Tichys Einblick
Alice Weidel beim Stern:

Ein Offenbarungseid: Wie sich Gesinnungsjournalismus selbst entlarvt

Alice Weidel gibt dem Stern ein Interview – kein Streitgespräch, wie der Chefredakteur des Magazins im Editorial behauptet, sondern eine würdelose Zurschaustellung journalistischer Hilflosigkeit. Denn außer direkten Beleidigungen haben die Journalisten der Interviewpartnerin nichts zu entgegnen.

Screenprint. Stern via twitter

Die Emotionen kochen mal wieder hoch auf Twitter – verantwortungslos sei es, Alice Weidel ein Forum zu geben, sie auf das Titelbild der aktuellen Ausgabe des Stern zu hieven. In seinem Editorial rechtfertigt Gregor Peter Schmitz die redaktionelle Entscheidung prophylaktisch: „Es ist unsere Aufgabe, mit allen zu sprechen, die an die Macht wollen.“ Wer jedoch nun gehofft hatte, dass hier der Chefredakteur ein klares Bekenntnis zum objektiven Journalismus geben würde, wird im Folgenden eines Besseren belehrt: „Jedes Gespräch mit der AfD muss auch thematisieren, was auf unserem Titelbild in Frakturschrift steht: Hass. (…).“ Das Thema ist also vorgegeben, der Tenor ebenfalls. Die Pflege des Vorurteils gegenüber der Fraktur, die immer gern als NS-Chiffre verwendet wird, wäre eine separate Diskussion wert, zuerst stellt sich hier allerdings die Frage nach dem Berufsbild des Journalisten, das offensichtlich besorgniserregend schief hängt.

Denn seine Aufgabe ist nicht, Vorverurteilungen festzulegen; insbesondere dann nicht, wenn ein „Gespräch“ angestrebt wird, wie es der Titel des Stern suggeriert. Es ist die Aufgabe von Journalismus, Stimmen hörbar zu machen, und zwar ganz egal, ob diese bequem oder unliebsam sind – oder gefährlich. Denn sie gehören zu einer ganzheitlichen Wahrnehmung der Realität dazu. Darum werden Diktatoren und Warlords interviewt, Drogendealer und Zuhälter: Wird ernsthaft zum Aufreger, dass man Stimmen, die irgendjemand als bedrohlich empfindet, ein Forum gibt, dann offenbart dies eine hochgradig gefährliche Vorstellung von Journalismus: Dann soll der Journalist nicht Zugänge zur Realität eröffnen, sondern Realität vorsortieren und aussieben. Dem Leser wird unterstellt, dass er gelenkt und vor Überforderung geschützt werden müsse: Ist die Masse jedoch nicht fähig, Propaganda und Agitation zu erkennen, so liegt das womöglich ein Stück weit an Journalismus, der sich selbst mit Propaganda gemein gemacht hat, der aktivistisch vorgeht, dies aber als objektiv verkauft.

Es kommt das Interview mit der ehemaligen ARD-Vorsitzenden Patricia Schlesinger in den Sinn. Selbst kein unbeschriebenes Blatt in Sachen Integrität, musste sie viel Kritik einstecken für ihre Beobachtung, dass viele junge Journalisten den Unterschied zwischen Haltung und Gesinnung nicht verstehen würden – dies scheint allerdings für einige altgediente Journalisten nicht minder zu gelten. Es tut nicht nur der öffentlichen Meinung und Meinungsbildung, es tut auch den Journalisten nicht gut, wenn sie sich als Türsteher für Informationen begreifen. Denn das sind sie zum Teil notgedrungen ohnehin. Dieses Manko sollte man eher zu verringern suchen.

Doch nehmen wir einmal an, wir lebten in einem Paralleluniversum, indem es die Aufgabe eines Journalisten ist, Menschen vor Meinungen zu schützen, die nach bestimmten Parametern als gefährlich eingestuft wurden. Selbst in einem solchen Paralleluniversum würde dieses Gespräch einen Tiefpunkt markieren. Mag man Alice Weidel noch so ablehnen, verteufeln; möge man noch so sehr fürchten, ihr stählerner Blick könnte Deutsche dazu inspirieren, den Reichstag zu stürmen: „Was können Sie eigentlich außer Hass, Frau Weidel?“ als Titel und Frage des Interviews: Das ist ein Schlag unter die Gürtellinie sondergleichen. Eine Überschreitung der Grenzen des guten Geschmacks, die durch nichts gerechtfertigt ist, weder durch subjektive noch durch objektive Einwände gegen eine Person. Sind solche Einwände zu groß, muss eben das Interview unterbleiben.

Nun handelt es sich womöglich lediglich um bewusste Provokation in der Schlagzeile, um einem ansonsten fachmännisch geführten Interview viele Leser zu bescheren? Nein. Der diffamierende Tonfall zieht sich weiter durch: Im Nachgang einer Eingangsfrage wird Weidel belehrt: „Es muss furchtbar sein, so zu leben wie Sie. (…) Macht Ihnen irgendetwas Freude im Leben?“. Als sie, befragt nach dem Erfolg der AfD, auf das Parteiprogramm hinweist, heißt es weiter: „Oh, daran hätten wir jetzt als Letztes gedacht.“. Wundert es da, dass durchaus interessante Fragen zu ihrer Persönlichkeit kaum mehr als einsilbige Antworten hervorbringen können? Wer plaudert und verplaudert sich schon gern mit jemandem, der seine Verachtung nicht einmal mehr notdürftig versteckt?

Seit wann beschimpft ein Journalist die Menschen, die im Deutschen nicht umsonst als Interviewpartner bezeichnet werden, nicht als Interviewgegner, nicht als Interviewfeinde? Und das im Printformat, wo es nicht, wie in Talkshows durchaus möglich, zum Streit kommt, wo im Nachhinein etwaige Übertretungen geglättet werden können. Dass dies unterblieben ist, bezeugt die Verblendung der Verantwortlichen. Diese sind offensichtlich davon überzeugt, dass ihre moralische Überlegenheit das Interview überstrahlt, dass sie hier die dämonenhafte Fratze der AfD sichtbar machen. Stattdessen wirkt gegen all das in Stellung gebrachte hier allein Alice Weidel menschlich: Eine Frau, die eingeladen ist, über ihre Sache zu sprechen und von zynischen Bullies daran gehindert wird.

Wer nicht dazu in der Lage ist, persönliche Animositäten für den Augenblick des Interviews zurückzustellen, kann dem Leser auch keinerlei Einblicke bescheren. Der Leser lernt hier nichts über die Ziele der AfD, und auch nichts über Alice Weidel – außer, dass sie über enorme Selbstbeherrschung verfügt. Sehr wohl entblößen sich allerdings die Interviewer. Die Leser wissen nun, dass die Journalisten, die das Gespräch geführt haben, die AfD für gefährlich und Alice Weidel für einen hasserfüllten Menschen halten. Alles wie gehabt. Die Mühe, den Gesprächspartner aufzusuchen, hätte man sich hier also sparen können. Wenn jedes ehrliche Interesse – das ja nicht frei von einer eigenen Haltung zur betreffenden Person sein muss – fehlt, dann tut es auch ein Meinungskommentar.

Das ist das eigentlich Skandalöse an diesem Stern-Artikel. Niemand muss sich dafür schämen, Alice Weidel zu interviewen, oder ihr den Platz auf dem Titelbild einzuräumen. Schämen muss man sich für ein Interview, in welchem man das Gegenüber beleidigt. Schämen sollten sich diejenigen, die ihren politischen Gegnern grundlegenden Respekt verweigern.

Die mobile Version verlassen