Tichys Einblick
Klagen gegen Ballard:

Sound of Freedom: Was bleibt, wenn die Fassade bröckelt?

Der Überaschungshit „Sound of Freedom“ erreichte nun endlich deutsche Kinos, aber dunkle Wolken trüben mittlerweile den Horizont eines Films, der dem Zeitgeist des moralischen Relativismus mit einer unapologetischen Portion absoluter Moral entgegentritt.

IMAGO / Everett Collection

Fast ein halbes Jahr hat es gedauert, bis der Überaschungshit dieses Sommers auch deutsche Kinos erreicht hat, aber gestern war es soweit. Der Film „Sound of Freedom“, der am amerikanischen Unabhängigkeitstag selbst Indiana Jones hinter sich ließ, lief nun endlich auch in deutschen Kinos an.

Der Film wurde seit Monaten mit Spannung erwartet, immer wieder erreichten uns auch in der Redaktion Nachfragen, ob und wann der Film nach Deutschland kommen würde. „Sound of Freedom“ wurde zum kulturellen Phänomen, noch bevor ihn jemand hierzulande sehen konnte.

Entscheidend war dabei sicherlich auch die politische Kontroverse rund um den Film. Die Geschichte von der konservativen Kleinproduktion, die von großen Konzernen unterdrückt, ja sogar versteckt wurde, die sich dann dennoch den Weg in die Öffentlichkeit bahnte, selbst dort auf Ablehnung und Diffamierung von Seiten der Mainstreammedien stieß, sich aber trotz aller Widrigkeiten dennoch durchsetzte und zum Überraschungserfolg des Jahres wurde, zog Menschen weltweit in ihren Bann.

Es ist eine fast schon altmodisch anmutende Erfolgsgeschichte des Underdogs, der beharrlich die sich ihm stellenden Hindernisse überwindet und zum Schluss dennoch triumphiert. Die Struktur einer Geschichte, die früher ganz selbstverständlich schien, uns aber in unseren zynischen Zeiten fast unmöglich und unglaubwürdig, ja beinahe kindlich naiv erscheinen möchte. Sind wir zu zynisch, oder ist die Geschichte zu schön, um wahr zu sein?

Klassische Erzählstrukturen

Auch die Handlung folgt genau jenem klassischen Schema: Tim Ballard, gespielt von Jim Caviezel, war Mitarbeiter der Homeland Security und fing Menschenhändler und Pädophile an der mexikanisch-amerikanischen Grenze ab. Als er jedoch einen 8-jährigen Jungen aus den Fängen von Pädophilen befreit, bittet dieser ihn, seine Schwester zu retten. Ballard überzeugt zunächst seinen Chef, eine Undercoveraktion in Südamerika zu genehmigen, doch als man ihn mangels unmittelbarer Resultate abziehen möchte, kündigt er seinen Job und macht sich auf eigene Faust (aber mit finanzieller Unterstützung von Spendern) daran, die Schwester des Jungen zu finden und zu befreien.

Die womöglich größte Sorge war vor der Veröffentlichung, dass der Film zwar eine emotionale und moralische Botschaft habe, die Umsetzung aber in den Kitsch abgleiten könnte. Christliche Botschaften spielen zwar nicht durchgehend, aber an zentralen Punkten im Film eine wichtige Rolle. Die Angst, es könnte sich dabei um einen christlichen B-Movie handeln, der nur durch die Intensität des Kulturkampfs zum Widerstandssymbol dieses Sommers wurde, bewahrheitete sich glücklicherweise nicht. Der Film entspricht modernen Standards, ist kompetent gefilmt und Jim Caviezel schafft es, ein bemerkenswertes Charisma zu versprühen, was ihm vor allem mit seinem sporadischen Lächeln, das die ansonsten stoisch-betroffene Erscheinung durchbricht, gelingt.

Sound of Freedom ist kein visionäres cineastisches Ereignis wie es Kubrick, Malick, oder Tarkovsky hingezaubert hätten. Es ist ein handwerklich gut gemachter Film, der eine emotional bewegende Geschichte erzählt, die einen tatsächlich immer wieder zweifeln lässt, ob die Dinge sich tatsächlich so zugetragen haben können. Ballard selbst gab sich bei der Bewerbung des Films bescheiden und sagte, der Film würde ihn viel heldenhafter wirken lassen, als er es in der Realität war. So war bekannt, dass zumindest die abschließende Sequenz, bei der sich Ballard alleine als Arzt verkleidet in die Hände kolumbianischer Rebellen begab, in dieser Form nie stattgefunden hatte. Es könnte nicht die einzige Diskrepanz gewesen sein.

Die Einfachheit der Struktur erinnert bei „Sound of Freedom“ an Filme der 1980er Jahre. Anstelle der heutzutage omnipräsenten Antihelden mit Schwächen und Bösewichten mit nachvollziehbaren Motivationen, bietet „Sound of Freedom“ mit Ballard einen Helden, der stets bemüht ist, das Richtige zu tun und dessen Herausforderungen nicht aus seiner inneren Zerrissenheit stammen, sondern äußerlicher Natur sind. Ballard ist gut und will Gutes tun, die Schergen sind böse, tun Böses und weisen keine guten Eigenschaften auf.

Kein Messias, aber getragen vom Glauben

Dennoch sind sie aber nicht einfach nur Karikaturen. Die Gefahr, Ballard als überlebensgroßen GI-Joe-Verschnitt auf Heldentour gehen zu lassen, muss groß gewesen sein, zumal Jim Caviezel ja bereits als Jesus in der „Passion Christi“ Erfahrung als Messias gesammelt hatte. In „Sound of Freedom“ ist er aber, trotz durchgängig positiver Charakterzüge keine messianische Figur, sondern erinnert in seiner Verbissenheit eher an Rächer, wie einst Charles Bronson, oder wie Liam Neeson in den „Taken“-Filmen, nur dass Ballard eigentlich niemanden töten möchte, sondern nur Kinder retten. Eine Art MacGyver also.

Es ist unumgänglich, an dieser Stelle Ballards Glauben zu thematisieren, der den Film zwar unterschwellig mitträgt, aber nur an einigen zentralen Momenten explizit zum Vorschein kommt. Ballard war – zumindest bis vor kurzem – Mitglied der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“, besser bekannt als die größte mormonische Kirche. Das Mormonentum wird in dem Film an keiner Stelle explizit beworben, genauso wenig wie der typische amerikanische Exzeptionalismus, den man bei einem Titel wie „Sound of Freedom“ erwarten könnte.

Das erste Mal wird der Glaube als treibende Kraft offensichtlich, als Ballard, der sich verstellt hatte, um von einem Pädophilen Informationen über Menschenhändler zu erhalten, kurz bevor er sein Gegenüber festnehmen lässt, sich ihm mit dem Bibelzitat aus Lukas 17,2 offenbart: „Es wäre besser für ihn, er würde mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen werden, als dass er einem dieser Kleinen zum Bösen verführt.“ Es ist dies auch die erste Szene, in der Caviezel sein Lächeln zeigt.

Zu einem späteren Zeitpunkt des Films ist es der geläuterte Charakter Vampiro, der von seinem Wandel vom Saulus zum Paulus erzählte: „Wenn Gott Dir sagt, was Du tun sollst, kannst Du nicht zögern.“ Und zu guter Letzt verzichtete der Film auf eine weitaus dramatischere Version der Entscheidung Ballards, seinen Job aufzugeben, als er Ballards Ehefrau (gespielt von Mira Sorvino) die Rolle der verständnisvollen Frau zuweist, die Ballard in seiner riskanten Entscheidung unterstützt.

Hier hätte die kolportierte Realität tatsächlich ein wenig Nuance in die Charaktere bringen können, denn Ballard gab zu, damals von großen Zweifeln geplagt gewesen zu sein, und hatte gehofft, dass seine Frau ihn dazu auffordern würde, heimzukommen. Stattdessen soll sie gesagt haben: „Ich werde nicht zulassen, dass Du mein Seelenheil gefährdest, indem Du das nicht tust.“ Wieso das Drehbuch auf solch ein dramatisches Zitat verzichtet hat, muss das Geheimnis der Filmemacher bleiben. Vielleicht war es die Angst, dass es zu viel des Guten und daher unglaubwürdig wäre?

Dunkle Wolken am Horizont

Es ist unbestreitbar, dass das kulturelle Phänomen „Sound of Freedom“ nicht nur durch die Qualität des Films selbst zustande kam. Der politische Aspekt, der vor allem in den USA präsenten christlichen Rechten, trug dabei wohl mindestens so viel dazu bei, wie die Vorstellung, dass es sich eben nicht nur um eine Fiktion handelte, sondern um einen realen Helden, dessen reale Taten Vorbildwirkung hatten. Bei der Bewerbung des Films waren es fast immer Caviezel und Ballard selbst, die als Gäste eingeladen wurden. Hier der tief gläubige Schauspieler mit der Ausstrahlung eines in sich ruhenden Felsens in der Brandung, dort der tief gläubige echte Held, bescheiden und mit dem Herz am rechten Fleck. Die beiden waren sogar zu Gast in Jordan Peterson’s Podcast und lieferten sich mit dem Großmeister der gebrochenen Stimme einen epischen Wettkampf im Unterdrücken der Tränen.

Das mag nun doch unerwartet zynisch klingen. Aber es drängen sich mittlerweile einige Fragen über die Legitimität Ballards auf, die man wohl nicht in Bausch und Bogen als politische Diffamierungskampagne abtun kann, auch wenn es zweifelsohne politische Feinde Ballards gibt, die daraus größtmögliches Kapital schlagen wollen.

Schon kurze Zeit nach der Veröffentlichung des Films trat Ballard von der Führungsposition seiner Organisation O.U.R. (Operation Underground Railroad) zurück, nachdem diese eine interne Untersuchung gegen ihn geführt hatte wegen Anschuldigungen sexuellen Fehlverhaltens von Ballard. Konkret behaupteten mehrere Frauen, von Ballard im Zuge seiner Operationen zu sexuellen Kontakten/Gefälligkeiten genötigt worden zu sein. Ballard habe dabei angeblich häufig die Tarnung als Paar dazu genutzt, um mit den Frauen „sexuelle Spannungen“ zu entwickeln, da sie nur so glaubwürdig als Paar durchgehen könnten. Mittlerweile liegen sogar Anklagen gegen Ballard vor, unter anderem steht auch im Raum, dass Ballards Umgang mit Spendengeldern alles andere als verantwortlich war, es ist die Rede von unnötigen Flügen 1. Klasse, Aufenthalten in 5-Sterne-Hotels, Besuchen in Stripclubs, Drogenkonsum, usw. Sogar die Mormonen haben Ballard mittlerweile exkommuniziert.

Viele werden dahinter zunächst einmal eine Rufmordkampagne vermuten und das ist naheliegend. Doch selbst die amerikanische Youtuberin Kristen Lacefield, bekannt unter ihrem Kanalnamen Colonel Kurtz, die sich auf die Analyse von falschen #metoo-Anschuldigungen spezialisiert und dabei auch im Fall Till Lindemann frühzeitig klar Stellung bezog, stufte die Anschuldigungen gegen Ballard als weitaus plausibler ein als in anderen Fällen. Selbstverständlich gilt hier auch die Unschuldsvermutung, aber die Indizien und vor allem auch die defensiven Reaktionen von Ballard geben momentan wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich die zahlreichen Anschuldigungen entkräften lassen.

Was bleibt, wenn es doch nicht real war?

Diese Sachlage hinterlässt Zuschauer von „Sound of Freedom“ mit einem mehr wie bitteren Nachgeschmack. Der vermeintliche Held könnte sich als Betrüger, Maulheld und Scheinheiliger erweisen. Wohlgemerkt: könnte – aber dennoch ist der Schaden weitaus größer. Dass Till Lindemann Sex mit Groupies hinter der Bühne mag, wird wohl kaum einen Fan überrascht haben. Dass ein christlich-amerikanischer Held, der Kinder aus den Fängen von Pädophilen rettet, sich womöglich als Betrüger herausstellen könnte, wirkt im Vergleich dazu wie ein Schlag in die Magengrube. Ein großer Teil der Anziehungskraft von „Sound of Freedom“ bestand darin, dass es sich eben nicht nur um eine Fiktion handelte, sondern dass es sich um eine zumindest in Grundzügen auf realen Ereignissen basierende Geschichte handelte.

Ist mit der möglichen Demaskierung Ballards somit auch der Lack vom Film ab? Nun, zumindest muss er nun auf eigenen Beinen stehen. Der Faktor „nach einer wahren Geschichte“ ist nun noch dubioser, als er es ohnehin immer ist. Der vermeintliche Sündenfall Ballards ist aber vielleicht auch eine gute Gelegenheit, uns die Frage zu stellen, ob wir absolute moralische Werte nur dann brauchen, wenn wir uns einreden können, dass sie auf einer realen Person basieren, oder ob wir sie nicht auch als idealisierte Handlungsanleitung verstehen und wertschätzen können. Der Schutz von Kindern erweckt bei vielen Zusehern einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Man sitzt vor der Leinwand und – wenn man sich auf die Geschichte einlässt – kann kaum anders, als sich mit „den Guten“ zu solidarisieren und darauf zu hoffen, dass sie es „den Bösen“ zeigen.

Das Bedürfnis nach archetypischen Helden, nach absolutem Guten ist groß. „Sound of Freedom“ zeigte das deutlich. Die Realität ist leider oftmals weniger schön. Vielleicht ist aber gerade das der Grund, warum wir Geschichten brauchen, die uns ein Ideal vor Augen führen, anstatt denselben moralischen Relativismus durchzuexerzieren, der uns auch in unserem Alltag begleitet. Wer sich darauf einlassen kann, wird in „Sound of Freedom“ einen kompetent gemachten Film über ein großes und wichtiges Thema finden. Nur mit der Spende an die Organisation von Ballard sollte man sich im Überschwang nach Ende des Films erst einmal zurückhalten.

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