Wie bereits beim Berliner Wahl-Skandal, belegt die Berichterstattung von Tichys Einblick zu den Twitter-Files, dass selbst öffentlich-schweigsame Medien bewegt werden können. Und sei es nur um deren schnelle Eingreiftruppe, die Faktenfinder-Feuerwehr, zu aktivieren, um den Verschwörungsideologen doch bitte irgendwas entgegenzusetzen.
Genau das hat der hauseigene Fakten(er)finder der ARD dann auch getan, wobei er der üblichen Projektion eigener Methoden und Ideologien auf die Gegenseite erlag, als er mehrere Bekannte aus der progressiven Berliner Blase herbei rief, die ihm mit unterschiedlichen Formulierungen bestätigten, es handle sich bei den Twitter-Files um „nichts Neues“. Ironischerweise war aber genau diese Relativierung nichts Neues, hatten doch Spiegel und Süddeutsche genau das bereits im Dezember geschrieben.
Doch der Reihe nach: Bis vor kurzem wurde eine Suche auf der Seite der Tagesschau nach dem Begriff „Twitter-Files“ noch mit gähnender Leere beantwortet. Dann aber berichtete Tichys Einblick über das große Schweigen von Tagesschau & Co. Auch die Welt widmete sich am selben Tag dem Thema. Angesichts der großen Resonanz der lesenden Bevölkerung konnte die Tagesschau offenbar kaum umhin, sich der Sache doch endlich anzunehmen, sie „einzuordnen“, wie Floskelwolken-affine Journalisten es nennen würden.
Dafür gibt es einen Mann fürs Grobe, einen Problemlöser: den Faktenfinder (bis heute nicht gegendert, na, na). Dass der Begriff selbst manipulativ eine Objektivität suggeriert, die nicht einlösbar ist und lediglich der Stützung des eigenen Autoritätsanspruchs dient, sei erstmal außen vorgelassen, auch wenn mittlerweile selbst Facebook vor Gericht zu Protokoll gab, dass „Faktenprüfer“ eigentlich auch nur Meinungen vertreten.
Der ARD-Faktenfinder Pascal Siggelkow sollte sich also des Themas annehmen und die Sache ins passende Licht setzen. Dazu brauchte er aber Unterstützung, Fachleute, die ihm das bestätigten, was er ohnehin schon wusste. Ein Auge zudrücken muss man, wie sich zeigen wird, dann lediglich bei dem Absatz, in dem ein „Experte“ Musk beschuldigt, die Twitter-Files nur solchen Journalisten zugespielt zu haben, die „seine Ansichten teilen“.
Siggelkow machte vor, wie es besser geht, also „faktenfindiger“. Die drei „Experten“, die er sich ins Boot holt, um mit dem Verschwörungskram aufzuräumen, repräsentieren die Meinungsvielfalt der öffentlich-rechtlichen Gesellschaft und haben garantiert nichts mit Siggelkows eigener Meinung gemein.
„Nichts Neues“ von Musk-Kritikerin im Vollzeitjob
Die erste „Expertin“ ist Katja Muñoz, Research Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). 1955 gegründet, ist die DGAP laut Eigendefinition „parteipolitisch unabhängig“, berät „Verantwortliche in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft“ und bildet „künftige Entscheiderinnen und Entscheider in internationalen Leadership-Programmen aus“.
Wirft man einen Blick auf die Großsponsoren der DGAP, dann scheinen dort neben dem Auswärtigen Amt, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie dem Bundesministerium der Verteidigung unter anderem auch die Europäische Kommission, die Open Society Foundations von George Soros und Dr. Arend Oetker, seines Zeichens ehemaliger Präsident der DGAP sowie Vorstandsvorsitzender der Atlantik-Brücke und Mitglied der Trilateralen Kommission, auf.
Das Profil von Katja Muñoz auf der Seite der DGAP zeigt, dass sie sich schon lange hauptberuflich an Elon Musk abarbeitet. Zitiert wurde sie unter anderem im November 2022 in einem französischen Artikel mit der Überschrift „Elon Musk, Joker im internationalen Schlamassel“, außerdem veröffentlichte sie für die DGAP einen Kommentar, in dem sie Musk einer „absolutistischen Ideologie der freien Meinungsäußerung“ beschuldigte und eindringlich davor warnte, die EU müsse doch dringend Regularien einführen, um ein unkontrolliertes Twitter im EU-Raum zu verhindern.
Solchermaßen als Expertin geadelt, erklärt Muñoz nun den Tagesschau-Lesern die Twitter-Files: „Inhaltlich bringen sie kaum neue Erkenntnisse. Das Meiste ist schon lange bekannt.“ Wie bereits der Spiegel im Dezember berufen sich alle Experten der Tagesschau auf die Ansicht, es handle sich nicht um politische Selektion, sondern um das Aussieben falscher Informationen. Alles steht und fällt mit der beanspruchten Deutungshoheit darüber, was legitime Meinung ist und was nicht. Im Übrigen regieren verzweifelte semantische Spitzfindigkeiten, wenn Muñoz – wie bereits der Spiegel zuvor – weiß, dass Elon Musk zwar versprochen hatte, die Einmischung der Regierung offenzulegen, Joe Biden damals aber noch gar nicht in der Regierung war. Einfach oft genug wiederholen, dann klingt es auch plausibel, zumindest fürs Tagesschau-Publikum.
Die Tagesschau lobt auch die Tatsache, dass die Sperre der Geschichte um Hunter Bidens Laptop ja wieder aufgehoben wurde und sich der damalige Twitter-Chef Jack Dorsey sogar dafür entschuldigt hatte. Dabei unterschlägt sie das kleine, aber wichtige Detail, dass dies erst nach der US-Wahl geschah. Ebensowenig erwähnt die Tagesschau, wie sie noch im Dezember Zeter und Mordio schrie, als Elon Musk kurzzeitig einige Journalisten sperrte, die den Aufenthaltsort seines Privatjets teilten, hier aber die Unterdrückung einer journalistischen Enthüllung bis nach einer Wahl mit einem achselzuckenden „er hat sich ja entschuldigt“ abtut.
Muñoz lobt auch die Tatsache, dass man angeblich erkenne, wie „hitzig“ die Maßnahmen unter Twitter-Mitarbeitern diskutiert wurden. Dass diese Diskussionen meistens nicht aus prinzipieller Ablehnung der Eingriffe, sondern aus Verunsicherung über die Frage, wie weit man gehen dürfe, entstanden, wird von der Tagesschau zum Gegenbeweis uminterpretiert, der den Vorwurf der politisch-selektiven Einflussnahme vom Tisch wischen soll.
Die „wenig verwunderlichen“ Eingriffe der Geheimdienste
Doch Siggelkow hat noch weitere Asse im Ärmel. Als zweite „Expertin“ wurde Mareile Ihde, Leiterin Digitale Kommunikation beim politischen Beratungsnetzwerk polisphere, gebeten. Das wiederum „überparteiliche“ – ein Code für „wir haben auch jemanden, der mit der FDP sympathisiert“ – Beratungsnetzwerk polisphere listet auf seiner Webseite drei Projekte als Beispiele seiner Tätigkeit, von dem eines in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt und ein anderes in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung, also der parteinahen Stiftung der Grünen, entstanden ist.
Der Geschäftsführer von polisphere baute vor seiner Übernahme von polisphere bis 2018 den „sozialliberalen Think Tank“ Das Progressive Zentrum auf. Die Startseite des progressiven Zentrums begrüßt einen mit einem Bild der Führungsriege der Ampelregierung und der Überschrift „Progressives Regieren“. Da ist Überparteilichkeit und Unabhängigkeit eigentlich schon garantiert.
Der Erkenntnisgewinn der Twitter-Files sei „überschaubar“, entsprechende Moderation sei „logisch“, so Frau Ihde. Selbst die Tatsache, dass große soziale Netzwerke mit Geheimdiensten in Kontakt stünden, sei „wenig verwunderlich“, ebenso wie die Unterdrückung sogenannter „Desinformation“ (auch wenn sie von anerkannten Virologen stammt) zur Corona-Pandemie, die „nachvollziehbar“ sei.
Später bietet Ihle aber doch noch ein wenig mehr „Einordnung“ darüber, was man sich unter Elon Musks politischer Einstellung vorzustellen habe: „Musks politische Positionierung ist ja eigentlich relativ deutlich – von der rechteren libertären bis hin zur rechtsextremen und verschwörungsideologischen Ecke.“ Da hätten Matt Taibbi, der einst politische Verstrickungen von Goldman Sachs mit beiden amerikanischen Großparteien offen legte, und die jüdische Ex-New-York-Times-Journalistin Bari Weiss wohl besser erst mit Mareile Ihde sprechen sollen, bevor sie sich auf eine Zusammenarbeit mit Musk einlassen. Ihde kann aber noch mehr einordnen: „Die Veröffentlichungen passen in sein Weltbild, dass die Regierungen hinter verschlossenen Türen irgendwelche heimlichen Absprachen treffen. Er stützt damit die Narrative vieler Verschwörungserzählungen, die in den USA kursieren.“
Damit wird der intellektuellen Trapezakt vollbracht, die Veröffentlichungen auf Basis dessen zu diskreditieren, dass sie vermeintliche Verschwörungstheorien bestätigen. Nicht die Tatsache, dass diese Dinge stattfinden, ist das Problem, sondern dass die politisch Unliebsamen mit der Veröffentlichung Recht behalten.
Ein Hauch legitimer Kritik und das ideologische Rückzugsgefecht der Tagesschau
Der dritte „Experte“ im Bunde ist Miro Dittrich, Senior Researcher bei CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie). „CeMAS bündelt als gemeinnützige Organisation interdisziplinäre Expertise zu Themen wie Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Rechtsextremismus“, liest man auf der Webseite. Die Publikationen von CeMAS handeln von pro-russischen Verschwörungserzählungen, militantem rechtsextremen Akzelerationismus, u. Ä. Finanziert wird das CeMAS von der Alfred Landecker Stiftung, deren CEO Lena Altman, unter anderem „Young Leader“ der Atlantik-Brücke, ist und in deren Stiftungsrat auch der ehemalige grüne Außenminister Joschka Fischer sitzt.
Der geneigte Tagesschau-Leser erfährt von Dittrich, dass der Vorwurf des Shadow-Banning (also der unangekündigten Einschränkung der Reichweite) vor allem in konservativen Kreisen kursiert. Dabei gibt es sowas gar nicht, erläutert Dittrich, die Algorithmen filtern nur nach Verstößen gegen die Richtlinien. „Die Marker sind aber nicht politische Überzeugungen,“ so Dittrich, „es sei denn, man zählt Verschwörungserzählungen wie die gestohlenen Wahlen dazu.“ Aha. Warum wurden dann aber nicht die Verschwörungstheorien über die russische Einflussnahme auf die Wahl Trumps unterdrückt? Im Gegensatz zur Behauptung, unliebsame Meinungen würden unterdrückt, haben sich diese nämlich nie bewahrheitet.
Dabei hätte Musk selbst mit seinem Versprechen, es würde „freedom of speech, but not freedom of reach“ geben, potenzielle Reichweiteneinschränkungen in den Raum gestellt. Dass wir uns hier tatsächlich einem grundlegenden Problem der Forderung nach uneingeschränkter Meinungsäußerung annähern, wird aber nicht weiter thematisiert. Der Rechtsextremismusexperte und seine Faktenfreunde sind schon weiter. Bei ihnen herrscht nicht nur Einigkeit darüber, dass Einschränkungen notwendig sind, sondern sogar schon darüber, welche genau. Dittrich bezeichnet die Twitter-Files als „politische Kampagne“ und meint, die Journalisten würden „PR für Musk“ machen. Gut, dass man ähnliche Vorwürfe gegen die staatlich finanzierten Faktengeneratoren und ihre Experten nicht erheben kann.
Lediglich über die von Dittrich aufgegriffene Forderung Jack Dorseys, nicht nur ausgewählte, sondern alle Twitter-Files ungefiltert zu veröffentlichen, ließe sich debattieren. Allerdings widerspricht dieser Wunsch nach Aufklärung der bisherigen Linie weiter Teile der Medien, die bislang alle unliebsamen Leaks, seien sie von Snowden, Assange, Project Veritas, von einem der elektronischen Spielzeuge Hunter Bidens, oder eben von Musk persönlich, unterdrückt haben. So erscheint diese Forderung wie ein letzter Strohhalm in der Hoffnung, es würde sich doch noch ein gegenteiliges Bild der medialen Unternehmenskultur bei Twitter offenbaren, einer Unternehmenskultur, die Bände spricht, nicht nur über das Silicon Valley, sondern auch über die Redaktionen deutscher Leitmedien.
Der plumpe Versuch der Tagesschau, mittels politisch willfähriger Stichwortgeber einerseits die Kritik an der Funkstille über die Twitter-Files verstummen zu lassen und andererseits eben diese Twitter-Files mit einer Mischung aus Hochmut, Gleichgültigkeit und politisch-ideologischer Standortbestimmung zu diffamieren, ist eine journalistische Bankrotterklärung.
Es ist das stille Eingeständnis, dass man die von den Twitter-Files offengelegten Verhältnisse eigentlich goutiert, sowie eine nervöse Reaktion auf den von jüngeren Medien wie Tichys Einblick erzeugten öffentlichen Druck, der die Betriebstemperatur in den Schreibstuben der öffentlich-rechtlichen Medien – trotz Thermostaten auf 18 Grad – stetig ansteigen lässt.
Schon seit Jahren flieht sich der öffentlich-rechtliche Leviathan in den Elfenbeinturm der Deutungshoheit zurück, von dem aus er mit Begriffen wie „Fake News“, „Verschwörungstheorie“ und „Faktenfinder“ versucht, die Deutungshoheit über den öffentlichen Diskurs aufrechtzuerhalten. Zuletzt mit immer bemerkenswerteren Verrenkungen.