„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.“ Manche brauchen sich aber gar nicht erst auf die Socken zu machen, denn sie wissen vorher schon ganz genau, was sie erwartet. Einer dieser alerten Zeitgenossen ist ZDF-Mitternachtsschwätzer Markus Lanz. Er hatte sich auf den Weg in die Vereinigten Staaten von Amerika gemacht, um Belege für den schlimmen Zustand der USA zu finden, für den es bei ARD und ZDF immer nur einen Grund gibt: Donald Trump.
Regelmäßige Konsumenten des staatlichen russischen Auslandsfernsehens Russia Today hätten gestern das ZDF gar nicht einschalten müssen, denn sie erfuhren da nichts, was sie nicht schon auf Putins Sender gesehen hätten. Möglicherweise gehört auch Lanz zu diesen. Nun aber konnte er sich selbst, im feinsten Dress-Man-Outfit, inmitten des Elends zur Schau stellen.
Das Land zwischen New York und Los Angeles kenne keinerlei Sozialsystem und sei mithin schlimmstes Beispiel des Manchester-Kapitalismus. Dabei hat Lanz doch sicherlich nicht Quartier in einem der Obdachlosen-Asyle gefunden, sondern vielmehr auf Kosten der deutschen Gebührenzahler in einem Hotel der Luxusklasse ohne den Duft der Armut logiert. Er müsste schon temporär blind gewesen sein, um die Vielzahl ganz normaler Mittelschicht-Amerikaner nicht gesehen zu haben. Aber es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Nur so ganz nebenbei und eher zufällig erfährt der Zuschauer, dass während der Hochphase der Corona-Pandemie der Ausbeuterstaat à la Trump, auch in der Metropole Atlanta, gleich mehrere Hotels komplett gemietet hat, um Obdachlose dort unterzubringen. Vergleichbares habe ich im sozialen Paradies Bundesrepublik noch nicht gehört.
Zu Trumps Zeiten kritisierten übrigens US-Unternehmen die hohen Sozialleistungen an bedürftige Familien, deren Mitglieder sich aufgrund der hohen staatlichen Zuwendungen dem Arbeitsmarkt entziehen würden. Auch die staatlichen und damit kostenlose Gesundheitssysteme, wie MediCare und MediCat für Rentner und Bedürftige befand Lanz keiner Erwähnung wert. Dafür kommentierte er die Mitteilung eines Bedürftigen, dass er nur eine Sozialhilfe von 800 US-Dollar monatlich bekomme mit den bewegt vorgetragenen Worten: „Das ist ja zu wenig zum Leben.“ Dass in der Bundesrepublik ein großer Teil der Rentner mit der gleichen Summe von 800 Euro auskommen muss, scheint Herrn Lanz entgangen zu sein.
Unwillkürlich musste sich hier der Zuschauer fragen, warum sich aus den USA nicht ein unendlicher Flüchtlingsstrom von Armen und Entrechteten über den Rest der Welt ergösse. Bekanntlich sind die Vereinigten Staaten das Land, das die meisten Flüchtlinge in der Welt aufnimmt. Im Übrigen hat noch kein US-Staatsbürger jemals in der Bundesrepublik Deutschland um politisches Asyl oder Aufnahme in das deutsche Sozialsystem gebeten. Wahrscheinlich handelt es sich bei den US-Bürgern um Masochisten und „Hungerkünstler“. So gesehen kann man beruhigt sein, denn ein solches Machwerk über die USA, wie im ZDF ausgestrahlt, widerlegt sich von selbst.
Nicht minder interessant und ebenso einseitig präsentierte sich die nachfolgende Talkrunde. Eingeladen waren der ehemalige SPD-Spitzenpolitiker und heute als Berater diverser Großkonzerne sowie als Präsident der Atlantikbrücke tätige Sigmar Gabriel, der ZDF-Journalist Johannes Hano und die USA-Expertin – was immer das auch heißen mag – Annika Brockschmidt. Natürlich waren weder ein Korrespondent amerikanischer Medien oder auch eine andere, möglicherweise korrigierende und ergänzende Aspekte beitragende Person eingeladen. Das US-Bashing konnte also munter weitergehen!
Lediglich der etwas vorsichtiger agierende Gabriel musste bei aller Kritik zugestehen, dass es sich bei den USA um die kulturell, wissenschaftlich und nicht zuletzt militärisch führende Macht mit weitem Vorsprung vor allen anderen Staaten handelt.
Das Wesentliche gab´s wie so oft zum Schluss: Die „Amerika-Expertin“ führt aus, dass die Mehrheit der Amerikaner ein anderes Staatsverständnis hätten als die meisten Europäer. Die amerikanische Rechte – überwiegend bestehend aus weißen, rassistischen und religiösen Gruppierungen – allen voran Donald Trump, würden den Staat nur für die Erfüllung der für das Gemeinwesen notwendigsten Aufgaben sehen. Über allem stünde für diese Amerikaner das Recht der individuellen Freiheit, sei in großen Teilen der US-Bevölkerung Konsens. Danach gilt die Überzeugung, dass je größer der Einfluss des Staates sei, umso mehr der Wert der Freiheit sinke.
In dieser Unterschiedlichkeit des Denkens und der Mentalitäten liegt der Grund für das Unverständnis besonders der europäischen Linken für die Vereinigten Staaten. Wer dieses nicht begreift, dem muss dieses Land für immer fremd bleiben. Dies umso mehr, wenn man den Staat als Instrument zur Umerziehung der Menschen nach vermeintlich höheren Werten als den geltenden begreift. In seinen ausgeprägtesten Formen führt dieses Denken zwangsläufig zu Erziehungsdiktaturen. Eine Minderheit, die sich für besser hält, möchte ihre Auffassung allen anderen aufzwingen. Ein solches Denken ist zutiefst unamerikanisch.
Den notwendigen Rahmen zum Schutz des Einzelnen bilden auch in den USA die Gesetze. Niemand aber würde die Veränderungen des menschlichen Wesens, seiner gewünschten Art der zwischengeschlechtlichen Beziehungen, seiner Ernährungs- und Mobilitätsvorlieben zur Staatsdoktrin erheben. Die Bundesrepublik Deutschland ist schon seit einiger Zeit auf dem besten Wege zu so einer Gesellschaft. Mittlerweile regt sich gegen diesen Anspruch Unwillen, der sich zurzeit in „Spaziergängen“ gegen die Corona-Politik der Regierung entlädt, deren Triebkräfte aber wesentlich tiefgründiger zu verorten sind.
Die all abendliche scheinbar lockere Beträufelung durch Lanz und Genossen trägt zur Spaltung der Gesellschaft bei. Der journalistische Ausflug in die USA à la Lanz war ein Musterbeispiel für Demagogie und Desinformation – als abschreckendes Moment den journalistischen Fakultäten wärmstens empfohlen.