politisch und künstlerisch eher konservativ tickenden Thielemann nicht zu machen sei, war der Subtext dieser Beförderung aufs Abstellgleis, obwohl der Dirigent eindeutig zum musikalischen Rang Dresdens beigetragen hatte. In Dresden waren auch die Musiker der Staatskapelle an den Rand der Entscheidungspyramide befördert worden. Ein Votum der Orchestermusiker war nicht eingeholt worden, wie TE damals aus Staatskapellenkreisen erfuhr. Mitbestimmung ist in solchen traditionellen Klangkörpern sonst guter Brauch.
Chialo: Hätte eine Frau mit Migrationshintergrund bevorzugt
Was Dresden verlor, kann Berlin nun für sich verbuchen. Der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) gab in einer Pressekonferenz bekannt, dass Thielemann der Leiter der Berliner Staatsoper Unter den Linden wird. So weit alles in Ordnung. Mit Christian Thielemann gewinne man „nicht nur einen Dirigenten von Weltrang, sondern auch den logischen Nachfolger des großen Maestros und Ehrenbürger Berlins, Daniel Barenboim“. Chialo freut sich sehr, dem Vorschlag des Hauses folgen zu können: „Mit ihm sichern wir höchste musikalische Exzellenz für unsere Stadt.“
Und doch hatte Chialo vorher etwas ganz anderes verlauten lassen, an das er sich dann – glücklicherweise – doch nicht hielt. Der berichtende MDR – in der Angelegenheit „vulnerabel“ durch den Thielemann-Abschied aus Dresden 2021 – zitiert Chialo vor der definitiven Vergabe so: „Wenn ich eine gleichwertige Exzellenz bei zwei Kandidaten habe, würde ich immer eine Frau bevorzugen. Und wenn wir eine Frau mit Migrationshintergrund finden würden, dann wäre es natürlich noch toller.“
Das ging also noch einmal gut für den weißen Mann, der Thielemann nun einmal ist. Der MDR findet es so halb gut und nimmt auch auf ältere Berliner Querelen Bezug, als Thielemann schon einmal musikalischer Chef der Deutschen Oper gewesen war. Doch das ist nun wirklich ewig her, 2004 trat Thielemann in seiner Heimatstadt Berlin ab und wechselte zu den Münchner Philharmonikern: „Die Berufung zum Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper war nicht nur wegen dieser Vorgeschichte keine Selbstverständlichkeit.“ Auch Chialo will natürlich „Türen für eine moderne Zukunft aufmachen“. Doch nun steht laut MDR „dennoch ein etablierter Mann an der Spitze des Orchesters“. Wirklich? Etabliert ist Thielemann schon, aber teils eben auch als Feindbild des Establishments linker oder sonstwie wohlmeinender Observanz (siehe Sachsens CDU).
Man darf hoffen, dass es diesmal hält und vielleicht noch eine Verlängerung herausspringt. Dass die Dinge nun so dahin schippern ist mit dem durchaus experimentierfreudigen Thielemann wohl ausgeschlossen. Und dann sind da ja noch die Quoten-Mihigru-Damen, die Senator Chialo dem Generalmusikdirektor eventuell vor die Nase setzen wird, mit denen es dann eventuell zu Ärger kommen kann. Aber vielleicht gibt es ja auch noch einmal wieder schöne Aufführungen, bei denen sich ein Team sicher und einig ist, was es erreichen will und das auch dank einer solid-ingeniösen Konzeption schafft – ganz ohne Missklang. Man darf noch hoffen.