Tichys Einblick
De-le-gi-ti-mie-re-r*in-nen

Politischer Wortschatz: „Delegitimierer“

Für den „Kampf gegen Rechts“ rüstet der Verfassungsschutz sprachlich auf. Der – schon in der DDR übliche – Begriff „Staatsfeind“ genügt nicht mehr zur Benennung der Zielpersonen, sie werden „Demokratiefeinde“ genannt und seit kurzem: „Delegitimierer“ – ein Neuwort (Neologismus), das noch nicht in den Wörterbüchern steht.

Der Neologismus Delegitimierer wurde erstmals am 7. Juni 2022 öffentlich verwendet, und zwar bei der Vorstellung des „Verfassungsschutzberichtes 2021“ durch den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, der in seinem einführenden Statement erklärte:

Im Berichtsjahr [2021] hat das BfV ein neues Beobachtungsobjekt eingerichtet:
„Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates.“

Diese Delegitimierung sei „in der Protestszene gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie“ entstanden; ihre „Protagonisten“ nennt Haldenwang „Demokratiefeinde“ und „Delegitimierer“. Er verwendet durchwegs die Maskulinform (und das in Gegenwart seiner Dienstvorgesetzten, der Bundesinnenministerin Faeser): „Geschlechtergerecht“ müsste er auch von Demokratiefeindinnen bzw. Delegitimiererinnen sprechen.

Das Substantiv De-legitimier-er ist abgeleitet vom Verb de-legitimier-en „die Legitimität (Rechtmäßigkeit) absprechen“ und gehört zur Wortfamilie LEGITIM, die zurückgeht auf lateinisch legitimus: „gesetzlich, auf rechtlicher Grundlage beruhend, der Regel entsprechend“. Ein Verb legitimare kannten die alten Römer nicht, es entstand im Mittellatein und wurde dann im 16. Jahrhundert als legitimieren ins Deutsche übernommen. Im Familienrecht bedeutete es „ein uneheliches Kind für ehelich (= legitim) erklären“ (meist durch nachträgliche Heirat der Eltern) und damit erbberechtigt. Seit 1970 (Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder) erübrigt sich diese „Legitimation unehelicher Kinder“, die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) von 1900 noch 22 Paragraphen umfasst.

Im Staatsrecht versteht man unter „Legitimität“ die Rechtmäßigkeit einer Regierung oder eines Herrschers. Das „Legitimitätsprinzip“ spielte bei Erbmonarchien eine große Rolle (was auch zu „Erbfolgekriegen“ führte); denn der legitime Herrscher galt „von Gottes Gnaden“. In Demokratien ist Herrschaft nicht von Gott verliehen, sondern vom Volk auf Zeit gewählt, und die Legitimität liegt in der Anerkennung einer bestimmten politischen Ordnung durch die Bürger. Eine solche Legitimität ist nicht selbstverständlich, sondern muss durch politische Führung stets aufs Neue erreicht werden; deshalb beschäftigt sich seit langem ein ganzer Zweig der Politikwissenschaft, die „Legitimitätsforschung“, mit diesem Thema, konkret: „Legitimitätsfaktoren“, „Legitimitätsproblemen“ ,„Legitimitätsdefiziten“ u. Ä. Dass derzeit in Deutschland die Regierung Legitimitätsprobleme hat, ist unbestreitbar, aber grundsätzlich nicht neu: „Eine Politik, die so krass einseitig daherkommt …, muss delegitimiert werden“, schrieb 2010 die ZEIT (Nr. 41) über die „schwarz-gelbe“ Regierung der Bundeskanzlerin Merkel.

Fazit: Der Verfassungsschutz macht aus Regierungsgegnern „Staatsfeinde“ und erfindet für die – selbst verschuldeten – Legitimitätsprobleme der Regierung einen Verursacher: die „Delegitimierer“. Viel Anklang wird diese Wortkreation schon aus sprachlichen Gründen nicht finden: Der Latinismus klingt im Deutschen ziemlich fremd und wird in „geschlechtergerechter“ Form zum 15-silbigen Zungenbrecher (bitte schnell aussprechen):

De-le-gi-ti-mie-rer und De-le-gi-ti-mie-re-rin-nen

Anzeige
Die mobile Version verlassen