Tichys Einblick
Brandenburger Verfassungsschutz passt auf

Politischer Wortschatz: „Wutwinter“

Ein Wort, das noch nicht im Wörterbuch steht, geht um in Deutschland: Wutwinter. Im Winter, warnt der Brandenburger Verfassungsschutz, könnte ein Gemisch aus Inflation, Corona-Frust und Energiekrise politisch explodieren. Die gute Nachricht: „Wir verfolgen das Treiben mit wachsamen Augen und offenen Ohren.“

Öffentlich geäußert wurde das Wort Wutwinter erstmals vom Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes, Jörg Müller, der in einem Interview erklärte: „Extremisten träumen von einem deutschen Wutwinter. Sie hoffen, dass Energiekrise und Preissteigerungen die Menschen besonders hart treffen, um die Stimmung aufzugreifen und Werbung für ihre staatsfeindlichen Bestrebungen zu machen“ (Welt am Sonntag vom 7. August).

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Was bedeutet das Neuwort Wutwinter? Es handelt sich um ein zusammengesetztes Wort (Kompositum), das zwei bekannte Wörter, Wut und Winter, zu einer neuen Worteinheit verbindet, wobei das erste Wortglied das zweite näher bestimmt: Wut-winter ist ein Winter, in dem Wut herrscht, und erinnert an ähnliche Bildungen mit Wut als Erstglied: Wut-anfall, Wut-ausbruch, Wut-bürger, Wut-geheul, Wut-rede, Wut-wähler. Solche Wortzusammensetzungen sind im Deutschen ein typisches Verfahren der Wortschatzerweiterung und meist sofort verständlich.

Wer wird nun im „deutschen Wutwinter“ 2022/23 wütend sein? Vermutlich Wutbürger, ein Wort, das 2010 im Zusammenhang mit den massiven Protesten gegen das Bahnhofs- und Städtebauprojekt „Stuttgart 21“ geprägt wurde und so erfolgreich war, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache es zum „Wort des Jahres“ kürte mit der Begründung: „Diese Neubildung [Wutbürger] wurde von zahlreichen Zeitungen und Fernsehsendern verwendet, um einer Empörung in der Bevölkerung darüber Ausdruck zu geben, dass politische Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden.“

Die Wutbürger wurden seinerzeit durchaus positiv bewertet: „Der Protest ist bürgerlich“, kommentierte die Zeit (19. August 2010), und die Süddeutsche Zeitung (21. September 2010) sprach sogar von einem „Aufstand des Bürgertums“. Gemeint war: Es protestierten Damen und Herren aus der Mitte der Gesellschaft, gut situiert – kurz: das Gegenteil des häufig demonstrierenden „Bürgerschrecks“. Niemand bezweifelte, dass diese Wutbürger von ihren staatsbürgerlichen Rechten Gebrauch machen durften.

Eine politische Wortgeschichte
Staatsfeind(lich)
Das ist heute tendenziell anders. Die Wutbürger von damals gelten nun als „Extremisten“, die „staatsfeindliche Bestrebungen“ verfolgen, und „Demokratiefeinde“ (Innenministerin Faeser). Diese (inneren) Feinde werden symbolisch ausgebürgert: Sie „gehören nicht dazu“, sind vom demokratischen Diskurs ausgeschlossen und fallen in die Zuständigkeit von Verfassungsschutz und Polizei.

In der DDR wurden regimekritische Äußerungen als „staatsfeindliche Hetze“ mit einem bis fünf Jahre Gefängnis bestraft (Strafgesetzbuch § 106), und Regimegegner konnten auch ausgebürgert werden. In der Bundesrepublik darf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden (Grundgesetz Art. 16, Abs. 1), und es herrscht grundsätzlich Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Dem Brandenburger Verfassungsschutz scheint dies wenig bewusst zu sein; denn er versucht – wie einst in der DDR das Ministerium für Staatssicherheit (im Volksmund „Horch und Guck“ genannt) –, politische Proteste mit „wachsamen Augen und offenen Ohren“ bereits im Vorfeld zu unterbinden.

Deshalb wurde in Brandenburg schon vor zwei Jahren ein „vertrauliches Hinweistelefon“ eingerichtet: Unter der Nummer 0331 866-2699 können wachsame Menschen „extremistische Aktivitäten“ melden – allerdings nur „montags bis freitags von 9 bis 15 Uhr“.

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