Die Corona-Proteste stellten Regierung und Sicherheitsbehörden vor ein sprachliches Problem, nämlich die neuen, weder links noch rechts einzuordnenden Protestgruppen zu benennen. „Demonstranten“ war zu neutral, „Aktivisten“ zu positiv. Man wählte zunächst einen justizförmigen und negativ-ausgrenzenden Begriff: „Staatsfeinde“. Dieser fand aber im öffentlichen Sprachgebrauch wenig Anklang und wird nun durch „Demokratiefeinde“ ergänzt oder ersetzt.
In der alten Bundesrepublik beobachtete der Verfassungsschutz sogenannte „Verfassungsfeinde“, hauptsächlich im Öffentlichen Dienst: „Schon bist du ein Verfassungsfeind“ wurde in den 1970er Jahren durch ein gleichnamiges Buch (Peter Schneider, 1976) zum geflügelten Wort. In der DDR zielte die Staatssicherheit (Stasi) auf „Staatsfeinde“: Nach § 106 des DDR-Strafgesetzbuches wurde „staatsfeindliche Hetze“ mit mehreren Jahren Gefängnis bestraft.
Nach der Wiedervereinigung (1990) kam der belastete Begriff „Staatsfeind(lich)“ außer Gebrauch, bis er, dreißig Jahre später, vom Verfassungsschutz reaktiviert wurde, um die Corona-Protestierer zu brandmarken. Diese wurden auch „Delegitimierer“ genannt – eine sprachlich schwer verdauliche und deshalb kommunikativ erfolglose Wortkreation des Verfassungsschutzpräsidenten.
Aber auch „Staatsfeind“ wurde im allgemeinen Sprachgebrauch wenig akzeptiert. Der Begriff gibt die Sichtweise des Staates wieder, genauer: der jeweils Herrschenden, und wird deshalb von diesen verwendet und – wie schon der Staatsrechtler Hermann Heller (1891–1933) feststellte – gerne missbraucht: „Immer wieder hat die in der Macht befindliche Regierung ihre Gegner fälschlich als ‚Staatsfeinde‘ diskreditiert.“ Im Falle Deutschlands liegt dieser Missbrauch nur eine Generation zurück: Wer im jüngeren Alter in der DDR der 1970er und 80er Jahre wegen „staatsfeindlicher Hetze“ verurteilt worden war, konnte durchaus 2021/22 an Corona-Spaziergängen teilnehmen.
War er nun, „im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“ (Bundespräsident Steinmeier zum Tag der Deutschen Einheit, 3. Oktober 2020), wieder – wie der Verfassungsschutz meinte – ein „Staatsfeind“? Während der Corona-Zeit, ja. Aber heute wäre es lächerlich, einen protestierenden Spaziergänger als „Staatsfeind“ zu bezeichnen, also – laut Wörterbuch – „jemand, der die bestehende Ordnung und die Sicherheit eines Staates gefährdet“.
Man brauchte also einen neuen Begriff und wurde unter den vielen Wortzusammensetzungen auf -feind (Deutschland-feind, Erb-feind …Tod-feind, Volks-feind) fündig: „Demokratie-feind“. Das Wort ist (noch) wenig verbreitet – in allen Ausgaben 1946 bis 2017 der ZEIT kommt „Demokratiefeind“ insgesamt 30-mal vor, „Staatsfeind“ hingegen 820-mal –, hat aber einen Akzeptanzvorteil: „Demokratie“ wird viel positiver bewertet als „Staat“, ein Demokratiefeind stößt deshalb auf stärkere soziale Ablehnung als ein Staatsfeind.
Allerdings bleibt die sprachliche Bedeutung von „Demokratiefeind“ ziemlich offen. Im politischen Sprachgebrauch tritt das Wort deshalb heute selten allein auf, sondern zusammen mit anderen Feindbezeichnungen, die es richtig „kontextualisieren“: So wünschen evangelische Verbände eine „Strategie gegen rechte Demokratiefeinde“, und die grüne Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern fordert, den Entzug des Waffenscheins bei „Rechtsextremist*innen, Reichsbürger*innen und anderen Demokratiefeind*innen“ zu vereinfachen.
Ob die Gleichung Demokratiefeind = rechts(extrem) vom allgemeinen Sprachgebrauch übernommen wird, ist jedoch fraglich; denn Demokratiefeinde kommen auch von links: Die sogenannten Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ werden zwar noch nicht „Demokratiefeinde“ genannt – aber das kann sich ändern.
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