Es kommt ja nicht oft vor, dass wir an dieser Stelle Gutes über den Deutschen Journalisten-Verband DJV zu berichten haben. Heute ist eine Ausnahme – eine halbe Ausnahme, wie wir gleich sehen werden.
Der DJV hat, völlig zu Recht und in unerwartet klarer Sprache, die BILD-Zeitung wegen ihrer Sylt-Berichterstattung kritisiert. Europas größtes Boulevardblatt hatte die Bilder der fünf jungen Leute, die auf Sylt erkennbar heftig angetrunken blödes Zeug gesungen haben, unverpixelt veröffentlicht. Das machen die ja insgesamt wenig zimperlichen Springer-Leute sonst noch nicht einmal mit schlimmsten Sexualstraftätern.
Der DJV kritisiert das nicht von ungefähr: Ziemlich eindeutig hat BILD hier nicht nur das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen in schwerster Weise verletzt. Die steckbriefartige Auflistung und Veröffentlichung der persönlichen Daten des schrägen Sylter Sängerchors (zum Beispiel der Namen) könnte nicht nur medienrechtlich unzulässig sein, sondern sogar als sogenanntes „Doxing“ gewertet werden – also als Straftat (§ 126a StGB).
Doch wo Licht ist, ist ja meistens auch Schatten. Das ist in diesem Fall leider nicht anders. Denn so massiv der DJV die BILD-Zeitung attackiert, so dröhnend schweigt der Journalistenverband zum eigentlichen Halunken in der ganzen Sache: dem WDR.
Es war auch der Westdeutsche Rundfunk, der in der Berichterstattung über den Party-Abend auf Sylt vorgeprescht ist – und die Bilder aus Sylt unverpixelt zeigte. Der WDR war und ist darin keinen Deut besser als BILD.
Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass der DJV mit zweierlei Maß misst. Der Laden ist bekannt dafür, dass er BILD gerne verteufelt und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerne verhätschelt. Das liegt an der Mitglieder- und Finanzstruktur des DJV: Da tummeln sich, vor allem in den zahlreichen Gremien, wahre Heerscharen von festangestellten und tariflich entsprechend gutbezahlten ARD-Mitarbeitern oder -Pensionären.
BILD-Leute findet man beim DJV praktisch gar nicht. Das kann auch nicht weiter verwundern, denn obwohl die Springers nicht selten zweifelhafte Methoden wählen, arbeiten sie branchenbekannt viel und hart. Für Gewerkschaftsgedöns ist da keine Zeit.
Mithilfe des DJV will der WDR nun offenbar so tun, als stünde man auf einer höheren berufsethischen Stufe als bei BILD – obwohl man mit den Schweinereien gegen das Persönlichkeitsrecht der jungen Leute auf Sylt nicht nur angefangen hatte, sondern damit auch völlig ungeniert weitermacht: Der WDR zeigt die unverpixelten Bilder bis heute (zum Beispiel hier).
Die Begründung, die der Sender dafür liefert, oszilliert zwischen abenteuerlich und lachhaft:
„Der WDR hat sich entschieden, die Personen in dem Video nicht unkenntlich zu machen, da es sich um ein zeitgeschichtliches Ereignis handelt und dies stärker wiegt als die Interessen der gezeigten Personen. Außerdem haben sie sich selbst in eine zumindest halb-öffentliche Lage gebracht und mussten damit rechnen, dass diese Bilder an die Öffentlichkeit gelangen.“
Nicht nur Juristen haben jetzt Lachtränen in den Augen.
Es fängt damit an, dass der Sender das Gegröle von fünf bis dahin völlig unbekannten (und unbescholtenen) betrunkenen jungen Leuten ironiefrei als „zeitgeschichtliches Ereignis“ bezeichnet – also als etwas auf der Ebene einer Papst-Wahl oder der Ermordung von John F. Kennedy. Es geht damit weiter, dass die Anstalt so tut, als sei in so einem Fall das Persönlichkeitsrecht außer Kraft gesetzt. Ist es aber natürlich mitnichten.
„Wenn der WDR dabei meint, dass die anprangernde Berichterstattung aufgrund eines zeitgeschichtlichen Ereignisses gerechtfertigt sei, ist der WDR presserechtlich nicht oder schlecht beraten.“
Das schreibt der angesehene Rechtsexperte Carsten Brennecke. Er hat zusammen mit Fachkollegen aufgeschrieben, warum die Veröffentlichung der unverpixelten Bilder rechtswidrig ist (nachzulesen hier).
Natürlich weiß das auch der WDR. Dort sitzen Armeen von bestens bezahlten Juristen, und nicht ausnahmslos alle sind unfähig. Dass der Sender dennoch solchen Unsinn in die Welt setzt, liegt daran, dass sie sich in Köln unantastbar fühlen.
Der WDR ist unangefochten die größte, reichste und mächtigste aller ARD-Anstalten. Bis heute erzählt man sich, dass der Sender zeitweise mehr Planstellen in der Besoldungsgruppe B6 hatte als die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen (immerhin dem größten aller Bundesländer). B6, das sind jetzt knapp 11.400 Euro im Monat.
Der Westdeutsche Rundfunk ist also längst ein Staat im Staate. Er versucht auch gar nicht mehr, sein anmaßendes Selbstverständnis zu verbergen. Unaufgefordert, aber völlig ungeniert spielt er sich zum Beispiel auf Sylt als Strafverfolgungsbehörde auf – und verfolgt selbstherrlich Handlungen, die gar nicht strafbar sind.
Denn auf Sylt haben sie gesungen: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Dazu soll bitteschön jeder seine eigene persönliche Meinung haben. Meine behalte ich hier für mich, weil es um die nicht geht. Worum es geht, ist: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich nicht strafbar, sondern eine zulässige Meinungsäußerung.
Der WDR spielt sich als Strafverfolgungsbehörde auf. Das für sich ist schon eklig anmaßend. Aber obendrein verfolgt der Sender Menschen, die gar nichts Strafbares getan haben.
Das ist der elementare Wesenszug des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unserer Zeit: Haltung ist wichtiger als geltendes Recht.
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