Einer seiner großen TV-Erfolge war „Der Schattenmann“. Am Ende seines erfolgreichen Lebens war Dieter Wedel selbst eine Art Schattenmann. Einen, dessen Namen man nicht mehr auszusprechen wagt. Aus Furcht selbst auf Listen zu landen, wie sie Nordrhein-Westfalen jetzt sogar von staatlicher Seite aus einführen will. In Rechtsstaaten gilt die Unschuldsvermutung. In woken Kreisen ist sie Ausdruck rechter Gesinnung und des angeblichen Wunsches, den Täter schützen zu wollen. Die Anklage hat die Verurteilung zu sein, hat die Bestrafung zu sein.
Den Vorwurf der Vergewaltigung sprach die Schauspielerin Jany Tempel aus. Sie hat im Wesentlichen für die ARD gedreht: Tatort, Polizeiruf 101, Peter Strohm oder Verbotene Liebe. Ihre zivilrechtliche Klage hat das Landgericht Hamburg abgewiesen. Einen Übergriff Wedels zeigte auch Esther Gemsch der Öffentlichkeit an. Sie spielte 1980 im Tatort „Der gelbe Unterrock“ mit, der wegen fehlender Qualität für über 30 Jahre im „Giftschrank“ des SWF/SWR landete. Bewiesen ist bisher kein Vorwurf. Ermittelt werden darf in Deutschland gegen Tote nicht – Anklagurteilstrafungen im Internet stehen aber jedem frei: #Metoo.
Wedels Ruhm begründete sich vor allem auf der Popularität der „Familie Semmeling“. Ihre Geschichte hatte der Regisseur gleich mehrfach verfilmt und zeigte dabei, woran alles verzweifeln kann, wer in Deutschland ein Haus bauen will. Die Liebe fürs Detail zeichneten seine Filme aus, auch dass er die Härten des Alltags durch eine Portion Humor abzufedern wusste. Wobei Wedel die Kamera auch gnadenlos draufhalten lassen konnte: etwa in der Sexszene von Stefan Kurt gegen Heike Makatsch in „Die Affäre Semmeling“ aus dem Jahr 2002. So drastisch war eine zerrüttete Ehe selten gezeigt worden und wird sie wohl auch nicht mehr im woke-puritanischen Zeitgeist dieser Tage.
Nicht zufällig waren die 90er Jahre das Jahrzehnt von Dieter Wedel: Der große Bellheim, Der Schattenmann und Der König von St. Pauli fielen in diese Zeit. Es war vielleicht das freieste Jahrzehnt der Deutschen. Heute schwadronieren Politiker:*innen wie Malu Dreyer (SPD) davon, dass Karl Marx ein „streitbarer Denker“ war, „der mit seinen revolutionären Ideen von Wirtschaft und Gesellschaft die Welt verändert hat“ und auch verbindend wirken könne. Damals hatten die Deutschen ein klareres Bild auf Marx und seine Lehre: die den Menschen niederdrücken wollte in eine unfreie Rolle, von der Menschen weglaufen – zur Not unter Lebensgefahr. Es war die Zeit eines Regisseurs, der die Welt zeigte, wie sie ist. Nicht, wie sie sein soll.
Auch Wedels Führungsstil wurde kritisiert. Der Schauspieler Paulus Manker verglich ihn mit einem nordkoreanischen Diktator. Wer Manker nicht kennt: Er bezieht sein Einkommen aus Werken, die mit staatlichen Subventionen finanziert werden, mit Rundfunkgebühren und mit noch mehr staatlichen Subventionen. Es ist die Art von Kunst, bei der man Menschen zum Zuschauen nötigen muss. Das galt für Wedel nicht. Seine Werke fanden ein Millionenpublikum ganz von alleine. „Ein neuer Wedel“ galt als Qualitätsmerkmal. Auch weil er die Schauspieler straff geführt hat. Weil das Wohlbefinden des Zuschauers über dem des Künstlers stand. Wobei nicht mal Manker behauptet, dass er mit vorgehaltener Waffe gezwungen wurde, mit Wedel zusammenzuarbeiten.
Vor einer Woche ist Wedel gestorben. Die Nachricht sickerte nur langsam durch. Er ist ein Unsagbarer geworden. Mittlerweile. Woran er gestorben ist, steht öffentlich nicht fest. Nachrichtenportale wie MSN.de weisen darauf hin, dass es an dem Tag passiert sei, an dem die Staatsanwaltschaft nach vier Jahren Ermittlungen entscheiden wollte, ob sie eine Klage zulässt.