Die 70er-Jahre waren eine Comedy-Wüste in Deutschland: Gute Künstler wie Loriot bildeten die absolute Ausnahme. Angesagt waren Filme wie „Tante Trude aus Buxtehude“, in denen Rudi Carrell und Ilja Richter Frauenkleider überstreiften und dazu lustige Schlager geträllert wurden mit Texten wie: „Mir gefallt a jede / sogar a Bleede“.
Einmal im Jahr tauchte Otto Waalkes in dieser Comedy-Wüste auf. Die Otto-Show beschäftigte den Schulhof über Wochen. Tage vorher zitterte eine Jugend, die nur das analoge Fernsehen kannte, dem Termin entgegen. Wochen nachher machten die Begabteren den Meister in seiner hektischen Art nach. Wer es gut konnte, stieg in der Hierarchie nach oben.
Beliebt war zum Beispiel sein Sprachkurs „Peter, Paul and Mary“. In dem übersetzte er „Hello Mr. Filbinger“ mit „Heil Hitler, Herr Filbinger“. Die Pointe über den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten sorgte für einen kleinen Skandal. Anders als der Witz über Roy Black, dessen Name Otto im gleichen Sketch mit König des N-Worts übersetzte. Damit meinte er nicht das N-Wort, das man angehängt bekommt, wenn man das N-Wort benutzt. Sondern das N-Wort, das im Kontext mit Afrika und Einwanderung in den amerikanischen Arbeitsmarkt steht. In den 70ern durfte Otto das Letztere der N-Wörter noch ohne Konsequenzen aussprechen.
Die 70er-Jahre waren liberaler in den Inhalten, aber noch in festen Formaten verhaftet. Auch im Humor gab es die Trennung zwischen E und U – zwischen Ernst und Unterhaltung. E waren die Kabarettisten, die 45 Minuten am Stück pointenfreie, akademische Vorträge hielten. U waren Rudi Carrell und Ilja Richter. Oder die Flachwitz-Schleuder Fips Asmussen. Wie schwer sich Branche und Medien mit einem wie Otto taten, zeigt sich an dem Wort „Blödelbarde“, das als Genrebegriff für ihn erfunden wurde. Um seine Auftritte auf LP verbreiten zu können, musste Waalkes ein eigenes Label gründen. Die Plattenfirmen konnten mit einem zwischen den Genres Wandernden nichts anfangen – sehr zu ihrem Leidwesen. Denn Ottos Platten wurden Charts-Erfolge.
Eigentlich hatte sich Waalkes anfangs in der Hamburger Kneipenlandschaft als Musiker versucht. Doch schnell hatte er gemerkt, dass seine lustigen Zwischenmoderationen besser ankamen als seine Songs. Also baute er die aus. Wobei die Musik in seinen Programmen auch nach seinem Durchbruch im Fernsehen weiter eine Rolle spielte. Etwa in den „Hänsel und Gretel“-Parodien. Aktuelle Songs aus den Charts dichtete er auf das Grimmsche Geschwisterpaar um.
Zu dem fließenden Wechsel aus Gags, Songs und gaghaften Songs kam Waalkes’ hektische Art auf der Bühne. Sein Känguru-Gang, seine Hopser, seine ständige Nervosität wurden zu seinem Markenzeichen, machten ihn zum Helden des Schulhofs. Genauso wie die Jungs, die Ottos Gang halbwegs pasabel nachahmen konnten.
1985 wagte Waalkes dann den Sprung vom Fernsehen ins Kino. Mit einem Riesenerfolg. „Otto – der Film“ wurde mit 8,8 Millionen westdeutschen Zuschauern zum bis dato meistgesehenen deutschen Nachkriegsfilm aller Zeiten. Heute steht er immer noch auf Platz drei dieser Statistik. Allerdings werden dabei die 5,7 Millionen Zuschauer in der DDR nicht berücksichtigt.
Otto spielte in dem Film eine Art deutschen Charlie Chaplin. Einen Tramp, der gegen die Unbilden des Lebens zu kämpfen hat: Geldhaie, eine heruntergekommene Wohnung oder eine Schwiegermutter in spe, die ihn als Gatten ihrer Tochter zu verhindern sucht. Hinter dem Drehbuch steht das legendäre Frankfurter Autorentrio Robert Gernhardt, Bernd Eilert und Peter Knorr. Auch die besten Gags aus dem Film schafften es ins Schulhoftheater: „Sie sind jung, sie sind verliebt – sie brauchen eine Brille.“ Waalkes dreht noch vier weitere Otto-Komödien, die kommerziell erfolgreich sind – aber an das Niveau des ersten Teils nicht ran reichen.
Die 70er und 80er waren die Jahre, in denen Waalkes stilprägend war. Doch der Ostfriese ist wandlungsfähig, schafft es immer wieder, sich neu zu erfinden – und gleichzeitig an festen Markenzeichen wie den gezeichneten Ottifanten festzuhalten. Mit „7 Zwerge – Männer allein im Wald“ gelingt ihm 2004 wieder ein Hit mit sieben Millionen Kinozuschauern. Gags, wie das sich gegenseitig ein Schachbrett vor den Kopf hauen, muss man indes mögen wollen. Kultstatus indes hat längst Ottos Interpretation als Synchronsprecher von Sid dem Faultier in den „Ice Age“-Filmen erlangt.
75 Jahre alt ist Waalkes ab Samstag. Ein Senior. Eine Größe der deutschen Unterhaltung. Wenn nicht sogar ein Gigant. Trotzdem immer noch ein Mann, den viele nur beim Vornamen nennen – wie einen Schuljungen. Der ewige Lausbub bleibt Ottos Image auch mit 75 Jahren. Fluch und Segen zugleich. Es hat den Osfriesenjung reich und berühmt gemacht – aber ewig den Vorbehalt eingebracht, nicht ganz ernst genommen zu werden. Der Blödelbarde halt.
Zu seinen Ehefrauen gehörte ein Jahrzehnt lang Eva Hassmann. Da ist er schon 52 Jahre alt und sie 28 Jahre. Sie bezeichnen die Beziehung selbst als „offene Ehe“. Hassmann drängt selbst ins Filmgeschäft. Mit Hilfe ihres berühmten Mannes gelingt ihr das sogar – auch wenn sie bei weitem nicht an seinen Erfolg rankommt. In „Blondine sucht Millionär fürs Leben“ spielt Ottos Gattin eine Frau, die sich Männern fürs Fortkommen hingibt – der Film entsteht in der Zeit, in der sich die Ehe mit Waalkes anbahnt. Offene Ehe. Was das heißt, mag sich jeder selbst zusammenreimen. In etwa zeitgleich zum Ende der Ehe bricht auch Hassmanns Filmkarriere ab.
Doch im Leben des großen Otto Waalkes bleibt das eine Anekdote. Zu gigantisch ist sein Schaffenswerk, um es komplett aufzählen zu wollen. Und Otto ist immer noch im Geschäft. Etwa mit dem Film „Catweazle“ über den chaotischen und verwirrten Kultzauberer, von dem man sich beim Anschauen fragt, warum Otto die Rolle nicht schon früher gespielt hat.
Mit 75 Jahren hat Waalkes längst das Alter erreicht, in dem er Preise für sein Lebenswerk erhält. Öde Feierstunden in überstylten Mehrzweckhallen, in denen preisüberreichende Politiker mehr sich selbst feiern als den Künstler. Der lebt ohnehin eher in seinem Werk weiter. Etwa wenn man sich auf Youtube 50 Jahre alte Otto-Skteche anschaut, die immer noch erstaunlich gut funktionieren. Oder „Otto – der Film“, der ab und an auf ZDF „Neo“ läuft.
Der Spartensender ist eigentlich für junge und woke Menschen gedacht – ist aber eher eine Sache von Nostalgikern, die sich über alte Konserven freuen. Was ein Glück ist. Denn in einem Sketch mit Günther Kaufmann nutzt Otto das N-Wort. Das mit der Einwanderung in den amerikanischen Arbeitsmarkt. Würde ZDF „Neo“ seine Zielgruppe erreichen, müsste der Film aus dem Repertoire gestrichen werden. Ein paar Wasserglasstürmer haben auch schon dafür Anlauf genommen. Bisher vergebens. Da ist dann das Blödelbarden-Image auch mal für etwas gut. Denn selbst die geübtesten Künstler an der N-Wort-Keule wissen, wie hoffähig sie das N-Wort-Sein machen würden, wenn sie es mit dem hoch beliebten Otto Waalkes in Verbindung bringen würden.