Kraftwerk, Scorpions, Rammstein – so heißen drei der ganz großen akustischen Aushängeschilder Deutschlands in der Welt. Am gegenwärtigsten ist hier noch Rammstein. Über den Einfluss der Berliner Band über den großen Teich hinweg schrieb die Welt 2015: „Keine deutsche Band ist in Amerika, dem Mutterland der Rockmusik, berühmter, begehrter und beliebter als Rammstein.“
Die überragende Bedeutung und also auch Botschafterfunktion der Band um Sänger Till Lindemann wird noch deutlicher, wenn man sich fast 20.000 Amerikaner vorstellt, die 2010 im Madison Square Garden in New York dabei sein wollten, als Rammstein auftraten. Das Konzert an diesem magisch-weihevollen Ort für Musiker war schon nach 20 Minuten restlos ausverkauft. Und eine filmische Dokumentation dieses Auftrittes konservierte, wie alle Zuschauer exstatisch jedes deutsche Wort mitsangen.
Damit verglichen sind selbst die megaerfolgreichen „99 Luftballons“ von Nena nur ein kleiner Klacks in den vergangenen US-Charts. Rammstein überragt sie alle. Gestern nun präsentierte die Band das Video zu einem neuen Song mit dem Titel „Deutschland“.
Wer reinhört, stellt schnell fest, dass sich bei den Musikern dieses hypnotische „Our Darkness“ von Anne Clark aus den 1980er Jahren tief in die musikalische DNA eingebrannt haben muss. Eingebrannt, als die Mauer fiel und dieser Moloch Berlin als Welthauptstadt des Wahnsinns über so viele junge wagemutige, tollkühne oder einfach nur naive DDR-Bürger kam und mit seinem exotisch verschmiertem BRD-Kolorit, seiner exzessiven Lautstärke und sie zuletzt auch mit seinem Koks und Extasy schwangeren Übel-Odem überfiel, Galaxien jenseits gewohnt durchorganisierter FDJ-Aufmärsche und meilenweit jenseits des kargen Angebotes der HO-Märkte und Broilerstationen.
Soweit zur Ouvertüre von Rammsteins „Deutschland“. Der Song ist aber noch viel mehr. Er kommt auch über uns als vermeintliche Abwehrreaktion einer durch und durch kommerzialisierten Erfolgskapelle gegen eben ihre ureigene perfekte Kommerzialisierung. Zwei Tage auf Youtube, mit etwa 14 Millionen Aufrufen.
Das Mittel der Wahl, um diesen Widerspruch aufzulösen: Der Skandal in Form eines kurzen Ausschnitts aus dem Video, das die Band in KZ-Häftlingskleidung am Galgen zeigt und das sich später in der fast zehnminütigen Langfassung als nur noch eine Sequenz eines Höllenritts durch 2.000 Jahre deutsche Geschichte herausstellen soll.
Nun wollte Rammstein immer der deutsche Panzer im unwegsamen Gelände der U-Musik sein, war dann aber immer viel eher der gepflegte Volkswagen. Dann nämlich, wenn der Autokonzern schon vor Jahren in Wolfsburg das hauseigene Kraftwerk für Konzerte der Band aufmachte und so in greifbare Nähe rückte, dass der kommende Golf von Volkswagen mit „Rammstein“ gelabelt werden könnte, so wie es in den 1990ern eine Golf-Edition „Rolling Stones“ gab.
2013 im Kraftwerk hatten die Volkswagen Manager ihre hypernervösen Yoga-Gattinnen vom englischen Rasen aus direkt in die VIP-Bereiche ihres Kraftwerks gehievt um sie dort mit der nun mehr von Volkswagen domestizierten Rammstein-Till-Lindemann-Männlichkeit ein bisschen gaga zu machen, als man die Damen etwas zu nah ans Feuer und gegenüber der strammen Lederhose des Frontmanns setze.
Ein letztes großes Fest für den Verbrennungsmotor, ein Spektakel auf dem Vulkan, als dieser Symbolraum deutscher Industrie von den Rammstein-Pyromanen feuerhell erleuchtet wurde – das Ende aber doch schon so nah.
Amerikanische Kids sangen in den 1990er Jahren Rammstein-Texte auf Deutsch – aber ohne sie zu verstehen. Jetzt soll es quasi als großes Finale die erste Strophe des Deutschland-Liedes über den großen Teich schaffen: „Deutschland, Deutschland, über alle(n).“ In den USA sicher kein großes Ding, why not? – hierzulande aber Grund für sich gegenseitig entzündende mediale Fieberschübe, wenn nach der frühen heftigen Empörung die Erleichterung folgt, dass die Welt doch nur ein musikalisches „Meisterwerk“ erhalten hat.
Das martialische Auftreten von Rammstein als säuberlich aufgerollte Alpina über der fleckigen Rauhfaser einer nachhaltigen deutschen Verletztheit. Die Wut der Pimpfe über das Älterwerden. Und der deutsche Jungmann klebt Letraset-Buchstaben in Fraktur an die Rückscheibe seines getunten mattschwarzen Golfs: zuerst „Böhse Onkelz“, dann „Rammstein“ und heute prangt da „Volbeat“. Immer rechts unter der Stoßstange mit dabei der Aufkleber „Todesstrafe für Kindermörder.“
Darf einem das alles trotzdem brutal gefallen, wenn die deutsche Linke und Rechte in diesem „Deutschland“-Video über fast zehn Minuten so gemein getriggert wird?
Na klar. Denn was für ein hinreißend aufwühlendes Filmfest ist das eigentlich geworden, ein hysterisch-mitreißender Reigen in erstklassige Hollywood-Ästhetik, breit getrampelt von Till Lindemanns feuerfesten Siebenmeilenstiefeln querbeet durch Ritter-Ästhetik, Nationalsozialismus, DDR, eine schwarze, starke, schöne Jeanne d’Arc, Maria, Germania – und das alles als gigantisch bildgewaltige Deutschland-Ikonografie.
Der Konsument schaut und hört fasziniert, kann bald nicht mehr wegschauen oder weghören, kann nicht einmal sagen, ob er dieses „Deutschland“ nun gut oder schlecht fände, spürt aber am pochenden Puls instinktiv etwas Großartiges, etwas, dass das Potenzial hat, Gelähmte wieder gehend zu machen. Oder genauer: eine anhaltende Lähmung in der Rezeption der deutschen Gegenwart tatsächlich durch eine kommerzielle Provokation sichtbar zu machen:
„Deutschland – mein Herz in Flammen. Will dich lieben und verdammen.
Deutschland – dein Atem kalt. So jung – und doch so alt. Deutschland!“