Der NDR macht den Aufschlag. Das ZAPP-Magazin ist eine der ersten öffentlich-rechtlichen Sendungen, die sich mit der Liste der von Bundesministerien bezahlten Journalisten beschäftigen. Bis dato hatten die ARD-Familie und das ZDF die Affäre kaum behandelt. Vielleicht galt die Devise: Wer sich rechtfertigt, der klagt sich an. Eine Linie des Schweigens dominierte. Doch die Strategie ist nicht aufgegangen. Die neueste Aufdeckung, dass die Zahlungen höher ausfielen als gedacht, hat neuen Schwung gebracht. Die AfD hat mittlerweile zwei neue Anfragen gestellt. Aussitzen geht nicht mehr.
Nun also die Gegenoffensive. Sie erfolgte schon vor einer Woche. Man entnimmt dem Beitrag, dass man offenbar nicht länger dulden möchte, dass nur ein Narrativ verbreitet wird – das der Gegenseite, ob Medien oder Politik. Dass ZAPP Schönfärberei („Whitewashing“) betreiben würde, hatten Kritiker vorher erwartet. NDR-Moderator Daniel Bröckerhoff bietet aber mehr. Teilweise überrascht er sogar, entsinnt man sich bisheriger Apologien der öffentlich-rechtlichen Sender, wenn mal wieder etwas „unglücklich“ verläuft.
Die Sympathien verspielt Bröckerhoff dabei am Anfang des Videos. Er bedient sich eines Strohmanns, der den Vorwurf ad absurdum führen soll: Wer einmal Geld von der Bundesregierung angenommen hat, kann nicht mehr unabhängig über sie berichten. Mit der Überspitzung wird a priori der Wind aus den Segeln genommen, weil er auf die Absurdität verweist. Doch dieser Vorwurf ist, obwohl er auch auftaucht, nicht das Kernelement der Debatte. Es geht um Dimensionen, Daueraufträge – und vor allem die Einflussnahme des Staates auf die Pressefreiheit. Möglich, dass viele Zuschauer an der Stelle abgeschaltet – oder kommentiert haben.
Der ZAPP-Beitrag gewinnt dort an Stärke, wo er nicht versucht, die Kollegen reinzuwaschen und gegen eine außenstehende Fraktion – namentlich tauchen die AfD, die Bild-Zeitung und die Junge Freiheit als negative Stichwortgeber auf – verteidigt, sondern sich auf genau diese Kernelemente konzentriert. Überraschend klar kommuniziert Bröckerhoff beispielsweise die Aufträge von Linda Zervakis, weil sie als ARD-Gesicht und mit ihrer Nähe zur Politik anders zu bewerten und ihr Handeln schärfer zu verurteilen ist.
Auch bei einem anderen Thema hebt der NDR-Moderator sich positiv ab. Er benennt die Lücken in der Liste, die Problematik der Honorare bzw. deren Intransparenz. Wie TE schon sehr früh berichtete und wie die AfD in ihrer letzten Anfrage bemerkt hat, führt auch Bröckerhoff an, dass viele Namen gar nicht auf der Liste auftauchen – und nennt sich selbst als Beispiel. Im Jahr 2021 hatte er eine Veranstaltung des Bundesumweltministeriums moderiert. Vergütung: 5.800 Euro brutto.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk war sich also in der Causa „Tag der Offenen Tür“ der Bundesregierung seiner Pflichten bewusst – zumindest auf den ersten Blick. Denn die erwähnte Kailouli moderierte genau diese Veranstaltung im Jahr 2022. Zu Recht fragt Bröckerhoff, was da los ist. Auf Nachfrage beim RBB, für den die Moderatorin arbeitet, verweist dieser lediglich darauf, dass man sich abgestimmt hätte. Auch das ist spannend: Öffentlich-rechtliche Journalisten werden von öffentlich-rechtlichen Anstalten abgeblockt. Es ist der alte Konflikt zwischen Individuum und System.
Auch in einem anderen Fall erklärt Bröckerhoff klar, dass es sich um ein „absolutes no-go“ handelte. Gemeint ist ein Auftrag an die Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers. Sie moderierte den Deutschen Umweltpreis 2017 der Deutschen Bundesstiftung Umwelt – und berichtete am Abend in der Tagesschau über genau die Veranstaltung, die sie moderiert hatte. Begründung des NDR, der die Tagesschau-Sendung produziert hatte: Der entstandene Eindruck sei „unglücklich“, der Vorfall „ärgere“ die Redaktion. Das war’s. Nicht einmal eine Entschuldigung.
Bröckerhoff hätte es sich einfach machen können und einen wohlgesonnenen Professor nehmen können, der die Problematik entschärft und verständnisvoll die Wogen glättet. Mit dem Hamburger Journalismus-Professor Volker Lilienthal interviewt er einen expliziten Kritiker der Journalistenbezahlung. Die Frage, ob ein bezahlter Journalist nicht dennoch unabhängig berichten könnte, bügelt Lilienthal ab: Entscheidend sei der Eindruck beim Publikum.
„Wir leben in einer Zeit, wo gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk stark in Zweifel gezogen wird; wo es relativ große politische Milieus gibt, die ernsthaft glauben, Fernsehjournalist:innen von ARD und ZDF bekämen täglich Tagesbefehle aus Ministerien oder gerade vom Bundeskanzler. Das sind natürlich absurde Vorstellungen, aber ich finde eine verantwortliche Berufsausübung bedeutet auch, diese Umfeldkontextfaktoren zu kennen und das eigene Verhalten danach auszurichten; also absolut tadellos zu sein und diesen Leuten, die glauben, ihr seid staatshörig, gar kein Futter zu liefern.“
Damit bestätigt Lilienthal eine These, die auch TE vertritt: Es kommt bei der ganzen Affäre nicht so sehr auf die Zahl der Journalisten oder die Höhe der gezahlten Gehälter an. Sondern es geht um eine Grundsatzfrage, nämlich, ob insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Rolle als Vierte Gewalt glaubhaft vertreten kann. Wie so häufig exerziert: Eine Presse ohne Regierungskritik beraubt sich ihrer Existenzgrundlage. Diese Funktion kann sie nur glaubhaft ausüben, wenn sie sich distanziert zur Macht verhält.
Obwohl Bröckerhoff selbst von einem systemischen Problem spricht, und damit richtig liegt, rücken im Beitrag die Journalisten ins Zentrum, obwohl doch jemand ganz anderes im Zentrum stehen müsste: nämlich der Staat, der über die Exekutive Einfluss auf die Presse nimmt und sie erst über die Gelder an sich bindet. Nach Bröckerhoffs eigener Darstellung war es eine im Namen der Bundesregierung agierende Event-Agentur, die ihn für den „Tag der Offenen Tür“ anwerben wollte.
Der Staat ist damit der Akteur, der Journalisten in Gewissensnöte bringt. Ob man dieser Versuchung erliegt, mag eine persönliche Sache sein; dass aber der Staat damit die Freie Presse als solche korrumpiert, wäre das eigentliche Kernthema in der Affäre. Ein Drogendealer trägt größere Verantwortung für die gesellschaftliche Verwahrlosung als der einzelne Drogenkonsument. Das spricht den Drogenkonsumenten übrigens nicht frei. Aber für eine Wurzelbehandlung muss man auch zur Wurzel gehen.
Zugleich gibt es einen weiteren Punkt, der zwischen den Zeilen aufblitzt. Bröckerhoff klagt im Fazit die Verantwortlichen an, die die Verantwortung hin- und herschieben, oder möglicherweise gar kein Problem darin sehen. Zugleich scheint es aber zumindest einige Stimmen innerhalb des ÖRR zu geben, die bei allen souverän vorgezeigten Framing-Handbüchern für das eigene Image sehr genau wissen, dass Teile der Öffentlichkeit dem Rundfunkkonzept mittlerweile sehr kritisch gegenüberstehen. Und dass die freien Journalisten auf der „unteren“ Stufe der Senderfamilie in prekären Verhältnissen leben, indes die Vorstände mit ihren vollgestopften Taschen nicht nur beim Fernsehpublikum zu Reizfiguren geworden sind.
Das sind unangenehme, schmerzhafte Gedanken, denen ebenso unangenehme und schmerzhafte Prozesse folgen müssen. Zweifelhaft, ob der unbewegliche Moloch des ÖRR fähig ist, sich selbst zu heilen, ohne jedes Problem mit Geld ersticken zu wollen, so, wie es jahrzehntelang gang und gäbe in der Bundesrepublik war, jedes erdenkliche Problem mit mehr Geld lösen zu können. Diese größere Dimension kommt im ZAPP-Beitrag nicht vor. Man doktert an den Symptomen herum, etwa dass Journalisten vielleicht ihre Haltung beim Thema Aufträge von Bundesministerien ändern. Damit steht die Diskussion jedoch auf dem Kopf: Es geht nicht um Einzelfälle, bei denen man sich bessern muss, sondern um eine Institution, die ein solches Verhalten zulässt.
Eine der wichtigsten Informationen im Komplex dieser Krise, die weit über Gebührenfragen hinausgeht, erfolgt zwischendurch: Die Journalisten, die Geld erhalten haben und die Bröckerhoff angefragt hat – haben schlicht nicht auf seine Anfragen geantwortet. Ob aus Hochmut, mangelndem Schuldbewusstsein, Scham oder Angst vor Reaktionen. Es ist einer der Momente, in denen der Gedanke reift, dass eine solche Sendung – ob nun von „Whitewashing“ oder ehrlicher Aufklärung beseelt – nur an der Oberfläche kratzen kann.