Das wird jetzt ein Ritt über den Bodensee, lieber Leser, so ein richtiges #Fedidgwürgel, wie es bei der Union heißt. Auf RTL erwartete uns der Betroffenheitstalk „Am Tisch mit Angela Merkel“ (da saß uns das Gwürgel von Schulz vergangene Woche noch in den Knochen). Bei Anne Will versprachen Christian Lindner (FDP) und Alice Weidel (AfD) ein wenig Abwechslung vom erwartbaren Einheitsbrei. Eine kleine Zeitverschiebung und dieses Internet machten es möglich, uns beides anzuschauen – es ging eh ums selbe Thema: „Merkel oder Merkel – hat Deutschland nur diese Wahl?“
Wahlkampf für Dummys
Eigentlich ist es ja eher witzig. Thomas Oppermann (SPD) muss uns den Biggest Loser, Mister-nur-noch-24%-Schulz, irgendwie schmackhaft machen, und Volker Kauder (CDU) weiß gar nicht, gegen wen er eigentlich wahlkämpfen soll. Gegen Alice Weidel, die seine Angela vor einen Untersuchungsausschuss des Bundestages zerren will, wenn die AfD erst mal im Bundestag sitzt? Na gut, da haut er feste druff, aber eigentlich sieht er sich in einer anderen Liga. Soll er gegen Christian Lindner stänkern, der auch einen solchen Untersuchungsausschuss angekündigt hat? Nein, der Christian ist sein neuer Lieblingspartner, dem lässt er solche Flegeleien durchgehen. Und beim eigentlichen Gegner der Union, der SPD, und erst recht deren Wadenbeißer Oppermann, hat Kauder eine regelrechte Beißblockade.
Erst als Oppermann das Jammern über vergangene Koalitionstage nicht lassen kann, kontert Kauder wie ein verlassener Liebhaber: „Wenn man dich so hört, Thomas, dann wundert mich nicht, dass ihr bei 24% liegt.“ Es liegt fast ein wenig Wehmut in seinen Worten. Oppermann kann auch keinen Trennungsgrund nennen, warum er mit Kauder und Co. nicht mehr will. Es gibt ja auch nur einen: dass selbst, wenn die alte Tante SPD jeden Wunsch erfüllt bekommt, sie in der Merkelschen Umklammerung eingeht wie eine Primel. Aber das darf er nicht sagen. Kauder, der das ganz genau weiß, geht also schonend mit dem Thomas um, wer weiß, am Ende teilt man sich vielleicht doch wieder der GroKos Tisch und Bett.
Es ist grundsätzlich immer wieder erstaunlich, wie der Wähler mit Debatten, die haarscharf das Thema verfehlen, abgespeist wird. Werfen wir, bevor wir zu RTL umschalten, einmal einen kurzen Blick auf Überschriften der letzten Tage, die die Realitäten im Lande wohl besser abbilden als die Talkshows: „Deutsche zahlen Spitzenwert an Steuern und Abgaben“ (Zeit), „Düstere Prognose: Strompreise steigen weiter“ (Computer–Bild), „Sozialsysteme: Das sind die wahren Folgen der Flüchtlingskrise“ (Welt) „Ökobilanz. Der große Schwindel mit den Elektroautos“ (Spiegel), „Ist mit unserem Recht noch alles in Ordnung?“ (Bild) „Angst vor Gewalt-Übergriffen: Ex-KSK-Mann schult deutsche Rettungskräfte“ (Focus).
Dagegen ist die Welt in den Talkshows noch ganz in Ordnung. Also zurück zur scripted reality, der „TV-Wirklichkeit“. Schalten wir um auf RTL. Bei Bertelmanns war alles genauso hergerichtet wie in der vergangenen Woche, auch die Gäste waren die gleichen, nur nicht dieselben. Ein Terroropfer, ein Polizist, eine Rentnerin, eine Flüchtlingshelferin, ein Flüchtling. Neu dabei, ein Dieselfahrer. „Was hier gefragt wird, weiß ich nicht“, strahlte eine gutgelaunte Angela Merkel.
Wie kann man den Unterschied zum Schulz-Talk am besten erklären? Vielleicht so: Bei Schulz fühlte man sich eher in ein Showformat versetzt, das auch gut „Chef für einen Tag“ hätte heißen können. Wo der Lagerist mal sagen darf, was er alles besser machen würde, wenn er der Chef wäre. Leider kennt er sich in den Details weniger aus, das macht er durch forsches Auftreten wett. Merkel hingegen war der Chef. Und als solcher ließ sie sich mal mehr, meistens aber weniger in die Karten blicken. Schließlich gucken auch zukünftige Koalitionspartner zu.
Natürlich, sagt sie einem Glühweinverkäufer vom Berliner Weihnachtsmarkt, war das mit Amri „nicht in Ordnung“. Deshalb kann die Abschiebehaft jetzt verlängert werden. Kann. „Gefährder muss man schärfer in den Blick nehmen“ und „rund um die Uhr überwachen“.
Einem traurigen Polizisten versprach sie, „nochmal einen ernsthaften Versuch“ zu machen, die desolate Situation für Polizeibeamte in manchen Bundesländern zu ändern. Aber dass die Polizei fast zum kleinen Staatsfeind wird, wenn Rote und Grüne die Mehrheit haben – warum sonst werden in derart regierten Ländern die Polizisten schlechter bezahlt und ausgerüstet und damit zu Prügelknaben gemacht? – nicht Merkels Schuld.
Ein Iraner wollte wissen, wann er positiven Bleibebescheid bekäme. Ewig habe er vom Flüchtlingsamt nichts gehört. „Sie haben nie einen Bescheid bekommen?“ Doch, er sei als Asylbewerber abgelehnt worden. „Und seither haben Sie eine Duldung?“ Ja. Und seit 2013 keinen neuen Bescheid? Das kam der Kanzlerin doch eher iranisch vor, sie müsse sich erst schlau machen. Sie habe schon solche Fälle gehabt, die am Ende ganz anders waren, als dargestellt. No Offence.
Da wollte Klöppel gleich ein Einwanderungsgesetz für den Geduldeten. „Das würde dem Iraner auch nicht helfen“, sagte Merkel. Man dürfe Asyl nicht mit Einwanderung mischen. Eine Alleinerziehende mit drei Kindern wollte wissen, warum sie steuerlich nicht als Familie, sondern als Single gilt. „Wir bewerten die Kinder im Steuerrecht nicht fair“, bestätigte Merkel. Sie will den Freibetrag der Kinder dem der Erwachsenen gleichstellen. Auch Rentnerin Lioba, 75, wird eine Verbesserung ihrer Lage in Aussicht gestellt. Schon sind wir bei Udo, dem Golf-Diesel-Fahrer. Udo sorgt sich um die Stickoxyde, die aus seinem Auspuff kommen, mindestens so sehr wie um den Werterhalt seines Autos.
Entgegen früherer Äußerungen will Merkel „Vertrauen in den Diesel zurückgewinnen.“ RTL–Klöppel will die Konzerne bestrafen wie in den USA, wo jeder sein Auto umtauschen und noch einen ordentlichen Batzen Entschädigung kassieren könne.
Zapp! An Anne Wills Katzentisch fordert auch Lindner eine solche Entschädigung. Und lautstark stritten sich die anwesenden Herren mal kurz um VW, wo die SPD mucksmäuschenstill im Aufsichtsrat sitzt. Alice Weidel wies darauf hin, dass ein Großteil des Skandals an den Grenzwerten liege. So sei in Gebäuden die vielfache Menge an Stickoxyden erlaubt, die im Straßenverkehr als gefährlich gelten. Oppermann verwechselte das zunächst mit Feinstaub, und musste schließlich passen. Von der Stickoxyd-Diskrepanz war ihm nichts bekannt.
Am Ende darf auch das Persönliche nicht fehlen. Nein, ließ die Kanzlerin bei RTL wissen, ein Burnout sei bei ihr nicht zu erwarten. Und in der ARD menschelte Christian Lindner, die Kanzlerin sei ja ganz prima, „aber in Krisen (Flüchtlinge, AKW-Unfall in Japan) reagiert sie impulsiv“. Und er sprach von einem Affektüberschuss. Das erinnert ein wenig an das Diskussionspapier eines Google-Mitarbeiters, der Frauen in Führungspositionen einen gewissen „Neurotizismus“ (emotionale Labilität) konzedierte. Der Mitarbeiter wurde inzwischen entlassen.