Tichys Einblick
Reizwetter in Bullerbü

Woke gegen Woke: Wenn Abweichler härter verfolgt werden als Ungläubige

Woke sind unerbittlich gegenüber Andersdenkenden. Vor allem, wenn sie aus den eigenen Reihen kommen. Das mussten unlängst einige linke und grüne Protagonisten erfahren.

© Zenza Flarini/shutterstock

Eigentlich lief es für Katja Diehl gut: Sie mochte keine Autos und möpperte daher im Netz gegen Autofahrer. Was Grüne und Öffentlich-Rechtliche so gut fanden, dass sie Diehl in den Verkehrsexpertinnen-Stand aufnahmen. Als solche saß sie Anfang Februar bei Anne Will und versprach, sie wolle ja niemandem das Auto wegnehmen, nur insgesamt müsse der Verkehr abnehmen wegen des Klimas, für das sie auch Expertin ist. Das klang kritisch, aber moderat – zu moderat für manche. Sie hatten Diehl anders in Erinnerung.

Etwa als Twitter-Nutzerin. Denn das soziale Netzwerk gehört zu den Schlachtfeldern, auf denen Diehl sich den Expertinnen-Stand verdient hat. Dort ist sie weniger mit der Kreidestimme und mehr mit der groben Kelle unterwegs. Jeden, der sie kritisierte, hat sie gesperrt. Aber auch die, die den falschen Accounts folgten oder auch nur an der falschen Stelle ein Like hinterlassen haben. Etwa bei Springer-Publikationen oder TE. Doch das Internet hat ein gutes Gedächtnis und so kramten Diehls Kritiker Äußerungen aus, die nicht nach Kreide klangen. In denen sie unter anderem frohlockte, den Menschen den Traum von Auto und Eigenheim zu nehmen.

Bis hierhin lief es eigentlich gar nicht schlecht für Diehl. Sie hätte nur auf die Taktik setzen müssen, die schon manche Woke durch solche Situationen brachte: Laut klagen, sie werde von Räächts angegriffen und die handelsübliche „Solidarität“ abwarten – der nächste Beraterauftrag einer grünen Regierung und der nächste Auftritt in einer öffentlich-rechtlichen Talkshow wären ihr sicher gewesen. Doch ihre Eitelkeit spielte ihr einen Streich. Sie wollte sich gegen die Kritik wehren. Im Gespräch mit Angreifern. Inhaltlich fundiert. Aber inhaltliche Debatten tun Woken im woken Umfeld nicht gut. Eine Lektion, die Diehl nun auf die woke, also auf die harte und schmutzige Tour lernen musste.

Was sie genau in dem Gespräch gesagt hat, spielt letztlich keine Rolle. Entscheidend war, mit wem Diehl gesprochen hat: mit der BILD. Dem Gottseibeiuns der Woken. Doch es kam noch schlimmer – Diehl teilte einen Beitrag von TE. „Der Artikel handelt aber von mir.“ Hätte die Verkehrsexpertin im Feuerkreis getanzt und Kleinkinder gefressen, hätten die Woken ihr das wohl eher vergeben. Vielleicht sogar „Toleranz“ für eine neue, diverse Religion eingefordert. Doch mit BILD reden und TE teilen? Das rief die woke Inquisition auf den Plan.

Woke Speerspitzen wie Jasmina Kuhnke sprachen nun auf Twitter das Urteil über Diehl: „An Unglaubwürdigkeit kaum zu überbieten!“ Oder Monika Herrmann: „Katja ist ganz gewiss keine Genossin … Sie ist schon recht häufig auf dem Ich-Pfad unterwegs.“ Oder Jutta Ditfurth: „Wieder ,überrumpelt`? Also die ehrlichste ist sie nicht.“ Oder @GNogarole: „Sie hat mir (SIC) Springer gesprochen!“ Wobei nur ein Ausrufezeichen zu verwenden, angesichts des Kapitalverbrechens, mit Springer zu sprechen, nicht gerade von ausreichender Empörung zeugt.

Nun deaktivierte Diehl ihren Twitter-Account. Der Nutzer @RealTadzioM erklärte diesen Schritt für seine „Freundin & Genossin“: Sie habe das nicht wegen „der vielen Morddrohungen, sondern wegen der Angriffe aus der linken Bubble“ getan, „wegen des Mangels an Solidarität. Wer Solidarität an lauter Bedingungen knüpft, ist nicht solidarisch!“ Andere argumentierten, Diehl habe nicht ihren Account deaktiviert, sondern lediglich das Blockieren anderer perfektioniert.

Was auffällt: Während man sich an woke Hetzjagden auf echte oder vermeintliche Rechte wie Hans-Georg Maaßen, JK Rowling, Ulrike Guérot oder Alice Schwarzer mittlerweile gewöhnt hat, ist auch das Klima in Bullerbü immer gereizter – gehen vermehrt Woke auf Woke los: Alf Frommer beklagt auf Twitter, von Dunja Hayali blockiert worden zu sein. Tagesschau-Frau Juliane Leopold wurde von Jan Böhmermann blockiert.

Und apropos: Dessen Hofstaat fährt eine Kampagne gegen den Grünen Krsto Lazarević. Wobei Lazarević sich allerdings auch des schwerst denkbaren Verbrechens schuldig gemacht hat: Er hat den Schützling von ZDF-Intendant Norbert Himmler und ungekrönten König der Fäkaliensprache kritisiert. Jan „Sche…aufen“ Böhmermann. Dabei hatte Lazarević diesen doch vorher immer mal wieder gelobt.

Das Team von „ZDF Magazin Royale“ setzte sich nun an die Tasten und feuerte in Richtung des Kritikbrechers. Die ewig lange Suada ließe sich jetzt hier wiedergeben. Aber um es kurz zu machen: Mit seiner Kritik toleriere Lazarević einen Kriegsverbrecher und Völkermörder. Oder um es noch kürzer zu machen: Alles Nazis außer Jan – und Norbert Himmler schweigt dazu. Im ZDF nichts Neues.

Wo kommt der Ärger in Bullerbü her? Dafür gibt es mehrere Gründe. Banale wie: In der Hauptstadt zieht sich der Winter besonders lange und hässlich, was manche noch mürrischer macht als ohnehin schon. Außerdem geht es in der Blase der selbstlosen Weltverbesser um viel Geld. Was die eine an Honoraren und Aufmerksamkeit verdient, fehlt der anderen. Da wächst die Neigung, andere auf deren Fehler aufmerksam zu machen. Vor allem, wenn es schwerwiegende sind wie: Die hat mit Springer geredet!!!

Doch das Reizwetter in Bullerbü steigt aus tieferen Gründen auf. Unter Angela Merkel hat eine Revolution in der deutschen Kommunikation stattgefunden. Das Moralisieren hat das Argumentieren gestürzt. Seitdem sind Entscheidungen „alternativlos“ und deren Kritiker werden abgekanzelt mit Begriffen wie: Euroskeptiker, Rechtsextremisten, Klimaleugner, Covidioten, Impfkritiker, Putinbüttel oder jüngst Lumpenpazifisten. Wobei es lange gedauert hat, um einen Begriff zu finden, der den Wunsch nach Frieden diskreditiert. Wobei „diskreditieren“ zu schwach ist. Wer sich den alternativlosen Entscheidungen entgegengestellt, wird existenziell vernichtet wie Hans-Georg Maaßen – und wenn das nicht möglich ist wie etwa im Fall JK Rowling, dann hagelt es Morddrohungen gegen die Familie.

Dass nun Woke selbst unter den Opfern dieses existenzvernichtenden Cancelns sind, ist die logische Konsequenz jeder Revolution. Auch der Moralisierungs-Revolution: Sie frisst irgendwann ihre eigenen Kinder. Wie in Religionen auch gelten die Abweichler in den eigenen Reihen noch weniger als die Ungläubigen – und werden entsprechend härter verfolgt. Erst bist du der Revolutionär Danton und befürwortest die Hinrichtung der Gegner der Revolution – dann bist du irgendwann selber der Gegner der Revolution Danton. Ist nach einer Hetzjagd der Fuchs gefangen, bedeutet das nicht das Ende von Hetzjagden. Schließlich geht es nicht um den Fuchs, sondern um die Jagd. Es braucht dann halt einen neuen Fuchs.

Wobei die Hetzjagd nur bedingt als Beispiel taugt. Die Jagden eskalieren nicht. Es findet eine nach der anderen statt. Doch im woken Bullerbü geht es um Aufmerksamkeit. Vor allem, wenn man davon noch nicht ausreichend abbekommen hat, um Aufmerksamkeit in Honorare ummünzen zu können. Da ist eine Attacke gegen Hans-Georg-Maaßen, Friedrich Merz oder Springer ganz nett – aber eigentlich interessiert das keinen mehr. Das haben alle schon zu oft gesehen.

Genau das hat die Kritik gegen Katja Diehl so bemerkenswert gemacht. Sie sorgt noch für Aufmerksamkeit. Lagerübergreifend. Zum Beweis dieser These veröffentlicht TE hiermit einen Beitrag über die Jäger und ihren Fuchs. Vielleicht wird ihn Diehl wieder teilen, weil es ja um sie geht. Oder die Jäger werden ihn als Beleg ihrer These nehmen, dass Diehl ja einen von denen ist. Was wiederum eine neue Trophäe für zuhause wäre. Allerdings gehört es zum Gesetz dieser Moral-Revolution, dass sie eskalieren muss. Deswegen ein Pro-Tipp für die Jäger: Ein Ausrufezeichen hinter „Sie hat mit Springer geredet“ reicht nicht. Drei müssen es mindestens sein. Sonst läuft man Gefahr, bei der nächsten Jagd nicht auf dem Pferd zu sitzen, sondern durchs Unterholz zu flüchten.

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