Tichys Einblick
Der neue gute Alliierte

Der Bundeskanzler im ZDF-Interview: Die mühsame Entpuppung des Olaf Scholz

Olaf Scholz schlägt im ZDF andere Töne an - vermutlich haben ihm die Nato-Partner mal die Meinung gegeigt. Jetzt sucht er den Befreiungsschlag, aber er ist von allen Seiten eingeengt. Statt zu führen, verzögert er nur noch. Überwindet dieser Kanzler die Lähmung irgendwann noch? Für jetzt spricht nichts dafür.

IMAGO / photothek

So energisch wie selten versucht Olaf Scholz am Montagabend auszubrechen – aus seiner politischen Einkesselung, genauso wie aus dem Kokon seiner reglosen Gesichtszüge. Immer wieder ballt er die Faust, schaut den beiden Moderatoren energisch in die Augen, richtet sich auf und scheint fast charismatisch – nur um dann wieder in Trance und belanglose Sprache zurückzufallen. Immerhin versucht er es.

Gleich im ersten Satz der ZDF-Interviewsendung „Was nun?“ beginnt er auf einmal vehement den Einsatz in Afghanistan zu rechtfertigen, spricht von der Solidarität mit den Vereinigten Staaten nach 9/11 – und das unaufgefordert. Ohnehin spricht er so oft wie nie zuvor von den „Nato-Partnern“, mit denen Deutschland auf einmal ganz abgestimmt handeln würde. Olaf Scholz, plötzlich der gute Alliierte?

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Mit Blick auf die militärische Lage in der Ukraine schlägt er ganz neue Töne an. Das Ziel sei nicht nur, dass die Waffen schweigen, sondern auch „dass Russland seine Truppen aus der Ukraine zurückzieht.“ Ohne Einvernehmen der Ukraine werde man die Sanktionspolitik schonmal überhaupt nicht einstellen. Ein vollständiger russischer Rückzug stünde der Ukraine zu. Und: „Wir werden nicht akzeptieren, dass die Krim annektiert worden ist“. 
Russland dürfe mit seiner Politik nicht durchkommen.

Merkwürdig: Vor kurzem warnte Olaf Scholz noch stets vor der Gefahr eines dritten Weltkriegs, wenn man schwere Waffen liefert.
Hat seine Regierung vergangene Woche in Ramstein von den heiß geschätzten Nato-Partnern mal ein paar ernstere Takte gesagt bekommen? Wurde klar gemacht, dass jenes Deutschland, das jahrelang das Nato-2-Prozentziel verfehlte und trotz aller Mahnungen an Nordstream festhielt, jetzt gefälligst mal zurück ins Bündnisglied treten soll?
Oder wurde der Druck in der Koalition oder von den Medien oder deshalb in der Koalition zu groß?

Olaf Scholz wirkt zunächst wirklich fast schon lebendig und wie ein begeisterter Nato-Politiker, dass die Moderatorin zur Frage kommt: „Haben Sie das Zögern aufgegeben?“

Doch sobald Fragen zu seinem Schlingerkurs und sehr schnell gewechselten Meinungen kommen, wirkt er wieder hilflos. So energisch er da gerade noch schien, so schnell fällt sein Kampfgeist in sich zusammen: Seine Hände sinken wie bleiern auf den Tisch, rutschen dann zur Tischkante, wo sie sich gerade noch mit den Spitzen festhalten können – ansonsten würden sie vermutlich zu Boden sinken und den Kanzler gleich mit unter den Tisch ziehen.

Scholz kann nicht anders: Statt seine Kehrtwende einzugestehen, versucht er, seine Politik als Kontinuum darzustellen. Behauptet sogar, man hätte ja schon im Dezember sehen können, dass Putins Angriff wahrscheinlich sei – merkwürdig, dass er dann wenige Tage vor dem Angriff nach Moskau reiste und seine Parteifreunde bei der Rückreise feierten, Scholz habe alles in Butter gebracht. Und merkwürdig auch, dass er bis zuletzt weiter auf Nordstream 2 setzte.

Und wenn Scholz dann gar nichts mehr einfällt, fängt er wieder mit seinen Führungsfloskeln an. Führung hier, führen da, Leadership dort. Er sagt abermals: „Führung besteht darin, dass ich nicht jedem der laut ruft und falsche Argumente sagt, nachgebe.“ Komisch – denn genau jenen, denen er vor zwei Wochen noch falsche Argumente vorgeworfen hat, hat er jetzt nachgegeben.

Die Sprache kommt auf Steinmeier und auf die Frage dessen untersagter Reise nach Kiew. Das sei ja ein „bemerkenswerter Vorgang“ meint Scholz und erläutert, dass das so nicht gehe, und er deshalb zunächst nicht nach Kiew reisen würde. Natürlich: Er kann auch nicht anders, der Mann in Bellevue ist ja schließlich nicht nur von seiner Gnade, sondern auch Genosse. 
Dennoch wird von dieser Sendung nur dieser Satz medial breit rezipiert. Der ukrainische Botschafter nennt Scholz „beleidigte Leberwurst“.

Scholz sitzt in der Falle. Die einen kritisieren ihn wegen seiner zögerlichen Haltung, die anderen kritisieren ihn wegen Kriegstreiberei. Aus der eigenen Regierung hagelt es Kritik und jetzt will sogar Friedrich Merz nach Kiew reisen. Dann kommt seine eigene Partei, die ihm im Nacken sitzt, und in der er alles andere als die Macht hat. Seine Fraktionschef träumt im Pazifismus der 70er Jahre, die anderen wollen die Russland-Vergangenheit der Partei aufrollen – und damit Scholz alten Buddys an den Kragen. 
Und selbst die ZDF-Moderatoren werden auf einmal kritisch.

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Scholz will etwa nicht sagen, ob er sich beim G20-Gipfel auch mit Putin an einen Tisch setzen würde, wenn Gastgeberland Indonesien ihn einlädt. Scholz will das zu gegebener Zeit entscheiden und sich mit den Partnern abstimmen, blabla. Als ZDF-Chefredakteur Frey nachbohrt, meint Scholz überraschend schlagfertig: „Die Antwort werden Sie schon ertragen müssen“. 
Ein Schmunzeln des Sieges zieht schon ein, doch die einfache Retourkutsche: „Ich habe sie nur noch nicht gehört“ reicht schon aus, da beginnt der Kanzler wieder zu stottern.

Zugesehen haben dem Kanzler an diesem Abend lediglich 2,72 Millionen – bei der direkt davor gelaufenen heute-Sendung waren es noch 3,28 Millionen. Wenn der Bundeskanzler spricht, schaltet man weg – offensichtlich wissen die Leute schon, dass der Kanzler nichts sagen wird. Sie haben offenbar nicht den Eindruck, dass er der große Leader ist, dem man zuhören müsste.

Olaf Scholz Kanzlerschaft beginnt genauso, wie Merkels 16 Jahre lang verlief: Bestimmt wird sie vor allem von 180 Grad-Wenden: Von der Impfpflicht bis zur „Zeitenwende“.
Aber während Merkel quasi über Nacht die Seiten wechselte und es verstand sich immer von hinten an die Spitze einer Bewegung zu setzen, so verpasst Olaf Scholz bis dato kontinuierlich sein Momentum. Er stemmt sich solange, wie es nur irgendwie geht, gegen jedes härtere Vorgehen gegen Russland – nur um es verspätet doch zu beschließen. So wird er für alle Seiten unglaubwürdig. Und statt zu führen, verzögert er lediglich.
Panzer an die Ukraine zu liefern, nur eben vier Wochen zu spät: das ist aber die denkbar schlechteste Kombination. Für den Befreiungsschlag bräuchte er so etwas ihm Fremdes wie Schwung.

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