Tichys Einblick
Homogenisierter Journalismus

Wie sich unsere Medien überflüssig machen

Deutschlands Medien sehen einander immer ähnlicher. Der Einheitsbrei vertreibt das Publikum. Die Verwechselbarkeit hat viel mit einem modernen Phänomen zu tun, das als positiv gilt, es aber in Wahrheit nicht ist: dem Jobwechsel.

IMAGO / Michael Gstettenbauer

Selbstähnlichkeit ist ein komisches Wort. Auf den ersten Blick ist es – wie der weiße Schimmel – eine Tautologie: Denn natürlich ähnelt eine Sache oder auch ein Mensch immer sich selbst. Evident.

(Das hat viel mit unseren Medien zu tun, Sie werden gleich sehen.)

In der Chaos-Theorie bedeutet Selbstähnlichkeit, dass ein Ding aus kleinen Einzelteilen zusammengesetzt ist – und schon die Einzelteile sehen jeweils so aus wie das große Ding, zu dem sie zusammengesetzt sind. (Für Mathematiker ist das schmerzhaft verkürzt, ich weiß, sie mögen bitte gnädig sein.) Wenn man zum Beispiel vier kleine Dreiecke richtig anordnet, dann ergeben die zusammen wieder ein großes Dreieck. Und so weiter. Das ist die Idee.

Die großen Dinge sehen nicht nur oft exakt so aus wie ihre Einzelteile, sie haben oft auch exakt dieselben Probleme. Damit sind wir bei unseren Medien – und bei den Journalisten, die sie bevölkern.

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Politik mit Mode – Achtung, Glosse!
BILD bejubelt Baerbock: „Und immer wieder Wickelkleid!“
Es ist gar nicht so lange her, jedenfalls keine Ewigkeit, da war das Boulevardblatt B.Z. die größte Zeitung Berlins. Sie gehörte zum Imperium von Axel Springer. Mit der Berliner Regionalausgabe von BILD kämpfte die B.Z. erbittert um die Gunst der Leser.

Beide Zeitungen hatten ihre Redaktionen im Springer-Hochhaus. Physisch waren sie zwar nur durch ein Stockwerk getrennt – aber ansonsten lagen Welten zwischen ihnen. Die Konkurrenz hätte nicht größer sein können zwischen den Blättern. Und zwischen den Journalisten.

Auf dem Gipfel des Wettbewerbs fuhren Reporter der beiden Zeitungen nach Möglichkeit nicht miteinander im selben Fahrstuhl. Und gar von BILD zur B.Z. zu gehen (oder umgekehrt), das war wie ein Vereinswechsel von Schalke 04 zu Borussia Dortmund (oder umgekehrt): Verrat. Skandal. Verlust der Bürgerrechte.

BILD und B.Z. waren zwar beide Boulevardblätter aus derselben Konzernwelt – aber trotzdem eigenständig, selbstbewusst und auch absolut unterscheidbar, in Inhalt und Stil. Sie hatten sozusagen verschiedene Spielphilosophien – mit den jeweils dazu passenden Spielertypen, sprich: Redakteuren.

Es war ein großer Unterschied, ob man eine Geschichte nach BILD-Art oder nach B.Z.-Art aufbereitet hat. Sie waren unverwechselbar.

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Was für den Berliner Boulevard galt, galt noch viel stärker für die vermeintlich seriösen Medien:

Über Jahrzehnte haben F.A.Z. und Frankfurter Rundschau zahllose Male über denselben Sachverhalt berichtet – immer flogen sie ihn aus verschiedenen Richtungen an. Medien hatten unterscheidbare Profile: Welt und Süddeutsche Zeitung, Spiegel und Focus, WDR und Bayerischer Rundfunk, SAT.1 und RTL …

Medien hatten so etwas wie eine Identität. Deren wichtigster Bestandteil waren die Journalisten (außer vielleicht beim ZDF, da waren es die Mainzelmännchen).

Es gab eine enge und nicht selten lebenslange Bindung von Journalisten an ihre Medien. Das hatte zum einen inhaltliche Gründe. Ein SZ-Mann hätte keinen gescheiten Welt-Text schreiben können, selbst wenn er gewollt hätte. Zum anderen gab es für Seitenwechsel auch kaum einen Grund: Die allermeisten Redakteure waren festangestellt und verdienten in ihrem Laden sowieso schon ungefähr dasselbe, was sie vielleicht bei der Konkurrenz hätten bekommen können. In der Folge hatten die Medien ein recht großes und recht verlässliches Stammpersonal.

Dann kam das Internet – und mit ihm die Krise.

Was da alles falsch gemacht wurde, von den Verlegern und den Intendanten, füllt einen anderen Text (und mehr als nur einen). Im Ergebnis wurde das Geld knapp, und es kamen die Controller. Die nannte man früher Buchhalter, und sie bildeten verlässlich das Ende der Nahrungskette in einem Medienhaus. Heute bilden sie den Genpool, aus dem das meiste Führungspersonal herangezüchtet wird.

Fortan wurde gespart: vor allem am produzierenden Personal, also an den Journalisten. Man kann sicher trefflich darüber spekulieren, ob – und wenn ja: wie – es anders hätte gehen können. Nicht spekulieren muss man über die Folgen dessen, was da getan wurde (und bis heute getan wird). Denn die liegen überlebensgroß vor uns:

Das Krisensparen hat die Unverwechselbarkeit gekillt.

Vielleicht wären die Medien heute besser dran, wenn sie sich nicht ausschließlich um die Zahlen in ihrer Bilanz, sondern auch um die Buchstaben in ihrem Produkt gekümmert hätten.

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Festangestellte Journalisten sind teuer. Man muss sie beschäftigen, sonst sitzen sie während der bezahlten Arbeitszeit unproduktiv herum. Man muss sie bezahlen, auch wenn das Publikum schrumpft und die Werbeeinnahmen wegbrechen. Sie werden krank oder machen Urlaub.

Festangestellte Journalisten sind ein Alptraum für Controller.

Freie Journalisten sind da viel pflegeleichter. Man gibt ihnen einzelne Aufträge oder beschäftigt sie als Tagelöhner. Man kann sie quasi ein- und ausknipsen wie einen Lichtschalter. Und wenn sie krank werden oder nach Ibiza fliegen wollen, kosten sie den Auftraggeber nix: keine Arbeit, kein Honorar.

Also wurde umgeschichtet. Überall wurden die Planstellen für festangestellte Redakteure rigoros zusammengestrichen. Stattdessen werden Heerscharen an freien Journalisten beschäftigt. Bei denen muss man nur darauf achten, ihnen nicht zu viele Aufträge zu geben: nämlich gerade nur so viele, dass man keine Probleme mit möglicher Scheinselbstständigkeit bekommt. Und dass die freien Mitarbeiter keine Festanstellung einklagen können.

Aber auch so ein Freiberufler will auskömmlich leben, man kann es ihm kaum verdenken. Mit nur einem Auftraggeber geht das nicht (Achtung, Scheinselbstständigkeit). Also arbeitet der freie Journalist notgedrungen für mehrere Medienhäuser.

Wer nun denkt, das fördere die Vielfalt, irrt gewaltig. Tatsächlich passiert das Gegenteil.

Unverwechselbar wurden Medien zwar auch durch die Aufmachung und durch die Themenauswahl – aber vor allem eben durch ihre Mitarbeiter. Jetzt dagegen setzt man auf austauschbare Leute. Die liefern, wenig verwunderlich, austauschbare Inhalte. Mit immer weniger exklusiven Festangestellten und immer mehr externen Freien, die gleichzeitig für viele verschiedene Auftraggeber am Start sind, gleichen sich die Medien stilistisch und weltanschaulich immer mehr an.

Fehler kommen gern in Ketten. So auch hier: Statt beim Profilverlust gegenzusteuern und ihre journalistischen Produkte wieder unverwechselbar zu machen, probieren unsere Medien lieber aus, mit wie wenig Journalismus man denn so auskommen kann. Vorher eigenständige Redaktionen werden zu Nachrichten-Legebatterien fusioniert. Die verteilen, mehr oder weniger, immer denselben Inhalt nur noch an verschiedene Marken. So lassen sich weiter Kosten sparen.

Auch die B.Z. und die Berlin-Ausgabe von BILD werden ab November in einer gemeinsamen Redaktion produziert. Beide Titel sollen trotzdem ihre „publizistische Eigenständigkeit“ behalten, lässt Konzernchef Mathias Döpfner mitteilen. Bei allem Respekt: Das ist Quatsch, hart an der Grenze zur Publikumsveralberung.

Axel Cäsar Springer, der verblichene, dürfte unglücklich im Grab rotieren.

Das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ RND beliefert 52 (in Worten: zweiundfünfzig) Zeitungen bundesweit. Die Seven.One Entertainment Group produziert zentral die Nachrichten für ProSieben, SAT.1 und Kabel Eins. Die Nachrichten von RTL, Vox und n-tv greifen auf einen gemeinsamen Redaktionspool zurück.

Und so weiter, und so fort: Immer dieselben Inhalte von immer denselben Leuten.

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Ein weiterer Treiber für die Einebnung aller Unterschiede bei unseren Medien heißt dpa.

Das ist die größte Nachrichtenagentur Deutschlands, ihre Gesellschafter sind rund 170 deutsche Medienunternehmen. Interessanter als die Eigentümer der „Deutschen Presse-Agentur GmbH“ sind allerdings die Nutzer.

Denn das sind, ohne Übertreibung, fast alle.

Seit Jahrzehnten hat praktisch jede deutsche Rundfunkanstalt und fast jede Tageszeitung die Nachrichtenagentur abonniert. Die dpa-Kunden „können somit auch ohne eigene Korrespondenten und Redakteure über Geschehnisse in aller Welt berichten“, weiß Wikipedia. Das heißt: Die derzeit etwa 660 Mitarbeiter der dpa liefern Meldungen, Hintergründe, Analysen, Grafiken, Fotos und seit ein paar Jahren auch Videos – für alle deutschen Medien.

Die können das dpa-Material als Quelle hernehmen, selbst weiter recherchieren und eigene Texte oder TV-Beiträge daraus machen. Oder sie können das dpa-Material etwas umschreiben und ihrem Publikum als eigenes Werk verkaufen. Oder sie sparen sich gleich die ganze Mühe – und drucken die dpa-Inhalte einfach 1:1 ab.

Das ist natürlich mit Abstand am billigsten. Und deshalb wird es mittlerweile auch geradezu inflationär gemacht.

Unsere Medien haben wichtige Teile ihrer Recherche und sogar ihrer Textproduktion inzwischen an die dpa ausgelagert. Das ist schön bequem und obendrein günstiger. Ein dpa-Abo kostet nur einen Bruchteil des Gehalts von mehreren eigenen Redakteuren.

660 dpa-Mitarbeiter liefern also die Inhalte (und die Perspektive), die immer mehr Medien bei uns einfach übernehmen – aus Kostengründen zunehmend ungeprüft, unbearbeitet, unverändert. So kommt es, dass die Leser einer Regionalzeitung in Nordfriesland immer öfter exakt dieselben Texte finden wie die Leser eines Lokalblatts im Saarland oder in Thüringen oder in Oberbayern.

„Der immense Einfluss der dpa auf die öffentliche Meinung ist oft kritisiert worden“, weiß Wikipedia. Loriot würde jetzt sagen: Ach, was …?

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Die deutschen Medien sind homogenisiert.

Und weil sich sowieso alles immer ähnlicher ist, sind nun auch bei den festangestellten Journalisten die lustigsten Jobwechsel möglich. Heute sind auch vorgebliche Top-Leute so geschmeidig – und die Häuser so austauschbar – dass man problemlos von BILD zum Spiegel zu RTL gehen kann. Oder vom Spiegel zu Focus. Oder von der Welt zum Tagesspiegel.

Sukzessive werden so auch die letzten verbliebenen Unterschiede zwischen Zeitungen oder Fernsehsendern eingeebnet.

Ein weiterer, besonders unappetitlicher Nebenaspekt dieser Job-Hopping-Kultur ist die bruchlose Metamorphose von Journalisten zu Regierungssprechern zu Intendanten von öffentlich-rechtlichen Anstalten (und manchmal sogar wieder zurück).

Ulrike Demmer zum Beispiel ist viel rumgekommen: Sie war beim ZDF, beim Spiegel, bei Focus und beim RND. Dann war sie stellvertretende Regierungssprecherin, heute ist sie Intendantin beim rbb. Béla Anda war erst bei BILD, dann Regierungssprecher, dann wieder bei BILD.

Und nein, das ist nicht gut. Überhaupt nicht. Journalisten sollen Politiker und politische Beamte stellvertretend für die Öffentlichkeit überwachen. Da ist es schon schwierig, wenn jemand aus der Redaktionsstube auf die Regierungsbank wechselt. Endgültig inakzeptabel ist der Weg zurück.

Verfechter dieser Praxis verweisen gerne darauf, dass das ja in den USA auch üblich sei. Ohne jeden Anflug von Anti-Amerikanismus: Nicht alles, was aus den USA kommt, ist so gut, dass wir es bei uns nachmachen sollten.

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Eine zusehends stromlinienförmige Medienlandschaft erzeugt, wenig verwunderlich, auch stromlinienförmigen Nachwuchs.

Die nachrückenden Generationen von angehenden Journalisten ähneln erschreckend den Klon-Kriegern aus „Star Wars“: mit weitgehend einheitlicher Sicht auf die Welt, auf den Beruf und auf sich selbst. Im Wortsinn uniformiert.

Es gibt viele Wege zum Frust. Einer der schnellsten ist: Lehrbeauftragter im Fachbereich Journalistik an einer deutschen Universität. Denn mit jedem neuen Jahrgang sind immer weniger Persönlichkeiten zu finden, die den Impuls haben, sich ihren eigenen Weg zu suchen. Mit jedem Semester gibt es weniger journalistische Talente.

Mit Blick auf die Auftragslage hört man von Kollegen öfter die Klage, es gebe zu viele Journalisten im Markt. Das ist falsch. Es gibt nicht zu viele Journalisten. Es gibt zu wenig gute.

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Milch wird homogenisiert, um sie besser bekömmlich zu machen. Genau dasselbe gilt für den homogenisierten Journalismus: Er liegt nie schwer im Magen. Er verursacht niemals Bauchschmerzen. Er ist leicht verdauliche Ware.

Der homogenisierte Journalismus ist von allem befreit, was ihn relevant machen könnte. Schon kurz nach dem Verzehr kann man sich kaum noch an ihn erinnern.

Es ist ein Journalismus, den die Welt nicht braucht.

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