Tichys Einblick
Unwort des Jahres 2024

Politisch korrekt „biodeutsch“ oder alternativ „UnsereDemokratie“?

Zu den politischen Ritualen des Jahreswechsels gehört seit 1991 die Wahl „Unwort des Jahres“. Für 2024 kürte die Jury „biodeutsch“, gefolgt von „Heizungsverbot“. Was macht einen Ausdruck zum Unwort, und gibt es für 2024 nicht passendere Unwörter als die – politisch korrekten – der Jury?

picture alliance / DeFodi Images | Oliver Kaelke

Vor zweihundert Jahren definierte Johann Heinrich Campe in seinem Wörterbuch der deutschen Sprache (Braunschweig 1811) „Unwort“ folgendermaßen: (1) Ein Wort, … was keinen vernünftigen Sinn ergibt. (2) Ein unwürdiges, beleidigendes Wort. Im heutigen Sprachgebrauch nennt man ein Unsinnswort (fiderallala u. Ä.) nicht mehr „Unwort“, ebenso wenig übliche Beleidigungen wie Depp, Idiot, Schwachkopf (laut DUDEN „abwertend für dummer Mensch“).

Als „Unwort“ gilt ein „unschönes“ Wort (Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz) und, in erster Linie, ein sprachlicher Ausdruck, der einen Sachverhalt in manipulativer Absicht verschleiert und/oder schönredet. Ein typisches politisches Unwort ist – rückblickend gesehen – „antifaschistischer Schutzwall”, mit dem DDR-offiziell das 1961-89 bestehende Grenzregime zur Bundesrepublik bezeichnet wurde: Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl dienten aber nicht dazu, das Staatsgebiet der DDR vor einem äußeren Feind zu schützen, sondern die Massenflucht der eigenen Bevölkerung zu verhindern.

Die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“

Im politischen Sprachgebrauch ist „Unwort“ erst seit den 1990er Jahren üblich geworden, und dies steht im Zusammenhang mit einer sprachkritischen Aktion, die 1991 der Frankfurter Germanistikprofessor Horst Dieter Schlosser begründete: Eine Jury wählt zu Jahresbeginn auf der Grundlage von Vorschlägen aus der Bevölkerung das (politische) „Unwort“ des vergangenen Jahres. Schlosser (*1937), der am 24. Februar letzten Jahres starb und dessen Todesanzeige mit dem Satz beginnt: „Ein schwieriger Kopf hat sich zur Ruhe gebettet“, leitete die Jury von 1991 bis 2010, und in diesen zwanzig Jahren war das „Unwort des Jahres“ politisch nicht festgelegt: Es konnte die Wirtschaft treffen ( 2004 Humankapital), die Asyl-, Finanz- und Sozialpolitik (1992 aufenthaltsbeendende Maßnahmen, 1994 Besserverdienende, 1996 Umbau des Sozialstaats) oder die Bundeskanzler: Kohls Wort 1993 kollektiver Freizeitpark [Deutschland] und Merkels Phrase 2010 alternativlos: „Das Wort suggeriert sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe“.

Nach der Ära Schlosser politisierte sich die Jury, und zwar links-grün. Diese Politisierung hat sich seit 2021, als eine völlig neue Jury gebildet wurde, noch verstärkt; entsprechend lauten die Unwörter: 2021 Pushback [von Flüchtlingen], 2022 Klimaterroristen: „kriminalisiert und diffamiert Aktivist*innen“, 2023 Remigration: „Euphemismus [beschönigender Ausdruck] für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte“.

Offensichtliche Unwörter ignorierte die Jury, zum Beispiel 2022 die in den Verfassungsschutzberichten eingeführte neue Verdachtskategorie „Delegitimierung des Staates”, die faktisch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aushebeln kann.

Dieser Begriff hatte (und hat) ein ganz anderes politisches Kaliber als das damals gewählte Unwort „Klimaterroristen“: Die Klimakleber haben zwar, umgangssprachlich ausgedrückt, andere „terrorisiert“, aber sie deswegen als „Terroristen“ zu bezeichnen, ist eine – leicht erkennbare – rhetorische Übertreibung, kein irreführendes Unwort.

Mit den Unwörtern 2024 bleibt die Jury, bestehend aus vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten, ihrer politischen Linie treu. Heizungsverbot („irre-führende Bezeichnung, … um klimaschützende Maßnahmen zu diskreditieren“) passt zum Wahlkampf, um die Politik des grünen Wirtschaftsministers und Kanzlerkandidaten zu stützen.

Beim Adjektiv „biodeutsch” („konstruiert eine rassistische, biologistische Form von Nationalität“ und macht „eine Abgrenzung und Abwertung von Deutschen mit Migrationsbiographie“), stellt sich zunächst die Frage, wie viele Deutschsprecher es überhaupt kennen. Das Wort kommt so selten vor, dass im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) „nicht genügend Daten“ für statistisch aussagekräftige Häufigkeitsangaben vorhanden sind. In der Wochenzeitung Die Zeit tritt „biodeutsch“ in sämtlichen Ausgaben 2008-2023 (für 2024 liegen noch keine Daten vor) insgesamt neunmal auf, davon zweimal 2023.

Laut Jury wurde das Wort „im Jahr 2024 im öffentlichen und gesellschaftlichen Sprachgebrauch verstärkt verwendet“. Mag sein, aber selbst wenn der Gebrauch von „biodeutsch“ in der Zeit sich 2024 verdreifacht hat, ergäbe das nur sechs Belege – viel zu wenig, um wissenschaftlich begründete Aussagen über einen neuen Wortgebrauch zu machen.

Der DUDEN 2024 definiert biodeutsch als „meist ironisch abwertend für deutscher Abstammung und in Deutschland heimisch“. Die Jury kritisiert diesen abwertend-ironischen Gebrauch, der zunächst nur von Migranten verwendet wurde, ausdrücklich nicht. Kritisiert wird vielmehr, dass Herkunftsdeutsche, also Personen, die von Eltern deutscher Staatsangehörigkeit abstammen, sich nun selbst als „biodeutsch“ bezeichnen. Ob das so ist, dafür fehlen die sprachlichen Belege; aber wenn es stimmt, wäre das eine normale sprachliche Entwicklung: Es kommt öfter vor, dass eine Gruppe das Schimpfwort, mit dem andere sie bezeichnen, für sich übernimmt: Zum Beispiel war „schwul“ bis in die 1980er Jahre „abwertend“ und ist heute eine Selbstbezeichnung der Homosexuellen. Wo liegt das Problem für „biodeutsch“?

Ein Gegenvorschlag

Die von der Jury aus den insgesamt 655 verschiedenen Vorschlägen (wovon 80 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen) gewählten zwei Unwörter überzeugen nicht. Deshalb ein Gegenvorschlag für Platz 1: unsere Demokratie (im Folgenden als ein Wort geschrieben). Begründung:
Die Floskel UnsereDemokratie, die ein Hochwort (Demokratie) mit einem besitz-anzeigendem Pronomen (unser) verbindet, machte in den beiden letzten Jahren Karriere; sie wird meist zur Rechtfertigung der bestehenden politischen Verhältnisse in Deutschland verwendet, in Sprüchen wie „Finger weg von unserer Demokratie, Herr Musk!“ (Vizekanzler Habeck, SPIEGEL 2/2025), „Verteidige unsere Demokratie!“ (SPD-Flugblatt) usw.

Aber wer gehört zu UnsereDemokratie? Alle Deutschen? Nein: Der letzte Bundeskanzler, der „Wir Deutsche“ sagte, war Gerhard Schröder (Amtszeit 1998-2005). UnsereDemokratie kennt keine „Deutschen“ mehr, sondern nur „Menschen“, darunter die „schon länger hier Lebenden“ (Bundeskanzlerin Merkel 2007), von denen die meisten „deutsche Staatsbürger“ sind. Aber auch diese gehören nicht alle zu UnsereDemokratie, sondern nur diejenigen, die eine bestimmte politische Einstellung („unsere Werte“) teilen; die übrigen – und das ist derzeit die Mehrheit – gehören nicht dazu: Sie sind belanglos oder gar „Demokratiefeinde“ (zum Beispiel AfD-Anhänger). Das Pronomen „unser“ täuscht also ein allgemeines Wir vor, schließt aber faktisch nicht alle ein, sondern viele aus. Nach den Kriterien der Unwort-Jury wäre UnsereDemokatie ein typisches Unwort: Es wirkt erstens „diskriminierend“ (gegenüber Andersdenkenden) und, zweitens, „irreführend“ (Einige geben sich als Alle aus).

Fazit der Unwort-Aktion 2024: „Viel Lärm(en) um Nichts“.

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