„So fängt es an: das Fieber, der Zorn – das Gefühl der Machtlosigkeit, durch das gute Menschen grausam werden.“
(Alfred Pennyworth, „Batman v Superman: Dawn of Justice“)
Selbstgerechtigkeit ist nervtötend. In letzter Zeit ertappe ich mich dabei, wie ich in Redaktionskonferenzen aggressiv werde. Das ist nach mehr als 25 Berufsjahren und dem dazugehörigen Vierteljahrhundert an Sitzungserfahrung unüblich und natürlich auch unklug. Aber bestimmte Diskussionen mit Kollegen bringen mich zuletzt doch wieder aus der Fassung.
Bei den Debatten, die meine Selbstbeherrschung mittlerweile arg strapazieren, geht es eigentlich immer um dieselbe Sache: den „Umgang mit Rechts“ von Journalisten. Dabei erlebe ich, dass meine Zunft – mindestens teilweise, in meiner Wahrnehmung tatsächlich überwiegend – Grundsätze über Bord wirft, die unseren Beruf ausmachen.
Wir messen mit zweierlei Maß: eines für „rechte“ Themen (vor allem Migration) und „die Rechten“ (vor allem AfD), eines für die anderen Gegenstände der Berichterstattung. Wir suspendieren, wenn es um den „Umgang mit Rechts“ geht, elementare und bewährte Regeln des Journalismus: Selbstdistanzierung, Trennung von Fakten und Kommentierung, Unvoreingenommenheit, Un- und Überparteilichkeit, Neutralität. Wir verzichten sogar auf gutes Handwerk: Gewissenhaftigkeit, Quellenskepsis und -prüfung sowie Ausgewogenheit scheinen nicht mehr so wichtig zu sein, wenn es nur „gegen Rechts“ geht. Mit Beispielen könnte man das Internet ordentlich aufblähen, die AfD freut sich über so viel kostenlos frei Haus gelieferte Munition.
Beispielhaft dafür, wie Journalisten in Bezug auf alles auf der rechten Seite ticken, sei hier aus einem Facebook-Thread mit DJV-Kollegen zitiert:
„Jeder 10. Wähler ist ein AfD-Nazi.“
„Und hört mir bloß auf, von Enttäuschten zu sprechen, wer eine solch radikale Partei wählt, der macht das nicht aus Enttäuschung, sondern weil er die bewusst wählt. Von daher, 11 Prozent Rechtsradikale in Bayern.“
30.000 Wähler hat die SPD bei der Bayernwahl an die AfD verloren, die Grünen immerhin noch 10.000. Die jetzt alle rückwirkend zu Nazis zu erklären, ist schlechterdings absurd. Aber wenn es um die rechte Gefahr geht, brennen bei vielen Journalisten die Sicherungen durch.
Inzwischen finde ich mich öfter in der kollegial durchaus schwierigen Situation, in Redaktionskonferenzen faktisch die AfD zu verteidigen. Inhaltlich gefällt mir das gar nicht. Noch weniger gefällt mir allerdings die journalistisch nicht zu rechtfertigende Einseitigkeit, mit der wir Journalisten die AfD (und andere Phänomene wie Pegida) betrachten.
Am wenigsten gefällt mir, dass dem deutschen Journalismus scheinbar völlig die Fähigkeit zur Selbstkritik abhanden gekommen ist.
Zuschauerzahlen, Hörerzahlen und Auflagen gehen zurück. (Das kann man detailliert darlegen, worauf hier aus Platzgründen verzichtet wird.) Bürger gehen zu Zehntausenden auf die Straße, um ihren Unmut über die „Lügenpresse“ oder die „Systemmedien“ herauszubrüllen. Auf manche Kundgebungen schicken seriöse Medien ihre Berichterstatter nur noch mit Personenschutz. Der Graben ist tief geworden.
Journalisten sind ja auch nur ganz normale Leute. Dass sie durch so etwas in ihrem Selbstverständnis erschüttert werden und verunsichert sind, ist nur allzu verständlich. Leider verweigern wir uns aber der zugegebenermaßen unbequemen Frage, wie viel von dem Graben zum Publikum wir selbst ausgehoben haben. Für den Rückgang der Quoten und der Auflagen machen wir – voran unsere wichtigste Gewerkschaft, der DJV – stets nur die Verleger und Intendanten verantwortlich (oder „das Internet“, das sich als Generalschuldiger auch in anderen Zusammenhängen bewährt hat).
Dass uns die Leute möglicherweise auch deshalb davon laufen, weil sie unsere Arbeit nicht mehr ertragen, ziehen wir nicht in Betracht.
Wir beklagen oft die wachsende Kluft zwischen den Politikern und dem Volk. Was wir dabei vornehm verschweigen: Mindestens dieselbe Kluft gibt es heute zwischen den klassischen Nachrichtenmedien und ihrem Publikum. Genau so, wie sich zu viele Politiker von ihren Wählern entfernt haben, haben sich zu viele Journalisten von ihren Lesern, Hörern und Zuschauern entfernt.
Wir haben uns in unserer Filterblase häuslich eingerichtet. Wir leben im Altbau im edlen Hamburg-Harvestehude oder im hippen, durch uns selbst gentrifizierten Berliner Prenzlauer Berg. Auf die Hartz-IV-Empfänger im Wohnsilo in Altona oder im Plattenbau in Hohenschönhausen schauen wir, wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, mit kaum verhohlener Verachtung herab. Wir schreiben über sie, aber wir haben schon lange nicht mehr mit ihnen geredet. Überhaupt reden wir nur noch ungerne mit Zeitgenossen, die signifikant andere Ansichten haben als die politisch korrekte Mehrheitsmeinung in der Redaktionskantine.
Damit werden wir den Privilegien, die wir genießen, nicht gerecht. Wir sind vom Grundgesetz besonders geschützt. Wir haben Zugang zu Personen, Dingen und Informationen, in deren Nähe ein Normalbürger im Leben nicht kommt. Vor allem können wir uns Gehör verschaffen: Wir haben Zugang zur Öffentlichkeit.
Mit diesen Vorrechten gehen wir nicht achtsam genug um.
Denn der privilegierte Zugang vor allem zur Öffentlichkeit erlegt uns auch Pflichten auf – zum Beispiel: denen Gehör zu verschaffen, die sonst niemand hören würde. Das tun wir zwar, aber unanständig selektiv. Wir fördern die Verbreitung von Ansichten, die unseren Filterblasen-Mehrheitsmeinungen nahe sind. Anderes – was nicht in unser ach so weltoffenes und tolerantes und liberales Weltbild passt – verbreiten wir nicht nur nicht systematisch, sondern systematisch nicht.
Zur Selbstrechtfertigung beruhigen wir uns mit dem Hinweis, man dürfe „den Rechten kein Forum bieten“ und man müsse „die gesellschaftliche Wirkung von Nachrichtenbeiträgen beachten“. Das ist eine geradezu obszöne Hybris. Sie basiert auf der Annahme, dass unser Publikum vor einem bestimmten Teil der Wirklichkeit abgeschirmt werden muss, weil es sonst zu falschen Schlüssen kommen könnte.
Aus dem schon einmal zitierten Facebook-Thread mit DJV-Kollegen stammt auch dieser Eintrag:
„Wir müssen den Menschen klar machen, dass sie sich ins gesellschaftliche Abseits stellen, wenn sie sich mit der AfD einlassen.“
Das ist – um es in der Mundart des Kollegen auszudrücken, von dem dieser Post stammt – ein Schmarrn. Hochnäsiger (und autoritärer) kann man sich gegenüber seinen Kunden nicht präsentieren.
Jetzt wenden sich diese Kunden ab.
Mit dem Internet fiel das journalistische Monopol der Herstellung von Öffentlichkeit. Die Menschen brauchen uns nicht mehr, um Nachrichten und ihre Sicht der Dinge zu verbreiten. Das Publikum liefert sich seine Informationen selbst. Es konsumiert die klassischen Nachrichtenmedien immer weniger. Nebenbei nutzt es die neu gewonnene Unabhängigkeit, um mit den alten Medien abzurechnen: „Lügenpresse“. Weil wir Journalisten es über lange Zeit einem Teil der Gesellschaft verweigert haben, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen – oder überhaupt nur ihn ihm vorzukommen – hat sich da sehr, sehr viel gefühlte Machtlosigkeit aufgestaut, die sich jetzt wütend entlädt.
Freilich haben die aus dem Internet-Boden sprießenden alternativen Medien Risiken und Nebenwirkungen ohne Packungsbeilage. Falschmeldungen verbreiten sich ebenso schnell wie Tatsachen, nicht selten sogar schneller. Der alte, traditionelle, kuratierende Journalismus war zwar einseitig – aber entgegen mancher Meinung auf der Straße hat er doch vergleichsweise selten gelogen. Tendenziös ist nicht gleich falsch.
Das wäre eine goldene Gelegenheit für uns Journalisten, Ansehen, Glaubwürdigkeit und Publikum zurückzugewinnen. Natürlich nicht jeden, es gibt hoffnungslose Fälle; aber viele – und jeder Einzelne wäre es wert. Wir müssten nur unsere eigenen Meinungen etwas weniger wichtig nehmen, mehr berichten statt zu belehren und unseren Job machen.
Stattdessen erliegen wir der Versuchung, es dem abtrünnigen Publikum mit gleicher Münze heimzuzahlen: Auf Ablehnung reagieren wir mit Ausgrenzung statt Argumenten; gegen Angriffe verteidigen wir uns mit Repression statt Diskussion; Angst und Wut beantworten wir mit Verachtung statt Verständnis und mit Negation statt Neugier.
Diesen fatalen Reflex zeigt gerade der Deutsche Journalisten-Verband DJV. Für dessen alljährlichen Verbandstag Anfang November in Dresden ist eine „Dresdner Erklärung“ vorgesehen. Der Kernsatz dieses vom Bundesvorstand eingebrachten Leitantrags lautet:
„Mitgliedschaften im DJV und in politischen Parteien, die die Pressefreiheit und die freie ungehinderte Ausübung des Journalistenberufs einschränken wollen, sind miteinander nicht zu vereinbaren.“
Die Begründung zeigt dann, auf wen genau der Antrag zielt:
„(…) Dennoch hat die AfD auf ihrem Bundesparteitag beschlossen, dass künftig die Delegierten den Ausschluss der Presse verlangen können. Damit ist die medienfeindliche Haltung der Partei jetzt Programm. (…)“
Aus dem Verband – der auch meiner ist und dem ich mich, obwohl nur noch zahlende Karteileiche, unverändert sehr verbunden fühle – hört man für Antrag und Begründung viele Rechtfertigungen, vor allem juristische. Das ist ein ebenso bekanntes wie beklagenswertes Muster. Über Rechtsfragen kann man quasi endlos diskutieren. Meist tut man das dann auch – und weicht so der inhaltlichen Debatte aus.
Inhaltlich und argumentativ steht das Vorhaben des DJV auf wackligen Füßen. Freilich, es stimmt, dass die AfD auf ihrem Bundesparteitag die Möglichkeit festgeschrieben hat, Medienvertreter auszuschließen. Nur: Die Möglichkeit bestand schon vorher. Denn jeder Parteitag jeder Partei kann mit Mehrheit die Öffentlichkeit ausschließen. Wer’s nicht glaubt: Eine einfache Nachfrage bei den Pressestellen von CDU, CSU, SPD, FDP, B‘90/Grünen und der Linken genügt für diese Erkenntnis. Es dürfte den Kolleginnen und Kollegen nicht gefallen, aber selbst der DJV-Verbandstag hätte formal die Möglichkeit, Pressevertreter, die nicht DJV-Mitglieder sind, aus dem Saal zu komplimentieren (zum Beispiel, wenn Interna debattiert werden sollen). Die Schlussfolgerung, mit dem beschriebenen AfD-Parteitagsbeschluss sei „die medienfeindliche Haltung der Partei jetzt Programm“ ist also, mit Verlaub, aussagenlogischer Unfug.
Ob es klug ist, die AfD insgesamt als Partei mit medienfeindlicher Haltung darzustellen, mag man diskutieren, wenn man will. Vermutlich eher unklug ist es, das auf der Grundlage von halben Wahrheiten und ganzen Fehlschlüssen zu tun.
Jenseits von Formulierungen steht die Frage, was der DJV mit seiner „Dresdner Erklärung“ erreichen will. Eine Antwort, die man aus dem Verband bekommt, lautet: Nichts Konkretes, es sei ein Akt der innerverbandlichen Hygiene. Es gehe darum, ein Zeichen zu setzen. In diesem Fall ist das Ganze wohlfeil: absehbar folgenlos, ein Beschluss zur Stärkung des eigenen Wohlbefindens, ohne jeden Ansatz zur Lösung tatsächlicher Probleme – die in Schrift gegossene Form der Lichterkette.
Eine andere Antwort ist: Man will ernsthaft Journalisten, die Mitglieder der AfD sind (und so dumm, das im DJV-Aufnahmeantrag anzugeben), vom Verband fernhalten. Aber warum? Der DJV hat bundesweit um die 35.000 Mitglieder und ein gewachsenes, gefestigtes Verbandsleben einschließlich klarer und von der überwältigenden Mehrheit geteilter Werte. Angst vor Unterwanderung? Es wäre schade, wenn Europas mit Abstand größte Journalistengewerkschaft sich so schwach fühlte.
Plausibler ist die Vermutung, dass man tatsächlich verhindern möchte, sich in absehbarer Zukunft verbandsintern mit unliebsamen Ansichten und Argumenten ernsthafter als bisher auseinandersetzen zu müssen. Das aber ist in Etwa so, als würde man die Augen schließen, um nicht gesehen zu werden. Man löst kein Problem dadurch, dass man es ignoriert.
Und das Problem der Journalisten mit der AfD wird – ähnlich wie das Internet – auch nicht mehr weggehen. Es wäre schon schön, wenn der DJV da eine echte (auch selbstkritische) Strategie entwickeln könnte, die sich nicht von einem schlampig begründeten Unvereinbarkeitsbeschluss zum nächsten durchzumogeln versucht.
Wie es gehen könnte, haben die Chefredakteure von ARD-aktuell und ZDF, Kai Gniffke und Peter Frey, am vergangenen Donnerstag gezeigt – ausgerechnet in Dresden: Da saßen sie auf Einladung des örtlichen AfD-Kreisverbands gemeinsam auf einem Podium mit dem AfD-Politiker und Journalisten Nicolaus Fest sowie dem früheren „Focus“-Redakteur Michael Klonovsky (jetzt Redenschreiber von AfD-Chef Alexander Gauland). Moderiert wurde der Abend von Andreas Lombard, Chefredakteur des rechtskonservativen Magazins „Cato“, und dem CDU-Medienunternehmer Klaus Kelle.
Hans-Dietrich Genscher sagte immer gerne: „Wer miteinander redet, schießt nicht aufeinander.“
Update 9.11.2018:
Nach kontroverser Diskussion hat der DJV-Verbandstag die ‚Dresdner Erklärung‘ in leicht veränderter Fassung beschlossen. Die Kernpassage lautet jetzt:
‚Der Deutsche Journalisten‐Verband lehnt alle Formen von politischem Extremismus gleich welcher Ausrichtung strikt ab. Journalistinnen und Journalisten im DJV treten in ihrem Beruf aktiv für die Demokratie und ihre Grundwerte, insbesondere für die Presse‐, Rundfunk‐ und Meinungsfreiheit, ein. Die Mitgliedschaft im DJV und Positionen, welche die Pressefreiheit bzw. die freie, ungehinderte Ausübung des Journalistenberufs einschränken wollen, sind miteinander nicht vereinbar.‘
Zudem fordert der DJV die politischen Parteien auf, sich zur Pressefreiheit zu bekennen und die freie und ungehinderte Ausübung des Journalistenberufs zu sichern.
Alexander Fritsch, 52, lebt als freier Publizist in Berlin. Von 2011 bis 2015 war er Vorsitzender des Journalistenverbandes Berlin-Brandenburg (JVBB) und Mitglied des DJV-Gesamtvorstands. 2015 bewarb er sich um den DJV-Bundesvorsitz und unterlag bei der Wahl dem jetzigen Amtsinhaber Frank Überall.