„Wenn die Deutschen Revolution machen, kaufen sie zuerst eine Bahnsteigkarte, bevor sie den Bahnhof stürmen“, sagte Lenin. Eine weitere Option hat der russische Chef-Revolutionär indes übersehen. Wenn sie am Ende ihrer Karriere stehen, sind sie plötzlich ebenfalls für Veränderungen offen. So wie Frank Plasberg. Jahrelang hätte er in „hart aber fair“ für die Menschen senden können, statt „über ihre Köpfe“ hinweg. Hätte kontroverse Meinungen zulassen können. Nun soll es die geben in der ARD. Da er weg ist, wünscht sich das Plasberg zumindest.
Nun musste sich der Privat-Revolutionär Buhrow in dienstlicher Funktion den Mitstreitern stellen. Auf einer Betriebsversammlung. Die hatte der WDR auf den Elftenelften gelegt. Karnevalsbeginn in Köln. Es sei terminlich nicht anders gegangen, sagt der WDR. Die Stimmung war aufgeladen, berichtet der Kölner Stadt-Anzeiger – der in jüngster Zeit einige kritische Punkte rund um den Staatssender aufgedeckt hat.
Schon im Vorfeld hatte die Gewerkschaft Verdi einen Fragekatalog eingereicht. Die Gewerkschafter hatten einige Zweifel daran, dass sich Buhrow als Privatmann geäußert habe: Würden seine Forderungen umgesetzt, bedeutete das auch massiven Personalabbau. Wieso die Initiative dann nicht mit dem Personalrat abgestimmt war, wollte Verdi wissen. Zumal sie wohl im Büro des Intendanten über Wochen vorbereitet wurde. Ob sich der Privatmann für seinen Vortrag von WDR-Mitarbeitern habe zuarbeiten lassen, wollte Verdi ebenfalls wissen. Und ob die Trennung sauber gewesen sei, falls Buhrow sie privat für diese Arbeit bezahlt habe.
TE wollte das auch wissen – reichte die gleichen Fragen beim WDR ein. Sie blieben unbeantwortet. Bis zur Pressestelle scheint sich die Revolution noch nicht rumgesprochen zu haben. In der Betriebsversammlung musste sich der Chef dann anhören, dass er seine Mitarbeiter vorgeführt habe und die Unsicherheit nun groß sei. Zumal der WDR ohnehin schon in den Schlagzeilen steht. Unter anderem dafür, dass Buhrow und seine Intendanz das Geld mit vollen Händen ausgeben.
Bisher haben sich die Mitarbeiter vor ihren Sender gestellt. So reichten über 100 von ihnen einen „Leserbrief“ ein, als Reaktion auf einen anderen Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers. Sie wiesen „mafia-ähnliche Strukturen“ im Kölner Sender zurück. Auch stimme es nicht, dass man immer loyal sein und alles abnicken müsse, um in Führungsrollen zu kommen, schrieben die Mitarbeiter öffentlich. Anders als die Lokalzeitung behauptet hat, dürfe der WDR auch über den Energieriesen RWE kritisch berichten. „Wir stellen fest: Wir sind stolz auf unsere Diskussionskultur, die sicherlich nicht immer perfekt ist. Aber wir arbeiten jeden Tag daran, sie weiter zu verbessern“, heißt es in dem „Leserbrief“. Auch der Sender gab eine Stellungnahme zum Stadt-Anzeiger ab. Auch die Führung unterstellte dem Blatt, falsch berichtet zu haben.
Derzeit streiken die WDR-Mitarbeiter. Zwar begrüßen sie im Programm, dass Inflation und Energiekrise die Menschen zu Verzicht für den Klimawandel zwingen. Sie selbst soll dieser Verzicht aber nicht treffen. Deswegen fordern sie mehr Geld und dass sich sonst nichts ändert: ein quasi verbeamtetes Leben weitergeht – mit politiknaher Berichterstattung, geplant zwischen Frühstücks- und Mittagspause. Bis Buhrow diesen Laden auf Revolution eingestimmt hat, ist ein weiter Weg für den 64-Jährigen zu gehen. Aber eine Hürde hat er immerhin schon geschafft: Es gibt in Deutschland keine Bahnsteigkarten mehr.