Tichys Einblick
Semperoper ohne Thielemann

Staatsministerin cancelt Christian Thielemann aus »politischer Weitsicht«

Für einige Kritiker ist er der »Inbegriff des konservativen deutschen Dirigenten«. So einer ist vielen im Kulturbetrieb nicht recht. Nun hat auch die zuständige CDU-Ministerin mit dem Stardirigenten gebrochen. Ein Feuer- und Charakterkopf der Musik soll gegangen werden.

IMAGO / ddbd

Nach acht Jahren an der Spitze der Sächsischen Staatskapelle wird der Vertrag des international gefeierten Dirigenten Christian Thielemann nicht über das Jahr 2024 hinaus verlängert. Zugleich soll auch Intendant Peter Theiler die Semperoper verlassen. Das – vor allem der Abgang des internationalen Stars Thielemann – ist eigentlich schon kein Paukenschlag mehr. Hier hat einer in die Pauke hineingehauen. Und dementsprechend schockiert ist die Musikwelt derzeit. Der Orchestervorstand der Staatskapelle war zu keinem Kommentar bereit.

Wie Hohn und Naivität klingt da die Beteuerung der zuständigen Staatsministerin für Kultur und Tourismus, Barbara Klepsch, sie würde sich freuen, »wenn Christian Thielemann mit seinem weltweit geachteten Profil auch weiterhin der Semperoper künstlerisch verbunden bleibt«. Kenner weisen darauf hin, dass Spitzentalente wie Thielemann – vielleicht besonders er – etwas anders ticken, und das wäre in diesem Fall durchaus verständlich. Warum sollte er an das Haus zurückkehren, das ihn offiziell verschmäht und seine Kunst als obsolet hinstellt?

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Was nach 2024 kommen soll, nennt man im Dresdner Kulturministerium geradezu pompös »Perspektive Semper 2030«. Das entspricht einem Tritt in den Rücken des gefeierten Dirigenten. Thielemann wird quasi als nicht zukunftsfähig bezeichnet, was schon ziemlich verwegen ist bei einem Musiker, der wie kein zweiter heute einen Kult der Spontaneität treibt, bei dem auch Altbekanntes neu klang, weil er die Geschichte eines Werks beim Dirigieren offenlegen konnte.
Grünschwarzes Kulturgemurmel

Man sehe schon, »was heute gut ist«, denke aber auch an das »Übermorgen der Oper«, verteidigt die Staatsministerin eine Entscheidung, von der sie weiß, dass sie unpopulär ist. Aber sie setzt auch nach und lässt dabei ihre Agenda überdeutlich werden: »Eine Oper in zehn Jahren wird eine andere als die Oper von heute sein: Sie wird teilweise neue Wege zwischen tradierten Opern- und Konzertaufführungen und zeitgemäßer Interpretation von Musiktheater und konzertanter Kunst gehen müssen.« Die Politik bekundet unverhohlen ihren Wunsch, in die Programmatik von Staatskapelle und Semperoper hineinzuregieren. Und insofern ist es positiv, dass sich Klepsch zu diesem »müssen« am Ende entschlossen hat. So weiß man gleich, was sie von künstlerischer Freiheit hält. Insgesamt ist das ein grünschwarzes Kulturgemurmel – und ein inkompetentes zudem, denn es gibt eigentlich weder ein »Musiktheater« noch eine »konzertante Kunst«.

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Gedacht haben will Klepsch natürlich auch an den Zugewinn neuer Publikumsschichten. Aber warum sollten die eigentlich von der Einheitskost begeistert sein, die sie offenbar im Anschluss an einen selbstbezüglichen Kulturbetrieb favorisiert? Dass die Staatsministerin dabei die digitalen Angebote hervorhebt, zeigt noch einmal ihre Ahnungslosigkeit von der Sache, über die sie bestimmen will: Echte Konzerterlebnisse gibt es nur analog. Vielleicht ist Thielemann ja sogar froh, nicht zwangsweise an einem solchen Kunstverhau beteiligt zu werden. Sein avisierter Dresdner Abgang bleibt trotzdem eine traurige Nachricht, die die Stadt, Sachsen und Deutschland ärmer machen wird.

Geknirscht hatte es im Gebälk der Semperoper erst jüngst, als Thielemann für mehr und bessere Konzerte in Zeiten von Corona & Co. eintrat. Der Dirigent und sein Orchester wollten im Februar die symphonische Dichtung »Ein Heldenleben« von Richard Strauss aufführen, wozu nun einmal 100 Musiker vonnöten sind. Als Intendant Theiler ihm ein Stück mit kleinerer Besetzung vorschlug, wollte Thielemann das mit Verweis auf Österreich, wo große Aufführungen schon im Sommer 2020 möglich waren, nicht akzeptieren. Zuvor hatten fünf Musiker der Staatskapelle ihr Recht auf Arbeit beim Arbeitsgericht Dresden eingeklagt. Thielemann und der Orchestervorstand der Staatskapelle äußerten öffentlich Kritik an Theiler; der vermisste die Loyalität des Dirigenten.

Politik gegen künstlerische Paukenschläge

Beinahe schon wahrheitsgemäß hat der heimische MDR das Geschehen in einem Interview irgendwo zwischen Neusprech und Klartext erläutert. Der Radioredakteur fragt, ob die Kulturministerin mit dieser Entscheidung eventuell »einfach ihren Job mit politischer Weitsicht« ausfülle. Aber was sollte das in diesem Fall eigentlich sein, »politische Weitsicht«? Es kann wohl nur eines heißen: dass Thielemann aufgrund seiner kaum übersehbaren politischen Haltung den Verantwortlichen nicht mehr genehm war.

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Der MDR-Klassik-Redakteur Michael Ernst sieht das tatsächlich auch etwas kritisch, erkennt eine Brüskierung Thielemanns, von der freilich sein Gegenüber nicht viel erfahren will. Tatsächlich sind Vertragsverlängerungen auch bei weniger glänzenden Leistungen vielerorts die Regel. Manche Chefdirigenten und Generalmusikdirektoren haben ihren Posten ganz offiziell auf Lebenszeit. Aber das geht natürlich nur gut, solange sie ihren Job mit unauffälliger Effizienz verrichten, also nicht durch unbequeme Meinungen oder künstlerische Paukenschläge auffallen, die ja immer auch Ansatzpunkte zur Kritik ergeben.

Thielemann und die Dresdner waren eine Traummatch. Der Dirigent erdete und dynamisierte dieses Spitzenorchester, das sich bis heute einen so raffiniert-traditionsseligen Klang bewahrt hat, wie man ihn kaum sonstwo im deutschsprachigen Raum zu hören bekommt. Nicht nur die von Thielemann dirigierte Ring-Tetralogie sorgte für jubelnde Kritiken. So baute er ein Publikum für die Semperoper auf, das ihm auch aus der Ferne die Treue hielt. Viele reisten eigens für die Aufführungen an – was wohl genug Beweis für den wirtschaftlich-touristischen Mehrwert eines Opernhauses mit Ausstrahlung ist. Dazu hat auch der unverwechselbare Feuer- und Charakterkopf Thielemann beigetragen.

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