Tichys Einblick
Fallen, Minen, Stolperdraht

Tatort mit wahrem Hintergrund wird zum Hindernislauf

Wenn die Website der ARD keine Fülle von Kommentaren, Interviews und Zitaten über eine Tatort-Folge bietet, dann sollte man hellhörig werden. Es gibt wohl zu viele Parallelen mit einem echten Fall, bei dem eine Freiburger Studentin von einem afghanischen Geflüchteten vergewaltigt und ermordet worden war.

Screenprint: ARD / tatort

Für den neuen Fall „Die Rache an der Welt“ finden sich in der Mediathek der ARD nur der Trailer und eine Kurzbeschreibung. Darin erfährt man über den Ort des Verbrechens: „Die heile Welt von Göttingen wird erschüttert durch einen Serientriebtäter, der an abgelegenen Ecken Frauen auflauert.“ Doch so heile scheint die Welt in Göttingen gar nicht zu sein.

Noch während der Sittenstrolch, wegen seines nordischen Dolches „der Wikinger“ genannt, sein Unwesen treibt, werden Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler kann feiern, 20 Jahre Tatortkommissarin zu sein) zur Leiche einer jungen Frau gerufen, die brutal vergewaltigt und ermordet wurde. Sie war in der Flüchtlingshilfe aktiv und nicht weit vom Tatort entfernt liegt ein Fußballplatz, auf dem viele Flüchtlinge an einer Dauerfußballveranstaltung teilnehmen.

Lindholm gibt, um den Verdacht, dass der Täter aus deren Reihen kommt, gleich auszuräumen, einen für die deutschen Behörden nicht zulässigen, erweiterten Gentest in den Niederlanden in Auftrag. Jedoch: Das Ergebnis legt nahe, dass es sich bei dem Vergewaltiger nicht um einen Mitteleuropäer handelt. Schlimmer noch: Ein Zeuge meint, ein vom Tatort Geflüchteter habe Migrationshintergrund. Außerdem wird der „Wikinger“ geschnappt: Es ist ein Biodeutscher aus einem Vorstadtreihenhaus.

Die Süddeutsche Zeitung ist irritiert, denn Lindholm stört bei ihren Ermittlungen Flüchtlinge beim Rekordfußballspiel, nutzt einen spröden Tonfall bei Befragungen, und insgesamt sind ihr darin „viele überzeichnete Figuren unterwegs: Schon der Parade-Hater am Anfang sabbelt von stechenden Augen und dunkler Ausstrahlung“ – das sei ein Tatort mit Anspruch, so die Zeitung, „bei dem die Story der Relevanz des Themas nicht gerecht werde“.

Aber ganz im Gegenteil, muss man da anmerken, denn hasserfüllte Deutsche hat der Film eigentlich ausgespart. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum er Einige irritiert. Denn der rüstige Zeuge zum Beispiel (Süddeutsche: „der Hater“) schildert der schwarzen Ermittlerin Schmitz (Florence Kasumba), ohne die geringste Scheu oder eine Miene zu verziehen, den verdächtigen dunklen Fahrradfahrer, bei dem „nur das Hemd nicht schwarz gewesen sei“. Platzwart Henry (Sascha Alexander Gersak) umarmt keck die muslimische Würstelbraterin und lässt ganz unkorrekt-teutonisch den für ihren Rekordversuch eingesperrten Dauerfußballspielern ein Flucht-Türchen für Stadtausflüge offen.

Der Freund des Opfers Elmo (Leonard Carow) hat nicht nur sein Fahrrad inklusive Code fürs Fahrradschloss dem ganzen Asylbewerberheim geborgt, sondern reagiert, selbst als seine Freundin dem späteren Hauptverdächtigen Munir Kerdagli (Eidin Jalali) schöne Augen macht, „entspannt“. Rentnerehepaar Kaul (Michaela Hanser und Jogi Kaiser), das Flüchtlinge bei sich aufnimmt, ist „dankbar für das Geschenk des Austauschs und so zu begreifen, was auf der Welt los ist“, und bekommt bei der Erinnerung feuchte Augen. Währenddessen spielt im Dachgeschoss eine Afrikanerin für einen Geflüchteten Klavier.

Die falschen Bilder im falschen Film?

Die „Zeit“ findet, der Film setze sich mit dem Mord „auf plakative, unterreflektierte Weise auseinander“, das ganze Projekt (des Films, Anmerkung) sei infam. „Da will ein Verantwortlicher (Redakteur Granderath) in einem strukturkonservativen öffentlich-rechtlichen Sender, dem das Dauergelärm der AfD erfolgreich eingeredet hat, er stünde kurz vor der Linksradikalität, einmal tapfer heiße Eisen anpacken – und dann kommt eine Geschichte dabei heraus, die komplett besinnungslos durch die rassistischen Bildarchive surft“.

Für SWR3 hat der Tatort „nicht funktioniert“, denn er sei „viel zu intellektuell. Zu kompliziert. Die Szenen sind immer trist, auch oft langweilig und altbacken gefilmt“.

Man begreift nach einigen Schlüsselszenen, was Buch (Daniel Nocke) und Regie (Stefan Krohmer) hier trotz der bemüht harmonischen Darstellung von Flüchtlingsarbeit falsch gemacht haben: Sie hätten zunächst einmal nie den echten Freiburger Mordfall und dessen heimtückischen Hintergründe (Helferin wird vom Schützling missbraucht und umgebracht) zur Grundlage der Geschichte machen dürfen. Vielleicht haben sie diese giftige Mischung einfach unterschätzt. Und obwohl das Narrativ der einen politischen Seite mit den oben geschilderten Szenen durchaus bedient wurde – Wir schaffen es, bunt, vielfältig und weltoffen zu sein –, haben sie zugelassen, dass eine ganze Reihe von Misstönen die eigentlich positive Stimmung zum Kippen bringen.

Deshalb sieht der Krimi-Kolumnist der Augsburger Allgemeinen „zu starke Anleihen an einem echten Fall …, dem einer Freiburger Studentin, die 2016 von einem afghanischen Geflüchteten vergewaltigt und ermordet worden war.“ In diesem derart gesellschaftspolitisch überladenen „Tatort“ werde das zum Filmstoff und führe zu einem bemühten Spiel mit dem Thema „politische Korrektheit“. „Schließlich wird ein gut integrierter und zum Glück nicht stereotyp gezeichneter Geflüchteter verdächtigt, eine deutsche Flüchtlingshelferin vergewaltigt und ermordet zu haben.“ Und „alle haben Angst, etwas falsch zu machen“, heiße es im Presseheft.

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