Dieter Bohlen ist nahezu jeden Abend im Fernsehen zu sehen. Er wirbt für einen Mobilfunkanbieter. Den geschützten Namen „DSDS“ darf dieser nicht verwenden. Aber jeder erkennt, worauf der Spot anspielt: Dieter Bohlen sitzt an einem Tisch, gleich dreifach reproduziert, und brabbelt Kommentare in die Kamera. Das ist ikonisch. So hat der Sänger und Produzent sich über 18 Staffeln ins kollektive Gedächtnis der Fernsehzuschauer geprägt.
Bohlen ist das, was von DSDS in Erinnerung bleiben wird. Nicht die Moderatoren, zu denen auch schon Michelle Hunziker oder Carsten Spengemann gehört haben. Nicht die Jury, in der unter vielen Heino oder Andrea Berg saßen. Und schon gar nicht Sänger wie Tobias Regner, Mehrzad Marashi oder Aneta Sablik. Für sie sollte RTL das „Denkmal des unbekannten Superstars“ aufstellen, denn sie gewannen alle das Casting, ohne irgendwie in Erinnerung zu bleiben.
Die erreicht RTL jetzt auch nicht mehr: 2,5 Millionen Zuschauer waren es an diesem Samstag insgesamt. Das war der zweitbeste Wert in der Staffel, deren Ergebnisse der neue Chef-Juror Florian Silbereisen positiv auslegt: „Ich habe mit schwächeren Quoten gerechnet“, sagte Silbereisen der Bild. Junge Menschen, Samstagabend und Fernsehen gingen nicht mehr zusammen. Die Quoten vom Samstag bestätigen den Traumschiff-Kapitän: In der werberelevanten Altersgruppe 14 bis 49 Jahre erreichte DSDS zwar nur 840.000 Zuschauer. Das genügte in diesem Bereich aber zu Platz drei am gesamten Samstag und zum ersten Platz in der Primetime, also nach 20.15 Uhr. Die großen Massen erreichen am Samstag in der Regel ARD und ZDF, aber da ist bestenfalls jeder zehnte Zuschauer jünger als 50 Jahre.
Hat der Niedergang also nichts mit Bohlens Abschied zu tun? Ja und nein. Auch unter Bohlen war das Konzept fad geworden: seine Sprüche vorhersehbar und das spätere Scheitern der Superstars ebenfalls. Auch mit den Personalgeschichten, die RTL in der Presse lanciert – bevorzugt in der Bild – ließ sich die Fahrt nicht mehr beschleunigen. Der Flüchtling, der übers Fernsehen seine Eltern sucht und die aber schon während den Dreharbeiten findet … Auch das emotionale Auspressen solch persönlicher Geschichten zieht nicht mehr. Da ändert Bohlens Abgang nichts dran.
Aber ohne das Enfant Terrible mit seinen Sprüchen kann RTL seinen Imagewechsel besser vorantreiben. In diesem Punkt würden die Kölner gerne wegkommen von dem Bild eines Senders, der Länderpunkte für Striptease verteilt, den Moderatoren Torten ins Gesicht werfen lässt oder der Liebe eine Chance gibt. RTL wäre gerne politisch korrekt. Mit Altruismus oder Humanismus hat das wenig zu tun – mit Profitstreben viel.
Um solche Auftraggeber schneidert RTL nun sein Programm herum. Da gefällt sich der Sender gerne in der Rolle des politisch korrekten Richters: Aus der 18. Staffel DSDS ließ RTL den Juroren Michael Wendler wegen dessen Äußerungen zur Pandemie rausschneiden. Eine Kandidatin flog aus der aktuellen Staffel des Dschungelcamps wegen einer rassistischen Beleidigung. Und in dieser Staffel DSDS musste der Kandidat Mechito gehen – weil er nach einer Gewalt-Straftat auf Bewährung draußen ist. Das habe er verschwiegen, sagt RTL.
Das wirft Fragen auf: Ist es nicht der gesellschaftliche Gedanke von Bewährung, Delinquenten am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen, um sie so zu resozialisieren? Wenn das RTL so wichtig ist, warum hat der Sender dann nicht vorher geprüft, ob ein Kandidat auf Bewährung ist? Oder kam die Gelegenheit zum Rauswurf ganz gelegen, weil sich RTL so als kompromisslos inszenieren kann? Florian Silbereisen hat sich im Moment des Rauswurfs jedenfalls sichtbar wohler gefühlt als sonst in Bohlens Schuhen.
Die passen Silbereisen ohnehin nicht, findet das Publikum: „Der Silbereisen versucht immer, einen auf wild zu machen, dabei bleibt er doch ein Schlager- und Volksmusik-Fuzzi“, schreibt etwa der Nutzer „Asta M“ auf Twitter. Andere sehnen sich gleich nach Bohlen zurück. Denn auch der Rest der Jury kommt nicht gut weg bei der Twitter-Fangemeinde. Die Sängerin Ilse DeLange ist in ihrer Heimat, den Niederlanden, extrem erfolgreich und will ihre Musik nun auch auf dem deutschen Markt verkaufen. Um zu beweisen, wie gut sie singen kann, trällert sie bei fast jedem Casting-Vortrag mit. Der Produzent Toby Gad nervt mit dem ständigen Erwähnen, mit wem er alles schon zusammengearbeitet hat – zumal seine großen Erfolge für die DSDS-Zielgruppe eine Ewigkeit zurückliegen.
Fernsehen wird in Deutschland nicht für die Zuschauer gemacht. ARD und ZDF orientieren sich an den Wünschen der Politik, die über die Höhe der Gebühren entscheiden. Privatsender wie RTL schauen nach dem Werbemarkt. Dann ist es eine konsequente Entwicklung, dass immer mehr Zuschauer dem Fernsehen fernbleiben. Gut, dass die Quoten in Prozenten gemessen werden. Dann reichen bald ein paar Tausend Zuschauer für 20 Prozent, und das hört sich dann immer noch gut an.