Tichys Einblick
Uniformierte Berichterstattung

UN-Migrationspakt: Kritiker im öffentlich-rechtlichen Visier

Wo es früher im Journalismus um die Kritik der Herrschenden ging, dominiert nun die Verbreitung der von den Herrschenden gewünschten Sicht - Verdammung der Kritiker inklusive. Journalismus als schriftlich verabreichter Baldrian.

UN-Migrationskonferenz am 10. Dezember 2018 in Marrakesch, Marokko; UN-Generalsekretär Antonio Guterres zweiter von links

FADEL SENNA/AFP/Getty Images

Was für ein multiples öffentlich-rechtliches Elend. Bei hart aber fair ging es am Montag doch allen Ernstes um die Frage, ob Funklöcher Deutsche zu Wutbürgern machen würden. Nicht, dass man darüber nicht wütend werden könnte, aber diese Live-Sendung beschäftigt sich mit Funklöchern und Co ausgerechnet an jenem Tag als die Bundeskanzlerin Angela Merkel in Marokko ihr politisches Vermächtnis besiegelt und sich der Welt als so etwas wie die Architektin der bisherigen und der kommenden Massenzuwanderung nach Europa präsentiert. hart aber fair im Funkloch mit dem Thema Funklöcher: Ein Witz, der noch nach Lachern sucht.

Nun stehen Talkshows schon länger in der Kritik. Und diese Kritik wirkt, wenn das so genannte Establishment längst offen darüber diskutiert hat, diese Formate gleich ganz abzuschaffen. In Ermanglung von Alternativen laufen sie allerdings vorerst weiter, immer wieder werden mal neue Formate ausprobiert, solche beispielsweise mit wechselnden, mit kürzeren, also mit lenkbareren Gesprächsrunden, wie unter der Moderation von Dunja Hayali.

Und die Öffentlich-Rechtlichen erinnern sich älterer Formate, die nun scheinbar noch intensiver den politischen Lotsen geben sollen. Die Kultursendungen „ttt“ und „aspekte“ sind die zwei bekanntesten, aber auch der spleenige Literaturzuchtmeister Dennis Scheck bemüht sich zunehmend in seiner Buchrezensionssendung „Druckfrisch“ politische Einordnungen vorzunehmen, wenn er beispielsweise die Bestsellerlisten Sachbuch durchgeht und im Wortsinne öffentlich wegschmeißt, was ihm daran politisch nicht passt. Ein Wunder, das noch kein Scheiterhaufen für böse Bücher vor dem Studio aufgebaut wurde. Warum er sich bei Thilo Sarrazin noch zurückgehalten hat, als er es in der Hand hielt und quasi vorsichtig ins Regal zurückstellte, wollen wir im Auge behalten.

Dieter alias Max Mohr präsentierte zuletzt bei „ttt“ eine Hymne auf den Pranger des „Zentrum für Politische Schönheit“, nein, er ging den verbissenen Politpop-Statisten sogar ganz auf den Leim, als der die nachgereichte, fadenscheinige Rechtfertigung der Aktivisten doch tatsächlich als eine glaubwürdige verkaufte, fast so, als stände er bei den Kindsköpfen in der Schuld. Ach, formulieren wir es einfach mal ganz böse: Überhaupt steht Dieter alias Max Mohr insbesondere bei den Abmoderationen seiner Sendung für eine Darstellungsform, die wohl anderswo ihre Meisterschaft erlangt hatte: bei politisch-agitatorischen Sendungen des DDR-Fernsehens.

Schnell ein Blick auf „aspekte“, wo eine Pärchenmoderation aus Katty Salié und Jo Schück sich seit 2012 bzw. 2014 eifrig darum bemüht, Gefallen zu finden – aber weniger beim Publikum, sondern, so der Eindruck, viel mehr bei Kollegen wie Jan Böhmermann. Der Tagesspiegel nennt diese Form der Unterhaltung viel zu vornehm „eine radikale Moderatoren-Verjüngung.“ ZDF-Intendant Thomas Bellut ficht das nicht an, für ihn bleibt sein „aspekte“ ein wesentlicher Beitrag zur kulturellen Grundversorgung, auch dann noch, wenn sich das Magazin mit seinen Musikmoderatoren zunehmend genau dort verhebt, wo es wirken will: bei den politischen Themen.

Nun aber zu einem weiteren Format, das bisher eher ein Nischendasein führte, sich aber gerade aufschwingen will, den großen Politkultursendungen der Öffentlich-Rechtlichen Konkurrenz zu machen, wenn „Kulturzeit“ auf 3 Sat, eine Sendung mit grenzüberschreitender Kooperation Schweizer, österreichischer und deutscher Redaktionen in Sachen Kritik der Kritiker des Migrationspaktes den Einpeitscher gibt.

„Kulturzeit“ wurde jüngst mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet mit der wirklich kuriosen Jury-Begründung: Mit ihrem Programm zeige die Redaktion ihren Zuschauerinnen und Zuschauern, „dass es jenseits von politischen und wirtschaftlichen Interessen eine trag- und zukunftsfähige Dimension menschlichen Zusammenlebens gibt“.

Eine krasse Fehlentscheidung? Schauen wir mal dort rein, wo es richtig weh tut, wo es um besagte Kritik der Kritiker geht. Nach einem Statement für Sahra Wagenknechts Sammelbewegung und einem Beitrag über die Vergänglichkeit von Kunst folgt ein engagiertes Plädoyer für den UN-Migrationspakt in Form einer wirklich ätzenden Kritik an den Kritikern des Paktes.

Wohl noch nie hätten sich so viele Sendungen mit einer „Absichtserklärung der UNO beschäftigt“, starten der kurze Beitrag. Dann liefert Chefredakteur Ulf Poschardt für die Welt zum Thema Migrationspakt ein Geständnis ab: „Wir haben nicht gesehen, dass es so ein großes Thema war.“ Er hätte in Redaktionssitzungen erklärt, dass es unglücklich sei, „wenn wir unsere Agenda von rechten Trollen inspirieren lassen.“  Das sind nun leider zwei aufeinanderfolgende Sätze, wo der zweite den ersten gehörig in den Allerwertesten tritt. Zunächst das sympathische Eingeständnis der Fehleinschätzung, dann die Ausrede in Form einer Schuld zuweisenden Diffamierung und Diskreditierung der Kritiker des Migrationspaktes, getreu einer imaginären Sprachregelung gezogen von Merkel bis Maas. Das nun allerdings Stefan Aust selbst in der Welt zum Vorzeigekritiker des Paktes wurde, muss wohl nach dem Interview von 3sat mit Poschardt passiert sein.

3sat schließt sich an und spricht von Verschwörungstheorie. Aber Ulf Poschardt relativiert das im Laufe des kurzen Beitrags bei Kulturzeit, wenn er sagt, er sehe sich mit Blick auf den Pakt in der interessanten Lage, dass man es „so oder so“ sehen könne. Dann aber darf Heribert Prantl aus der Chefredaktion der Süddeutschen herüber erklären, er sehe eben solche Ambivalenz als gefährlich an, damit würde man das Geschäft der Rechten machen: „Solche Texte machen rechte Verschwörungstheorien salonfähig.“

Prantl weiter: „Wenn ich so formuliere, wirke ich mit, ich erwecke den Anschein, da wird der grenzlosen Einwanderung Tür und Tor geöffnet, das stimmt schlichtweg nicht.“ Nein, wie perfide Prantl hier agiert, muss nicht näher erklärt werden. Wenn der Journalist seine Sicht der Dinge absolut setzt und andere Auffassungen inklusive die von Poschardt kurzerhand und mindestens zu so etwas, wie Steigbügelhaltern rechter, rechtsradikaler oder rechtspopulistischer Verschwörungstheorien macht, dann schießt sich Prantl damit abschließend aus dem Orbit der Redlichen. Und den Journalismus gleich mit, der sich nicht mehr mit unterschiedlichen Sichtweisen auf einen komplexen Gegenstand beschäftigt, sondern nur noch mit der Verdammnis jener, die der Regierungslinie nicht folgen.

Die Süddeutsche ginge damit anders um, lobt Kulturzeit unverdrossen weiter, die Zeitung würde ihren Lesern erklären, dass der UN-Migrationspakt eine gut gemeinte Absichtserklärung sei. Das soll nun Journalismus sein bei SüZ und 3sat? Wohl doch viel mehr von Prantl bis hinüber in die TV-Redaktion eine schallende Ohrfeige für alle redlichen Kollegen, die ihren Job noch im Wortsinne gewissenhaft erledigen wollen. Prantl möchte nicht mitwirken an der Verstörung der Bürger, indem er den UN-Migrationspakt für suspekt erklärt. Aber woran wirkt er dann automatisch mit? Prantl versteht offensichtlich nicht einmal, was er da betreibt, wessen Geschäft er da macht. Journalismus als schriftlich verabreichter Baldrian? Eine wunderbare Vorstellung, die das Ende des klassischen Journalismus markiert.

Schlusssatz der Redaktion von 3sat Kulturzeit: „Der Migrationspakt spaltet Deutschland. Und den Journalismus.“ Nun, man hätte auch formulieren können: Der journalistische Umgang mit dem Migrationspakt trennt die Spreu vom Weizen. Die Unredlichen von den Redlichen.  Die Unaufrichtigen von den Aufrichtigen. Den über wichtige Fragen war der Journalismus notwendigerweise immer gespalten. Erst neuerdings wird die Einheitsmeinung wieder als Erfolg gefeiert.

Und was bleibt bisweilen übrig, wenn es um Kultursendungen der Öffentlich-Rechtlichen geht? Vielleicht diese unterhaltsame wie aufregende Kultursendung „Tracks“ auf Arte, oder etwas unspektakulärer und unaufgeregter „Kunst und Krempel“ beim Bayrischen Rundfunk. Fernsehzuschauer können hier Antiquitäten kostenlos von renommierten Kunsthistorikern bewerten lassen. Aber auch hier könnten demnächst Wolken am Horizont aufziehen, dann, wenn Politik sich nach historischem Vorbild auch noch der Geschichtsschreibung bemächtigt. Dann nämlich wären auch Historiker gefragt, neue Lesarten opportun zu transportieren oder eben auch bei so einer harmlosen Sendung in Misskredit zu geraten.

Abschließend bleibt zu fragen, warum in den Öffentlich-Rechtlichen ein ausführliches Gespräch mit dem Völkerrechtler Reinhard Merkel erst nach Marrakesch geführt wurde, in dem sozusagen Merkel gegen Merkel die Kritiker des UN-Migrationspaktes mehr recht bekommen als jene, die die Kritiker der Verschwörungstheorie bezichtigen.


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