Tichys Einblick
„Sensitivity Reading“

Mozarts „Zauberflöte“ im Genderformat

Es war nur eine Frage der Zeit, dass auch Opernlibretti zur Disposition gestellt werden, wenn es gilt, Musiktheaterwerke von Meistern vergangener Epochen auf Feminismus, Antirassismus und LGBTQ-Kompatibilität zu trimmen. Das erste Werk, das von „sexistischen und rassistischen“ Inhalten gereinigt werden soll, ist Mozarts „Zauberflöte“.

Papagena, das von dem Vogelfänger Papageno angeschmachtete „Weibchen“, wird nun zur „starken Amazone“ umgedeutet. Hier: Papageno und Papagena während der Fotoprobe im Rahmen der Salzburger Festspiele, 24.07.2018

IMAGO / Ernst Wukits

Die Opernszene gilt gemeinhin als vergleichsweise konservativ und hat sich gegenüber dem woken Mainstream bislang als relativ widerstandsfähig gezeigt. Was vor allem daran liegt, dass sich die Textbücher von Opern, die Libretti, infolge ihrer engen Verzahnung mit Musik nicht so leicht dekonstruieren lassen, wie es im Sprechtheater der Fall ist, wo bekanntermaßen kein Stein mehr auf dem anderen geblieben ist und heute historische Dramen so gut wie nicht mehr im Original gespielt werden, sondern, wenn überhaupt, in Adaptionen oder „Überschreibungen“, meist bis zur Unkenntlichkeit verfremdet.

Trotzdem war es nur eine Frage der Zeit, dass auch Opernlibretti und zumindest Teile der Musik zur Disposition gestellt werden, wenn es gilt, Musiktheaterwerke von Meistern vergangener Epochen auf Feminismus, Antirassismus und LGBTQ-Kompatibilität zu trimmen. Ganz in diesem Sinne hat der Regisseur, Dramaturg und Intendant Berthold Schneider, zuletzt Intendant der Oper Wuppertal, die Initiative „Critical Classics“ ins Leben gerufen, deren Ziel es sei, „ein generelles Bewusstsein für diskriminierende Sprache in Opernlibretti zu wecken und anhand praktischer Beispiele eine Diskussion anzuregen, wie mit problematischen Inhalten umgegangen werden kann“.

Das erste Werk, das sich Schneider und sein Team vorgeknöpft haben, um es von „sexistischen und rassistischen“ Inhalten zu reinigen, ist Mozarts „Zauberflöte“. Die „Zauberflöte“ wohl deshalb, weil sie die mit Abstand meist gespielte Oper des klassischen Repertoires ist und man damit am ehesten etwas Wirbel veranstalten kann. Außerdem spielt darin ein leibhaftiger Mohr und damit nahe liegendes Opfer rassistischer Umtriebe namens Monostatos eine tragende Rolle. Ansonsten ist und bleibt die „Zauberflöte“ ein seichtes Märchenstück im Stil der barocken Maschinenoper, aufgemotzt mit etwas Freimaurersymbolik, das ungeachtet ambitionierter Regieversuche kaum als aufklärerische Ideenoper taugt.

In der jüngst veröffentlichten Genderversion von „Critical Classics“ wird die verquaste, oft in sich widersprüchliche Handlung bierernst genommen und der Text des windigen Theaterimpresarios Emanuel Schikaneder, dem Mozart sein Genie lieh, Wort für Wort unter die Lupe genommen. Dafür verantwortlich zeichnet ein gewisser Aşkın-Hayat Doğan, der auf seiner eigenen Webseite als „Diversity- und Empowerment-Trainer“ sowie „Sensitivity Reader“ firmiert. Laut Critical Classics gilt Doğan, der in der Türkei aufwuchs und an der Freien Universität (FU) Berlin Turkologie- und Islamwissenschaft studierte, als „Referenz“ seiner noch recht jungen Zunft. Früher hätte man wohl von einem Zensor gesprochen.

Die Musik, heißt es in der Presseaussendung von „Critical Classics“, werde nicht verändert, was nicht stimmt, weil man der Ansicht ist, dass Pamina, Tochter der Königin der Nacht, von den Autoren (Mozart und Schikaneder) „am Beginn etwas nachlässig behandelt“ werde, weswegen man ihr eine zusätzliche Arie gönne. Die Musik stamme zwar auch von Mozart, sei aber mit einem neuen Text unterlegt worden. Ein Anliegen der Genderversion ist schließlich, dass die Frauen stets und wenigstens auf Augenhöhe mit den Männern agieren. Deswegen wird Papagena, das von dem Vogelfänger Papageno angeschmachtete „Weibchen“, zur „starken Amazone“ umgedeutet. Und Monostatos, der dunkelhäutige Sklave bzw. Diener des Tempelherren Sarastro wird kurzerhand zu dessen Adoptivsohn erklärt.

Die Genderei beginnt schon damit, dass sich der Sensitivity Reader an der alphabetischen Auflistung der Charaktere stört, die den Männern Priorität einräume und deswegen zugunsten der Frauen geändert werden solle. Die Umwidmung von Monostatos zum illegitimen Sohn Sarastros mit einer Sklavin, wird damit begründet, dass diese Figur keinesfalls als POC (People of colour) angelegt werden dürfe, weil dies, je nach Besetzung, ein „blackfacing“ erfordere und zu Diskriminierungen Anlass gebe. Eine etwas merkwürdige Einlassung, weil Blackfacing, das „Schwarzschminken“ hellhäutiger Darsteller, auf Theaterbühnen ohnehin längst verpönt ist und in aller Regel auch Monostatos’ Passage „weil ein Schwarzer hässlich ist“ nicht mehr gesungen wird. Stattdessen heißt es heute meist „weil ein Sklave hässlich ist“.

Auch die Tatsache, dass das Spiel der „Zauberflöte“ in Ägypten angesiedelt ist, erscheint den Autoren der Genderfassung problematisch. Selbst wenn es sich nur um den Rückgriff auf eine Märchenerzählung handele, heißt es in einer erläuternden Randnotiz, könne die Darstellung anderer Kulturen leicht zu Stereotypen führen. Hier sei „interkulturelle Sensibilität“ nötig. Rat der Autoren: Im Zweifelsfall solle ein „Experte für Diversität“ herangezogen werden.

In diesem allzu offenkundigen Stil geht es weiter durchs ganze Libretto mit satirischen Höhepunkten wie dem Zugeständnis des Sensitivity Readers, dass der Vogelfänger Papageno seine Papagena ausnahmsweise als „Weibchen“ ansprechen dürfe. Zwar handele es sich bei dem Wort „Weib“ um eine Herabwürdigung von Frauen, doch werde es auch für die Bezeichnung weiblicher Haustiere verwendet. Und da Papageno selbst ein halbes Tier sei, könne er von seinem „Weibchen“ träumen.

Dass die Genderversion der „Zauberflöte“ vielleicht nicht der ganz große Wurf ist, dafür mag die bislang eher dürftige Berichterstattung über das Projekt in den Feuilletons ein Beleg sein. Selbst der Musikjournalist Axel Brüggemann, ansonsten sicher im Mainstream verortet, lästerte verhalten: Habe Mozart hier nicht als einer der ersten überhaupt einen Schwarzen auf die Bühne gestellt? Und habe ihm Mozart nicht wunderschöne Musik gegeben, so wie übrigens auch dem Serail-„Bösewicht“ Osmin? „Können wir bitte mit der Kunst selber auf diese Fragen antworten, mit dem Spiel, der Kreativität – und nicht mit neuen Editionen?“

Berthold Schneider und seine Initiative Critical Classics haben gewissermaßen offene Türen eingerannt. Das wird wohl auch bei den nächsten angekündigten Projekten der Fall sein, darunter eine gereinigte Fassung von Bachs „Johannespassion“, in der man sich aller Voraussicht nach den schon Jahrzehnte lang ausgiebig diskutierten antisemitischen Elementen des Neuen Testaments und der Luther-Bibel widmen wird.

In einer Untersuchung der Bachschen Passionen seitens der Pastorin Hanna Lehming, Referentin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland für den christlich-jüdischen Dialog, heißt es: „Die Matthäus- und die Johannespassion sollten so aufgeführt und interpretiert werden, wie Bach es vermutlich gemeint hat und wie seine Musik die Texte interpretiert. Das empfundene Dilemma, Gefühle des Unbehagens, können nur durch Information, Aufklärung und Reflexion über die Hintergründe vor allem des neutestamentlichen Textes aufgefangen werden. Über das Problem einfach hinwegzugehen, ist heute kein gangbarer Weg mehr.“

Wenn nicht jeder Aufführung der Johannes- oder Matthäuspassion oder anderer potentiell anstößiger Werke künftig ein Warnhinweis beigefügt wird: Gegen Aufklärung und Reflexion ist nichts einzuwenden und entsprechende „kontextualisierende“ Programmheftbeiträge kann man lesen oder nicht. Die Werke jedenfalls blieben intakt und unbehelligt von den Eingriffen unsensibler „Sensitivity Reader“.

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