Tichys Einblick
Joe Biden wählt X

Twitter alias X ist zäher als deutsche Kulturschaffende

Ausgerechnet auf Twitter alias X hat US-Präsident Joe Biden sein politisches Aus verkündet. Jene Plattform, von der deutsche Journalisten und Kulturschaffende so beharrlich behaupten, sie sei tot. Jetzt hilft ihnen nur noch ein Verbot.

picture alliance / ZUMAPRESS.com | Andre M. Chang

Bürger der DDR haben ein gewisses Talent darin entwickelt, das Neue Deutschland richtig zu lesen. Sie wussten, die Leerstellen und Umschreibungen richtig zu deuten, die in dem Parteiorgan das mit Abstand Spannendste waren. Bürger der vereinten BRD entwickeln dieses Talent mittlerweile auch. Etwa, wenn sie den Deutschlandfunk hören. Der berichtet am Montagmorgen, kurz vor 7 Uhr, dass US-Präsident Joe Biden seinen Verzicht auf eine weitere Kandidatur erklärt hat. Und zwar auf einem sozialen Netzwerk. Den Namen des Netzwerks nennt der Deutschlandfunk nicht, aber der talentierte Hörer kennt ihn trotzdem: Es muss sich um X – früher Twitter handeln -, was sich dann nach Recherche auch als richtig erweist.

Montagmorgen, noch nicht einmal 7 Uhr und du musst X als Quelle nennen. Für einen Redakteur des Deutschlandfunks ist da schon die ganze Woche im A…imer: Dein ganzes Leben verbringst du als Meister der Ordnung und Hüter der einzigen Wahrheit damit, die Hörer vor diesem Hort des Bösen zu warnen. Diesem Point Zero des rechten Hasses. Heimat der Fake News – und jetzt musst du zugeben, dass du als Öffentlich-Rechtlicher auch nicht mehr weißt, als Biden auf X geschrieben hat.

Dabei sollte es Twitter alias X eigentlich nicht mehr geben. Zumindest wäre dem so, wenn die „Qualitätsmedien“ zur Abwechslung mal recht hätten. Doch was „ein soziales Netzwerk“ betrifft, liegen sie wie gehabt daneben. Eine kleine, erlesene Auswahl von Schlagzeilen gefällig? Der Tagesspiegel ist gut darin, Nachrichten exklusiv zu haben, die SPD-Funktionäre gerne veröffentlicht sehen. Zu „einem sozialen Netzwerk“ schreibt der Tagesspiegel vor drei Wochen „Twitter ist tot, die Konkurrenz schwächelt“. Schon blöd, wenn man jetzt einer Leiche Informationen entnehmen muss.

Aber der Tagesspiegel ist nicht alleine. Bei weitem nicht. Die Frankfurter Rundschau fragt sich am 25. Oktober 2023 „warum der baldige Tod von Twitter ein Grund zur Freude ist“. Der Social Media Watchblog geht am 8. August 2023 einen Schritt weiter und fragt „Twitter ist tot. Und was jetzt?“ Und selbst Uebermedien, der Olymp der Einordnungs-Götter, fragt am 14. April 2023 „wird Twitter denn nun sterben – und wenn ja, woran?“ Doch sind das alles private Medien. Abhängig von der Jagd nach billigen Klicks im Internet. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist darüber doch erhaben? Ähhmmm, nein. „Twitter unter Elon Musk. Eine Plattform im Niedergang“, schreibt am 26. Oktober 2023 der Bayerische Rundfunk.

Nun können selbst „Qualitätsmedien“ nicht permanent den Tod von jemandem verkünden, der sich beharrlich weigert, tatsächlich zu sterben. Also sind auch die Meldungen beliebt, wer alles zu Mastodon oder Blue Sky wechselt. So titelt das ZDF am 6. Oktober 2023: „Außenministerin geht zu Bluesky, Baerbock im Himmel.“ Dass eine Politikerin sich einen Account in „einem sozialen Netzwerk“ anlegt, ist dem Staatsfernsehen eine eigene Schlagzeile wert. Andererseits ist das Schminken von Annalena Baerbock (Grüne) auf vorzeigbar auch eine staatliche Aufgabe, die den Steuerzahler Unsummen kostet.

Das ZDF ist nahezu besessen davon, die Deutschen wissen zu lassen, welcher Prominente X verlässt. Am 2. Februar 2024 titelt das Staatsfernsehen „Kritik wegen Desinformationen, SPD zieht sich von Twitter zurück“. Zuvor war schon Parteichefin Saskia Esken gegangen – und trotzdem will „ein soziales Netzwerk“ einfach nicht sterben. Zeit-Online lässt am 11. Oktober 2023 wissen: „Blue Sky: Ihr findet mich drüben“. Spannend zu wissen, wo man die Zeit und ihre Brüder im Geist so findet. Blöd halt nur, dass sie keiner sucht.

Trotzdem lieben die „Qualitätsmedien“ X-Dissidenten. Man kann nicht unbedeutend genug sein, um mit dem demonstrativen Verlassen des Netzwerks nicht doch auf Schlagzeilen zu hoffen. So hat CompGen der Plattform den Rücken zugekehrt, ebenso wie Bag If, SLUB Dresden, Stephan Weil, Correctiv, TraCe, X-It oder DJB. Wer das alles ist? Keine Ahnung. Da müsste man mal einen Anthropologen fragen. Oder einen Archäologen? Jedenfalls jemanden, mit einer Vorliebe für skurille Sammlungen.

Nachdem Elon Musk Twitter gekauft hatte, riefen deutsche Kulturschaffende dazu auf, die Plattform zu verlassen. Erst sollten sie zu Mastodon wechseln. Dann zu Blue Sky. Um seine Mastodon-Accounts zu bespielen, warb ZDF-Aktivist Jan Böhmermann sogar eigens Personal an. Gut. Ist ja nur Gebührengeld, davon kann das ZDF ja jederzeit mehr erzwingen. Doch bei diesen Werbeaktionen der deutschen Kulturschaffenden hatten sie das gleiche Problem wie sie selbst: Sie mögen zwar gut darin sein, sich von staatlichem Geld teuer bezahlen zu lassen – aber niemand, der bei Verstand ist, verfolgt freiwillig ihre Arbeit.

So bleiben Journalisten, Kulturschaffende und grün-rote Politiker auf den genannten Plattformen unter sich. Dort führen sie kritische Diskussionen darüber, dass Deutschland einfach noch nicht grün genug ist, Autofahren Mord und Wirtschaft böse. Wie gemein die Rechten sind und wie überlegen sie selbst. Aber dass die Menschen vor Ort das nicht wüssten, weil Hass und Hetze, Fake News und so weiter, ihre Sinne vernebelten.

Der letzte Absatz ist eine ironische Zuspitzung. Doch enthält diese einen ernsten, realen Kern. Die Pressefreiheit ist in Deutschland nicht erst seit dem Compact-Verbot in Gefahr. Besonders die Grünen sprechen offen darüber, Kritik an den Grünen zu verbieten, die sie „Hass und Hetze“ nennen. Um den Bürger zu belügen. Vor allem aber, um sich selbst zu belügen. In ihrer Selbstwahrnehmung könnten sich die Grünen selbst nicht ertragen, wenn sie sich als Gegner der Pressefreiheit erkennen würden. Da klingt es viel verträglicher zu sagen, man kämpfe ja schließlich gegen Hass und Hetze.

So wie Jan Philipp Albrecht. Der war „Minister für Energiewende“ in Schleswig-Holstein und ist jetzt Chef der grünnahen Heinrich-Böll-Stiftung. Er warf X vor „Desinformation und Hassrede“ zu verbreiten und forderte die EU-Kommission unverhohlen dazu auf, X zu verbieten. Es wäre spannend gewesen zu erleben, was der Autor von „Entfernung von der Truppe“ jemandem geantwortet hätte, der in seinem Namen das Verbot eines Mediums fordert.

Die EU kommt Albrecht auf ihre Weise entgegen. Die Union hat ein Verfahren gestartet, an dessen Ende X eine millionenschwere Strafe droht. Weil der „Blaue Haken“ in die Irre führe. Da könnten Nutzer denken, so die EU, dass dahinter verifizierte Accounts steckten. Das will die Bürokraten-Hochburg Brüssel sich mit Millionen bezahlen lassen. Nicht um eine Plattform vom Markt zu drängen, über die auch kritische Beiträge verbreitet werden können. Sondern um Irreführungen zu vermeiden. Ehrlich. Ein dreifacher Schwur auf die Integrität von Ursula von der Leyen (CDU) – und auf ihre politische Erfolgsbilanz.

Gefordert hat Albrecht das Twitter-Verbot übrigens über Twitter. Bigott schreibt sich mit G in der Mitte, G wie Grüne. Aber auf Mastodon oder Blue Sky kann er es nicht fordern. Also schon. Aber es würde keiner hören. Keiner, der sich in der Berliner Blase diese Forderung nicht schon mal beim siebten Bier gegenseitig zugerülpst hätte. Das wahre Leben spielt sich auf X ab. Joe Biden ist bei weitem nicht der Einzige, der wichtige Nachrichten über das soziale Netzwerk lanciert. Wie wichtig diese Plattform ist, kann jeder selbst testen, indem er in dem Medium seiner Wahl mitzählt, wie oft das X als Quelle für eine Nachricht verwendet.

Also fordert Albrecht das Twitter-Verbot auf Twitter. Was bleibt ihm übrig? So lange X noch erlaubt ist und nicht durch die Einheitszeitung ersetzt wurde, in der nichts mehr steht, was die einen als Kritik an den Grünen und die anderen als Hass und Hetze lesen würden. Das Talent, das Ungeschriebene zu lesen, müssten die Bürger der BRD dann massiv ausbauen.

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