Nach acht Jahren an der Spitze der Sächsischen Staatskapelle wird der Vertrag des international gefeierten Dirigenten Christian Thielemann nicht über das Jahr 2024 hinaus verlängert. Zugleich soll auch Intendant Peter Theiler die Semperoper verlassen. Das – vor allem der Abgang des internationalen Stars Thielemann – ist eigentlich schon kein Paukenschlag mehr. Hier hat einer in die Pauke hineingehauen. Und dementsprechend schockiert ist die Musikwelt derzeit. Der Orchestervorstand der Staatskapelle war zu keinem Kommentar bereit.
Wie Hohn und Naivität klingt da die Beteuerung der zuständigen Staatsministerin für Kultur und Tourismus, Barbara Klepsch, sie würde sich freuen, »wenn Christian Thielemann mit seinem weltweit geachteten Profil auch weiterhin der Semperoper künstlerisch verbunden bleibt«. Kenner weisen darauf hin, dass Spitzentalente wie Thielemann – vielleicht besonders er – etwas anders ticken, und das wäre in diesem Fall durchaus verständlich. Warum sollte er an das Haus zurückkehren, das ihn offiziell verschmäht und seine Kunst als obsolet hinstellt?
Grünschwarzes Kulturgemurmel
Man sehe schon, »was heute gut ist«, denke aber auch an das »Übermorgen der Oper«, verteidigt die Staatsministerin eine Entscheidung, von der sie weiß, dass sie unpopulär ist. Aber sie setzt auch nach und lässt dabei ihre Agenda überdeutlich werden: »Eine Oper in zehn Jahren wird eine andere als die Oper von heute sein: Sie wird teilweise neue Wege zwischen tradierten Opern- und Konzertaufführungen und zeitgemäßer Interpretation von Musiktheater und konzertanter Kunst gehen müssen.« Die Politik bekundet unverhohlen ihren Wunsch, in die Programmatik von Staatskapelle und Semperoper hineinzuregieren. Und insofern ist es positiv, dass sich Klepsch zu diesem »müssen« am Ende entschlossen hat. So weiß man gleich, was sie von künstlerischer Freiheit hält. Insgesamt ist das ein grünschwarzes Kulturgemurmel – und ein inkompetentes zudem, denn es gibt eigentlich weder ein »Musiktheater« noch eine »konzertante Kunst«.
Geknirscht hatte es im Gebälk der Semperoper erst jüngst, als Thielemann für mehr und bessere Konzerte in Zeiten von Corona & Co. eintrat. Der Dirigent und sein Orchester wollten im Februar die symphonische Dichtung »Ein Heldenleben« von Richard Strauss aufführen, wozu nun einmal 100 Musiker vonnöten sind. Als Intendant Theiler ihm ein Stück mit kleinerer Besetzung vorschlug, wollte Thielemann das mit Verweis auf Österreich, wo große Aufführungen schon im Sommer 2020 möglich waren, nicht akzeptieren. Zuvor hatten fünf Musiker der Staatskapelle ihr Recht auf Arbeit beim Arbeitsgericht Dresden eingeklagt. Thielemann und der Orchestervorstand der Staatskapelle äußerten öffentlich Kritik an Theiler; der vermisste die Loyalität des Dirigenten.
Politik gegen künstlerische Paukenschläge
Beinahe schon wahrheitsgemäß hat der heimische MDR das Geschehen in einem Interview irgendwo zwischen Neusprech und Klartext erläutert. Der Radioredakteur fragt, ob die Kulturministerin mit dieser Entscheidung eventuell »einfach ihren Job mit politischer Weitsicht« ausfülle. Aber was sollte das in diesem Fall eigentlich sein, »politische Weitsicht«? Es kann wohl nur eines heißen: dass Thielemann aufgrund seiner kaum übersehbaren politischen Haltung den Verantwortlichen nicht mehr genehm war.
Thielemann und die Dresdner waren eine Traummatch. Der Dirigent erdete und dynamisierte dieses Spitzenorchester, das sich bis heute einen so raffiniert-traditionsseligen Klang bewahrt hat, wie man ihn kaum sonstwo im deutschsprachigen Raum zu hören bekommt. Nicht nur die von Thielemann dirigierte Ring-Tetralogie sorgte für jubelnde Kritiken. So baute er ein Publikum für die Semperoper auf, das ihm auch aus der Ferne die Treue hielt. Viele reisten eigens für die Aufführungen an – was wohl genug Beweis für den wirtschaftlich-touristischen Mehrwert eines Opernhauses mit Ausstrahlung ist. Dazu hat auch der unverwechselbare Feuer- und Charakterkopf Thielemann beigetragen.