Tichys Einblick
Willie Nelson wird 90 Jahre alt

Der Outlaw, der dem Weißen Haus aufs Dach stieg

Der Country-Sänger Willie Nelson feierte seinen 90. Geburtstag. Er gehörte zur „Outlaw“-Bewegung, nicht nur weil er ein Kiffer vor dem Herrn war. Seine jüngste Platte hat er dieses Jahr veröffentlicht. Von José Marinho

IMAGO / UPI Photo

Wenn die Apotheken Umschau immer recht hätte, dann dürfte es diesen Text gar nicht geben. Der Country-Sänger Willie Nelson feierte am Samstag seinen 90. Geburtstag. Und das, obwohl ihn das Portal Kulturnews.de zu einem der zehn größten Kiffer aller Zeiten im Musikgeschäft gewählt hat. Vom Alkohol gar nicht zu reden. Trotzdem bringt er seit über 50 Jahren und immer noch fast jedes Jahr ein neues Studioalbum raus. Und hat erst vor neun Jahren den Schwarzen Gürtel in der südkoreanischen Kampfsportart Gongkown Yusul erworben.

Wie fit Nelson noch ist, zeigt sich, wenn er auf der Bühne steht. Wenn er mit Norah Jones zusammen Crying Time oder Baby it’s cold outside singt, dann singen da zwei Menschen, die über die Altersgrenze hinweg die Liebe zur Musik vereint. Ohnehin hat Nelson im Laufe seiner Karriere immer wieder mit anderen Kollegen zusammengesungen, etwa mit Dolly Parton oder Julio Iglesias. Mit ihm hatte er seinen weltweit größten Hit „To all the Girls I loved before“.

Nelsons Karriere ließe sich in Zahlen ausdrücken. Sie sind eindrucksvoll. Aber doch letztlich banal. Der Wert eines Willie Nelsons in der jüngeren Kulturgeschichte ist damit nicht zu greifen: Von den Erlösen seines ersten Erfolgs „Night Life“ kauft er sich 1959 ein Auto und zieht damit nach Nashville. Dem Herz der amerikanischen Country-Musik. Dort setzt er sich als Sänger leidlich durch, ist aber vor allem als Songschreiber geschätzt. 1970 brennt dort an Weihnachten sein Haus ab und er kehrt Stadt und dem Betrieb den Rücken. Zu kommerziell, zu korrupt ist ihm Nashville geworden. Mit seinem Ausstieg prägt Wilson die „Outlaw“-Bewegung mit. Sänger, die mit dem Business in Nashville nichts mehr zu tun haben wollen wie Waylon Jennings oder Kris Kristofferson.

Nashville hasst die Outlaws. Anfangs. Doch die verkaufen Schallplatten wie geschnitten Brot. Sie verleihen einer Musikrichtung, die tot schien, neuen Atem. Also umarmt Nashville sie auch wieder. There’s no business like Showbusiness. Nicht nur seine Kritik macht Wilson zu einem Outlaw, zu einem außerhalb der Gesellschaft Stehenden. Auch sein Verhalten tut das.

Die Geschichten um Nelson sind legendär. Ob er tatsächlich neun Stunden lang Sex mit einem Groupie gehabt hat, oder ob er wirklich von einer eifersüchtigen Geliebten in ein Bettlaken eingenäht wurde, lässt sich kaum seriös verifizieren. Bestätigt ist indes die Anekdote, dass er 1980 beim Kiffen erwischt wurde. Auf dem Dach des Weißen Hauses. Mit dem Sohn des damals amtierenden Präsidenten Jimmy Carter. Sogar aktenkundig sind seine beiden Verhaftungen wegen Cannabis-Besitzes.

Wie geht ein Musiker mit diesen Verhaftungen um? Zum einen kauft er sich ein Haus auf Jamaika und lässt sich 2016 – dem Jahr, in dem so viele Musiker gestorben sind – lachend in einem Pullover fotografieren, den ein großes Hanfblatt ziert. Zum anderen singt er darüber. Einen seiner besten Songs: Me and Paul. Der ist gleichzeitig herzergreifend sentimental und wahnsinnig lustig. Außerdem enthält der Text den Rat, dass, wenn man in den USA unterwegs ist, man besser nicht das falsche Zeug in seinen Kleidern zurücklässt. Da weiß jemand offensichtlich, worüber er singt.

Mit Humor singt. Den macht Willie Nelson aus wie kaum einen Zweiten in dem Geschäft. Etwa wenn er mit Johnny Cash auf der Bühne steht und sich in der Anmoderation beklagt: „Hier steht Wasser, Kaffee und Heiße Schokolade – ich frage mich – was ist mit unserem Image passiert?“ Cash antwortet in gleicher Münze: Er sorge sich nicht, solange sie weiter in schwarzen Klamotten auftreten. Großartig ist sein Video zu It’s hard to Be Humble. Während er davon singt, wie schwer es ist, mit diesem Aussehen bescheiden zu bleiben, geht die Kamera auf eine Fahrt durch die Falten des damals 87-Jährigen. Das machen im amerikanischen Showgeschäft nicht viele mit.

Seinen Humor nimmt er auch mit in seine vielen Filmauftritte. Etwa „Wag the Dog“, der die Affäre von Bill Clinton mit Monica Lewinsky parodiert hat – noch bevor sie passiert ist. Nelson organisiert in dem Film ein wohltätiges Musikprojekt, womit er die „Band Aid“ der 80er Jahre und ihren Hit We are the World parodiert – an denen er im Original selbst beteiligt war. Während Dustin Hoffman als Filmproduzent von ihm fordert, weitere Hits zu schreiben, würde er gerne einfach nur einen saufen gehen – und es ist nicht ganz klar, wie viel Willie Nelson und wie viel Filmfigur in dem Moment zu sehen ist.

In den 80er Jahren ist Nelson mit Cash, Jennings und Kristofferson auf Tournee. Als Highwaymen. Country ist (wieder mal) tot. Und es braucht diese vier großen Namen, um die Säle noch zu füllen – vor allem aber um im MTV-Zeitalter die Aufmerksamkeit der Medien zu bekommen. Letzteres gelingt nur bedingt, die Konzerte aber werden zu einem Meilenstein der Musikgeschichte. Auch weil Nelson ein begnadeter Gitarrist ist und den Klassikern Johnny Cashs nochmal eine eigene, neue Qualität mitgibt. Wobei die Musik schon Weltklasse sein mag, aber nichts im Vergleich zu den Besäufnissen, die hinter der Bühne stattgefunden haben sollen.

Nelson hat es überlebt. Seine jüngste Platte „I don’t know a Thing about Love“ ist im Handel. Mit Ausnahme der Schweizer Verkaufsliste hat sie es zu Redaktionsschluss noch in keine Charts gebracht. Aber nach einer Karriere, wie sie Nelson hingelegt hat, sind Zahlen auch einfach nur noch banal. Es wäre noch so viel zu erzählen, von seiner ersten Frau, die Cherokee war und ihm drei Kinder schenkte. Von seinem Hit „Crazy“, der eigentlich „Stupid“ heißen sollte, was aber nicht gut geklungen hat. Oder davon, dass er sich angeblich das Rauchen abgewöhnt hat. Und natürlich von seinem größten Hit in Deutschland: „On the road again“. Doch es ist alles in seiner Musik. Wer’s noch nicht kennt, sollte mal Me and Paul streamen. Er wird’s nicht bereuen. Wer’s kennt, dem muss man es gar nicht erst ans Herz legen.

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