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ZDF: „Bedrohte liberale Muslime“ – Welcher Islam gehört eigentlich zu Deutschland?

Wie Seyran Ateş folgen auch Ahmad Mansour Personenschützer, also persönliche Leibwächter, auf Schrittlänge, meist ein Dreieck bildend.

Screenprint: ZDF/Bedrohte liberale Muslime

In den letzten Jahren war es nicht immer so, dass man mit dem Zweiten (des Öffentlich Rechtlichen) besser oder klarer gesehen hat. Zu sehr ist das veröffentlichte Bild von dem eigenen erlebten Bild des täglichen Lebens abgewichen. Ein Blick in den beruflichen Alltag reichte aus, um deutlich zu erkennen, klar zu sehen, was alles schief läuft und auf sehr bedrückende, ja, gefährliche Abwege zu geraten drohte.

Im Rahmen der Zuwanderung wurde ich auch immer wieder mit Muslimen konfrontiert, denen völlig Angst und Bange zumute war, ganz konkret vor ihren eigenen Glaubensbrüdern und auch -schwestern.

Das ZDF hat einen interessanten Kurzbeitrag des heute journals archiviert, „Bedrohte liberale Muslime“ von Kamran Safiarian, in dem der Fokus auf dem Alltag von Seyran Ateş, der deutschen Rechtsanwältin mit türkisch-kurdischen Wurzeln, die nebenbei auch noch Imamin und Mitbegründerin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin ist. Seyran Ateş und die Kulturübergreifende Moschee steht für einen liberalen Islam, der ganz klar die weltliche und religiöse Macht voneinander trennt und sich auch um eine zeitgemäße und geschlechtergerechte Auslegung des Koran und der Hadithen bemüht.

Ein nicht unwichtiger Hinweis aus Ateş Leben, die noch während ihres Jurastudiums selbst Muslimas rechtlich beraten und über Frauenrechte informiert hat, wurde selbst Opfer eines Attentats und dabei lebensgefährlich verletzt – ihre Klientin dabei von deren Ehemann kaltblütig erschossen.

Im Filmbeitrag erfährt der Zuschauer, und die Kamera ist Zeuge, dass Seyran Ateş Tag und Nacht beschützt werden muss. Seit der Gründung der liberalen Moscheegemeinde sind bis zum heutigen Tag eine Vielzahl von Morddrohungen eingegangen.

Identisch ist die traurige Situation auch bei Ateş Mitstreiter und Islam-Kritiker, dem Psychologen, Ahmad Mansour. Der 42-jährige deutsch-israelische „Aufklärer“ weiß aus eigener Erfahrung wie es ist, in die Fänge islamischer Fundamentalisten zu geraten. Als Sohn arabischer Israelis wuchs Mansour in einer arabischen Stadt auf, und studierte später Psychologie in Tel Aviv, was ihn dann doch nicht zum Islamisten werden ließ, denn, seine Eltern selbst waren keine praktizierende Muslime.

Mansour ist ein gefragter Experte in Institutionen wie dem Zentrum für demokratische Kultur in Berlin, in dem er auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter fungiert. Der Schwerpunkt liegt auf psychosozialen Fragen, dem Salafismus und Antisemitismus. In Brüssel ist er zudem Programm-Direktor an der Europäischen Stiftung für Demokratie.

Wie Seyran Ateş folgen auch Ahmad Mansour Personenschützer, also persönliche Leibwächter, auf Schrittlänge, meist ein Dreieck bildend. Das ZDF verpixelte natürlich die Gesichter der Polizeibeamten, in Gefahr schweben quasi alle. Und der Aufenthaltsort sowie Bewegungsradius der beiden Islamkritiker sollte möglichst nicht auffallen. Die Personenschützer wirken auch eher beiläufig.

Der Beitrag zeigt die abstrusesten Morddrohungen in Textform – zugemailed oder öffentlich gepostet. Klar, anonym. Die islamistische Szene dürfe man nie unterschätzen.

Wer erinnert sich eigentlich noch, als man vor rund 30 Jahren zum ersten Mal mit dem Begriff „Fatwa“, einem islamischen Gerichtsurteil, im Falle des Schriftstellers Salman Rushdi medial konfrontiert wurde? Damals sprach der iranische Staatschef Chomeini das Todesurteil aus. Rushdi wurde wegen des Romans „Die satanischen Verse“ zu Freiwild erklärt. Jahrelang wechselte Rushdi täglich seine Bleibe.

Dass eine Fatwa aber auch auf deutsche Bürger ausgesprochen werden kann, wie im Falle von Seyran Ateş oder Mansour (wobei es bei Hamed Abdel-Samad ähnlich ist), schockiert dann doch immer wieder aufs neue. Allesamt erhalten sie Morddrohungen, werden als Verräter des Islams diffamiert. (Übrigens, auch unter den Flüchtlingen werden liberale und westliche Muslime von Fundamentalisten oft böse, aggressiv angegangen, eingeschüchtert und unter Druck gesetzt.)

Und wer bedroht Seyran Ateş und die anderen konkret? „Die Türkei, die Muslim-Bruderschaft, ja, der Iran…“, quasi „ganze“ Länder und Institutionen, „Verbände“, auch an Taxifahren in Berlin sei nicht mehr zu denken, denn viele türkische Taxifahrer erkennen und „hassen mich“, so die Verfechterin eines modernen Islams. Deshalb der Polizeischutz auch in der eigenen Moschee, wo Frauen ohne Kopftuch und auch Homosexuelle in echter Gleichberechtigung beten können.

Bedrückend auch die Hassmails mit den Morddrohungen und wüsten Beleidigungen aus dem islamischen Spektrum.

Ahmad Mansour spricht offen von den Momenten der Angst, die manchmal in ihm aufsteigen. Trotz der Bodyguards fühle er sich ausgeliefert und allein. Beide wollen das aber nicht an sich heranlassen.

Ob Frau Merkel oder der Außenminister oder der Bundesprädident den Beitrag im heute-journal gesehen haben? Auch sie kennen ja Personenschützer und gepanzerte Limousinen in ihrem Umfeld. Für sie vielleicht als Zeichen ihrer Prominenz und großer Bedeutung als Regierende, für Ateş und Mansour sind sie eher ein Stigma.


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.

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