Nachricht und Kommentar dürften nicht vermischt werden. So heißt eine der wichtigsten Regeln des angelsächsischen Journalismus. Das klingt oft trocken und theoretisch. Das ZDF macht mit seinen Accounts in den sozialen Netzwerken deutlich, warum diese Regel in der Praxis wichtig ist und Verstöße gegen sie schädlich sind. Ausgerechnet der durch staatlich erzwungene Gelder großzügig finanzierte Sender wird dadurch zu einem Negativbeispiel für Tendenz- und Kampagnenjournalismus.
Es geht um die Autorin JK Rowling. Die Britin wurde bekannt durch die sieben Bücher um den Zauberschüler Harry Potter. Heute schreibt sie die Drehbücher für die Filmreihe „Phantastische Tierwesen…“. Ein Ableger aus dem Potter-Universum und ein Blockbuster-Erfolg im Kino. Rowling selbst wurde Opfer häuslicher Gewalt – auch sexueller. Sie engagiert sich für die Rechte von Frauen – dieses Engagement hat sie zur Zielscheibe der „Transaktivisten“-Szene gemacht, aus der heraus die Autorin und Mutter bereits mehrfach Morddrohungen erhalten hat.
Nun hat die Kampagne gegen Rowling neuen Sauerstoff erhalten. Sie selbst hat dazu nichts beigetragen. Anlass ist das Erscheinen des Videospiels „Hogwarts Legacy“, das an die Potter-Bücher angelehnt ist. Es hat schon genügt, dass ein Blogger dieses Spiel öffentlich gespielt hat, um die Hassgesellschaft im Netz zu aktivieren. So viel Toleranz, das zu akzeptieren, besitzen die Kämpfer für Toleranz nicht: Rowling sei eine Transfeindin, von dem Spiel profitiere sie, es sei zu canceln im Namen von Toleranz und Freiheit.
Politischer Extremismus. Vorwürfe, die in Boykottaufrufe und Morddrohungen ausarten. Das ZDF sieht sich genötigt, an dieser Stelle einzugreifen. Doch nicht, um seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag gerecht zu werden: Fakten liefern, Hintergründe einordnen, Positionen gegenüber stellen und die Debatte dadurch versachlichen. Das ZDF wird über seine Online-Accounts selbst zum Aktivisten. Von diesen betreiben die öffentlich-rechtlichen Sender mittlerweile über 400 – mindestens. Der Wildwuchs ist kaum noch zu überschauen.
Auf Instagram stellt „ZDFheute“ die Behauptung auf: „Immer wieder fällt Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling mit einer trans*feindlichen Haltung auf.“ Um diesen Vorwurf zu untermauern zitieren die Journalisten vier Vorfälle. Unter anderem habe sie sich auf Twitter über Menschen lustig gemacht, die menstruieren. Das geht auf den Lehrsatz der Transaktivisten zurück, dass es diskriminierend sei, auf der biologischen Tatsache zu bestehen, dass Menschen mit Penis und ohne Vagina keine Monatsblutung haben können. Ein weiterer Beleg von ZDF heute lautet: „Die Autorin kritisiert eine Gesetzesänderung in Schottland zugunsten von trans*Frauen.“
Welche Gesetzesänderung das genau ist, erwähnt ZDF heute nicht. Dabei läge genau darin der Schlüssel, die Debatte zu versachlichen: Schottland erlaubt es Gefangenen, ihr Geschlecht selbst zu bestimmen. In der Konsequenz bedeutet das auch, dass männliche Sexualstraftäter sich als Frauen „lesen“ können und in Frauengefängnissen untergebracht werden müssen. Wo sie Zugang zu dort staatlich Festgehaltenen Frauen erhalten.
Gegen diese Gesetzesänderung hat Rowling in der Tat protestiert. Sie kennt den Hintergrund in England, wo ein vergleichbares Gesetz schon länger gilt. Und wo es bereits Fälle gegeben hat, in denen Gefangene mit Penis, die sich aber als Frauen „lesen“, Frauen vergewaltigt haben, die eine Vagina haben. Rowling hat protestiert, um sich für den Schutz dieser Frauen einzusetzen. Diesen Hintergrund lässt ZDF heute weg. Würden die öffentlich-rechtlichen Journalisten ihn erwähnen, müssten sie in ihrer Beweisführung schreiben: JK Rowling setzt sich für den Schutz von Frauen vor Vergewaltigungen ein. Das wäre sachlicher und informativer – aber weniger belastend. ZDF heute entscheidet sich für die Belastung und gegen Sachlichkeit oder Information.
Es ist zulässig, hinter dem Auftritt von ZDF heute keine journalistische Nachlässigkeit zu vermuten. Sondern System. Denn es ist nicht das erste Mal, dass sich das Zweite einseitig auf die Seite der Aktivisten schlägt. Jan Böhmermann hat in seiner Sendung ZDF Magazin Royale eine Biologin vorgeführt, die im Sinne der Biologie und nicht im Sinne der Soziologie auf Geschlechter sieht. Dabei hat er für Frauenrechtlerinnen das Wort „Sche…aufen“ benutzt. Satirisch gebrochen. Wie immer. Die Sicht der Frauenrechtlerin zu Wort kommen ließ Böhmermann nicht.
TE wollte seinerzeit von Intendant Norbert Himmler wissen, welche journalistischen Maßstäbe im ZDF gelten? Ob die öffentlich vom ZDF angegriffene Frau in einem anderen Format eine Chance erhält, sich zu verteidigen? Und ob es das Niveau des ZDF sei, mit Fäkalbegriffen wie „Sche…aufen“ um sich zu werfen? Himmler weigerte sich über eine Pressesprecherin, diese Fragen zu beantworten. Böhmermann öffentlich kritisiert hat der Intendant auch nicht. Damit akzeptiert Himmler in seinem Haus einen Aktivismus, der auf faire Augewogenheit verzichtet und stattdessene mit Beleidigungen bis hinein in die Fäkalsprache arbeitet. Hinter einen solchen Führung geht ZDF heute mit seinen einseitigen Angriffen gegen Rowling dann auch nur einen weiteren Schritt auf dem gleichen Weg.