Tichys Einblick
2G im Konzertbetrieb

Musiker warnen vor Klima der Denunziation und Unfreiheit

Im Konzertbetrieb breiten sich 2G-/3G-Regelungen weiter aus – im Glauben, dass ›Impfungen‹ den Weg zurück in die Normalität weisen. Gehört die erlebte Musik nur noch den Geimpften? Die Initiative »Musik in Freiheit« fordert ein Umdenken.

Eventbesucher harren bei Regen in den Stuhlreihen des Bonner Kunstrasen mit Gesichtsmasken aus.

IMAGO / Future Image

Schon der Lockdown war eine Zumutung für professionelle Musiker. Von einem Tag auf den anderen verloren sie auf Monate hinaus nicht nur die Möglichkeit, Einkommen zu erwirtschaften, sondern auch ihren beruflichen Lebensinhalt. Der wirtschaftliche Aspekt traf besonders die Freiberufler, der ideelle und lebenspraktische betraf alle Musiker – und am Ende auch das Publikum.

Auch auf dieser Ebene ist dieser Herbst eine Wiederkehr von Altbekanntem, auch wenn das Gewand ein neues ist. Denn inzwischen wirken die gravierenden Folgen der anderthalbjährigen Pandemie. Die Impfungen scheinen einen normalen Konzertbetrieb wieder möglich zu machen, ob in der Klassik, im Jazz oder in anderen Stilrichtungen. Deshalb, und weil Musik normalerweise in Innenräumen stattfindet, sind die berühmten G-Lösungen beliebt unter Konzertveranstaltern, denen die Behörden Erleichterungen gönnen, wenn sie nur ›Geimpfte‹, Genesene oder höchstens noch Getestete in ihre Säle und sonstigen Veranstaltungsorte einlassen. In der Folge glaubt man, auf das abstandswahrende Schachbrettmuster ebenso verzichten zu können wie auf Masken und sonstige Extras.

Wie das alles wirklich ist, kann uns nur die Lebenswirklichkeit und könnten uns neue, gut gemachte Studien sowie genaue Beobachtungen lehren, die allerdings am Forschungsstandort Deutschland auffallend häufig aus dem Ausland kommen.

Ein Staat, in dem man nicht auf die innere Stimme hören darf?

Für einen Teil der Musiker bringt der neue Herbst keine Lösung ihrer Probleme, sondern neues Ungemach. Dabei ist zu bedenken, dass – wie der Körper in allen seinen Teilen das Kapital eines Fußballers ist – die Hände, Sinne und Nervenbahnen die Arbeitsgrundlagen eines Musikers sind. Die Freiheit und die Verpflichtung, mit diesem Kapital im eigenen Sinne sorgfältig umzugehen, müssen ihm also zugestanden werden. Mit anderen Worten: Es ist absurd, einem ausübenden Musiker abzuverlangen, dass er sich mit den neuartigen mRNA- und Vektor-Mitteln ›impfen‹ lässt, um vor ein Publikum treten zu können.

Sendung 04.11.2021
Tichys Ausblick Talk: „Der Fall Kimmich: Alle Ungeimpften wegsperren?“
Es ist weiterhin fragwürdig, in dieser ein- oder zwei-, bald auch drei- und viermaligen Injektion den einzigen Weg zu funktionierenden Konzerten zu sehen. Das Gegenteil könnte der Fall sein, eben weil Langzeitstudien zu den neuartigen Wirkungsmechanismen und dem Virus nicht existieren. Letztlich muss hier jeder Berufstätige und jeder Bürger auf seine innere Stimme hören, zumal es hier um Fragen der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit geht. Und ja: Dies muss ihm auch durch den Staat erlaubt und ermöglicht werden.

Genau dafür plädiert nun eine Initiative von Musikern aus allen Sparten, die sich in Reaktion auf die neuen, schon weithin geltenden Einschränkungen des Musik- und Konzertbetriebs gegründet hat. Ähnlich wie die Schauspieler-Initiative unter dem Stichwort #allesdichtmachen wollen sie den oft allzu unkritisch geduldeten Pandemie-Maßnahmen der Gegenwart die Stimme der Künstler entgegensetzen – derjenigen Künstler, die nicht zu den Gewinnern der Lage zählen.

Das Team von »Musik in Freiheit« hat ein Manifest ausgearbeitet, das vor allem mit den Grundrechten argumentiert: Musik, so heißt es darin, könne »ihre Kraft nur dann entfalten, wenn alle Menschen freien Zugang zu Konzertveranstaltungen haben, unabhängig von Bedingungen und Einschränkungen«, wenn »jeder Einzelne frei entscheiden kann, unter welchen Umständen ein Konzertbesuch verantwortungsvoll möglich ist«, und wenn schließlich »Künstler ihre Kunst ungehindert ausüben können«.

Der Anlass für diese grundsätzlichen Worte: Die Unterzeichner des Musiker-Manifests legen Wert auf ihr Recht, selbst über ihren Körper entscheiden zu dürfen. Einige möchten nicht ständig zu Tests gezwungen sein. Die meisten lehnen die nicht ausreichend untersuchten mRNA- und sonstigen Impfstoffe ab und kommen damit teils in arge Bedrängnis.

Hilmar Kupke, Violinist und Solo-Bratscher am Theater Regensburg, ist Teil des Presseteams der Initiative »Musik in Freiheit«. In den letzten Wochen hat er deshalb viel mit Mitgliedern und Außenstehenden über das Thema gesprochen. Er weiß von nicht wenigen Musikern, die ihren Beruf notgedrungen aufgeben. Der Lockdown war der erste Nagel für diesen Sarg, der kommende 2G-Winter könnte der zweite werden.

Kuriose Regelungen und eine Atmosphäre der Denunziation

Die Regelungen der Klangkörper und Veranstaltungsorte sind dabei sehr unterschiedlich. Es gibt Veranstalter, die 2G eingeführt haben, wo also keine ungeimpften Musiker mehr arbeiten können. Bei anderen Klangkörpern gilt 2G nur für Aushilfen. Wieder andere lassen Tests zu, die mal vom Orchester, mal aus der eigenen Tasche bezahlt werden müssen. Im Falle eines Orchesters gibt es für Musiker, die sich nicht alle 48 Stunden testen lassen wollen, die Möglichkeit von Ungetesteten-Diensten – also Proben, bei denen Mindestabstände eingehalten werden können. Eine weitere Kuriosität, die direkt mit dem angespannten Meinungsklima der Republik zusammenhängt.

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Kupke kann weitere kurios-unsinnige Geschichten erzählen: »Ein Orchester hatte den Fall einer infizierten Musikerin, die selbst doppelt geimpft war. Daraufhin wurden die Ungeimpften vom Dienst freigestellt. Das wurde dann einen Tag später wieder aufgehoben.« Die Ungeimpften wurden also pauschal als Quelle der Ansteckung vermutet. Ein willkürlicher Eingriff in ihre Rechte.

Ein gewisses Widerstands- und folglich Freiheitspotenzial sieht Kupke in der freiberuflichen Szene. Doch ist man auch hier meist auf die üblichen Veranstaltungsorte angewiesen – häufig sind das Kirchengemeinden, die inzwischen auch schon 2G-Regelungen eingeführt haben. Am Ende stellt sich die Frage der Einigkeit eines Ensembles. So stand ein Chor vor der Wahl, entweder nur die Geimpften singen zu lassen oder auf das Engagement zu verzichten. Am Ende wurde »das Ensemble ausgeladen, weil sie sich innerhalb der Gruppe nicht einig waren«.

Ginge es nach Kupke, müsste an dieser Stelle eine ganz klare Regel gelten: »Entweder alle oder keiner.« Alles andere empfindet er als »eine ethische Zumutung für den Zusammenhalt eines Ensembles«: »Es untergräbt das Vertrauen und schafft eine Atmosphäre der Denunziation, der Unterstellungen, der Angst. Und das ist mit Kunst und mit Freiheit und mit demokratischen Werten nicht zu vereinbaren.«

Musiker verkaufen ihre Instrumente, um die Miete zu bezahlen

Viele Musiker, die sich nicht mit den zugelassenen ›Impfstoffen‹ behandeln lassen wollen, geraten durch diese Zustände an ihre Existenzgrenzen. Nicht wenige haben ihren Beruf bereits aufgeben müssen, gehen inzwischen Getränkekisten stapeln oder anderes, um ihre Miete zu bezahlen: »Für die Freiberufler ist es jetzt schon eine existenzbedrohende Situation. Ich kenne Instrumentenbauer, die flehentliche Anrufe von Musikern erhalten, die ihre Instrumente verkaufen wollen, damit sie die Miete bezahlen können.«

Die Initiative »Musik in Freiheit« lehnt die 2G-Regeln auch für das Publikum ab. »Denn dann werden Menschen vom Musikgenuss ausgegrenzt, die von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machen, sich nicht impfen zu lassen. Wir haben keine Impfpflicht, dafür gibt es auch gar keine Evidenz, und wir haben ahnungslose Politiker …«, meinte Kupke dazu.

Auch viele Jazz-Clubs haben auf 2G umgestellt, einfach weil sie so mehr Karten verkaufen können. Bei Besetzung im Schachbrettmuster wären diese Clubs wohl nicht rentabel zu betreiben. Tatsächlich gäbe es noch immer die Möglichkeit, die Mittel aus dem Fonds »Neustart Kultur« zu nutzen, der einen erheblichen Teil der Karteneinnahmen erstattet – aber dann eben zum Preis halbleerer Clubs, in denen vermutlich kaum Stimmung aufkommt.

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Für Kupke ist die Lösung eine ganz andere, viel allgemeinere: »Es gibt genügend Stimmen in der Wissenschaft, die seit Monaten einen Wechsel der Strategie anmahnen.« Es sei nicht so, dass die Expertise fehlt, sondern »es fehlt das Ohr für alle Stimmen in diesem Chor«. Damit meint Kupke Stimmen wie die des angesehenen Statistikers Gerd Antes. Vor allem fehlt ihm eine öffentliche, transparente Debatte über die vorliegenden Forschungsergebnisse, die die richtigen Schlüsse zieht.
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Kupke verweist auf die aktuelle Diskussion über die »Impfdurchbrüche«, in der gerade die Auffrischungsspritze als Kaninchen aus dem Hut gezaubert wird, um zu erklären, dass zwei Impfdosen doch nicht auf Dauer gegen eine Hospitalisierung und einen schweren Verlauf schützen sollen: »Die Politik ist offenbar komplett uninformiert über die Vorgänge auf den Stationen, und lässt sich von einigen wenigen auf ihren Kurs festlegen.« 2G und 3G hält Kupke deshalb nicht nur für rechtswidrig im Sinne der in verschiedenen Charten niedergelegten Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und Teilnahme am kulturellen Leben. Er sieht die entsprechenden Regelungen »auch medizinisch überhaupt nicht validiert«: »Ich kenne keinen sachlichen Grund.« Es bleibt nur noch ein Schluss: Die verschiedenen G-Regelungen sind Schikanen für die Ungeimpften und bilden eine »Impfpflicht durch die Hintertür«.

Doch was wäre die Alternative? Mehr Testen, mehr Abstand? »Ich glaube, es gibt mehr als diese Alternative. Wir haben ja im Norden von Europa verschiedene Länder, die die Maßnahmen einfach beendet haben.« Auch basiere die Notfallzulassung der ›Impfstoffe‹ nur auf der Annahme, dass es keine verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten für Covid gibt. Dabei gebe es weltweit genügend Mediziner und Forscher, die genau das sagen: Wir haben Behandlungsmöglichkeiten. »Wir meinen, dass die Freiheit grundsätzlich, hier in Deutschland und weltweit, aus Gründen beschränkt wird, die aus unserer Sicht nicht valide genug sind.«

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Auch für das Publikum bedeuten die G-Regeln natürlich eine Diskriminierung. Kupke meint, dass die Stimmen derjenigen, die auf eine ›Impfung‹ verzichten, im Allgemeinen zu wenig gehört werden. So verkündete der Intendant der Münchner Philharmonie freudestrahlend die sogenannte 3G-Plus-Regel, »damit möglichst vielen Menschen der Konzertgenuss ermöglicht« werde. 3G-Plus bedeutet, dass nur noch PCR-Tests neben Impf- und Genesenenzertifikat gültig sind. Für Kupke ist das anmaßend und sozial ungerecht: »Ja, wenn ich zu meiner Konzertkarte von vielleicht 100 Euro noch den PCR-Test mit 70 Euro bezahlen muss und dann vorher noch planen muss, damit das Ergebnis rechtzeitig da ist, dann ist das auch eine Diskriminierung von denen, die sich so entschieden haben.« Das werde gelegentlich vergessen angesichts der Freude eines großen Publikumsteils über die Wiederaufnahme der Konzerte.
Ein kleines, ermutigendes Signal

Alle diese Phänomene bewegen die Initiative »Musik in Freiheit« dazu, sehr grundsätzlich die Frage zu stellen, wie man aus der Pandemie-Sackgasse als Gesamtgesellschaft wieder herauskommen kann. Vor allem denken die Musiker daran, sich auch als Künstler zu Wort zu melden, ganz ähnlich wie es die Schauspieler mit den Aktionen #allesdichtmachen und nun wieder mit #allesaufdentisch machen. Nachgedacht wird über Konzerte, die vielleicht Text und Musik verbinden. Diese Ideen sind freilich noch im Entstehen begriffen. Vor allem wären die freiheitsliebenden Musiker in diesem Fall wiederum mit den Bedingungen der Säle und Veranstaltungsorte konfrontiert.

Trotzdem ist Kupke auf seine Weise zuversichtlich: »Ich glaube, dass diese Stimme der Kultur und der Künstler gebraucht wird.« Kann er sich so etwas wie die Danser-encore-Proteste in Frankreich vorstellen? Durchaus, auch wenn es dazu in Deutschland eine gewisse Überwindung bräuchte: »Vielleicht haben wir es in Deutschland ›in den Genen‹, dass wir Dinge eher erdulden und ertragen und für gesetzt halten, anstatt dagegen aufzubegehren.« Wahrscheinlich entsprechen diese ›Gene‹ eher angelernten Verhaltensweisen, die sich auch verändern lassen, vielleicht schon andere geworden sind. Jedenfalls wird aus dem Musiker-Manifest klar, dass noch etwas anderes für die Menschen hierzulande gilt: Sie lassen sich am Ende nicht alles gefallen.

Frage zum Schluss: Leben wir in einer gespaltenen Gesellschaft? Kupke bejaht, das gehe »quer durch die Ensembles«, durch die Familien, durch die Arbeitswelt: »Wo ich es noch vermisse, das ist in der Politik.« Wenige Tage zuvor hatte er eine Gruppe von EU-Abgeordneten gesehen und gehört, die sich gegen den »Green Pass« als Zugangsvoraussetzung aussprachen. Das sieht der Musiker als ein kleines, aber ermutigendes Zeichen: »Es ist ein kleiner Teil, der jetzt damit beginnt, sich in der Politik öffentlich zu positionieren.«

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