Fake News oder Desinformation? Es gibt einen Grund, warum sich die Medien beim ersten Begriff unwohl fühlen. Denn Fake News können alle liefern. Als Donald Trump der CNN nicht nur vorwarf, Fake News zu verbreiten, sondern Fake News zu sein („You’re Fake News!“) geriet etwas in Schieflage. Ein Vorwurf, der bis dato nur unliebsame Mitbewerber der ideologisch Rechten traf, etwa die New York Post oder Breitbart, kam nun als zurückgeschleudertes Wurfgeschoss zurück. Und es schlug wie eine Bombe im linksliberalen Journalismus ein.
Das Vorgeplänkel ist keine historische Anekdote. Sie veranschaulicht, dass die Medien nicht nur ihre Deutungshoheit, sondern auch ihre Schlüsselbegriffe verlieren können. Der Kampf um die Sprache ist international. Und den Medien war bis dahin wichtig gewesen: Donald Trump ist der Herr der Lügen. Doch den Begriff Fake News hatte sich nun auch die politische Rechte erobert. Es sollte deswegen nicht verwundern, warum sowohl Politiker wie auch der Verfassungsschutz und auch die DPA in ihrem jüngsten Projekt den Kampfbegriff „Desinformation“ so stark ins Feld führen.
„Desinformation“ und „Delegtimierung“ gehen bekanntlich für Nancy Faeser und Thomas Haldenwang Hand-in-Hand. Besonders jetzt, in Zeiten einer fortschrittlichen KI, in der Bilder, Stimmen und Videos täuschend echt hergestellt werden können. X-User kennen bereits die Politiker-Videos, in denen die gegenwärtige Satire-Ikone Snicklink Annalena Baebrock und Robert Habeck manchmal täuschend echte Wortbausteine in den Mund schiebt. Manche waren so gut, dass man sie für real hielt. Seitdem gibt es auch einen Satire-Hinweis am Bildschirmrand. Für die moralisch beherzten, aber verstandesgemäß weniger gut ausgestatteten X-Benutzer freilich auch Instrumente der Desinformation und Hetze, weil selbst das Signet „Satire“ nur Augenwischerei ist.
Während Bundesinnenministerium, Bundesverfassungsschutz und DPA über den mannigfaltigen Einsatz von modernster Technologie, von Bot-Armeen, Russen-Propaganda, engagierten Trollen und Deep-Fakes obsessieren, hat der real-existierende Wald-und-Wiesen-Journalismus alter Schule dagegen gezeigt: es geht auch einfach mit Papier, Kleber und Schere wie im 19. Jahrhundert. Alles, was man dazu braucht: Aussagen aus dem Zusammenhang reißen. Nicht mehr, nicht weniger.
So geschehen beim jüngsten „Skandal“ um Donald Trump. Diesseits wie jenseits des Teichs hysterisierten die Medien eine Story zurecht, die es tatsächlich nie gegeben hat. So machte die ehemals ehrwürdige New York Times mit der Schlagzeile auf: „Trump behauptet, dass Migranten ‚keine Leute‘ seien und sagt ein ‚Blutbad‘ voraus, wenn er verliert“.
Man kann diese Schlagzeile als Blaupause für alle Nachfolgeschlagzeilen nehmen, die national wie international ihren Weg in die Medien fanden. Übrig blieb: Trump, der schlechte Verlierer, sagt ein Blutbad voraus, wenn er nicht gewinnt. So las man es von der Süddeutschen Zeitung, bei t-online und Zeit bis zur BILD. Das ZDF setzte die Aussage in den Zusammenhang eines „Säbelrasselns“, weshalb der unbedarfte Leser sich sogar an Kriegstreiberei erinnert fühlen durfte; der Merkur fügte hinzu, nach Trumps Ansage sei das Team „eingeschritten“. Und die Frankfurter Rundschau erklärte: „Trump droht mit „Blutbad“ – Republikaner halten trotzdem zu ihm“. Auch im österreichischen Fernsehen ORF „drohte“ Trump mit dem Blutbad.
Wie gut wäre es, nun eine vertrauliche, unabhängige Rechercheplattform zu haben, die möglicherweise mit einer Untersuchung – nennen wir sie „Faktencheck“ – herausfinden könnte, was an dieser Aussage richtig ist, um den Millionen von Lesern Halt zu geben. Freilich: wenn sie auf Correctiv am Montagmittag nachschauten, ob das Portal die Sache schon aufgedeckt hat, dann findet sich in der Suchoption nichts. Aber nach Aussage des Gründers David Schraven hatte damals ja auch Hillary Clinton die US-Wahlen 2016 gewonnen.
Mittlerweile hat es sich herumgesprochen: Trumps Aussage wurde aus dem Kontext gelöst. In Wirklichkeit sagte der Präsidentschaftskandidat:
„Wir werden einen hundertprozentigen Zoll auf jedes einzelne Auto erheben, das über die Grenze kommt, und Sie werden nicht in der Lage sein, diese Autos zu verkaufen, wenn ich gewählt werde“, sagte Trump bei einer Kundgebung in Vandalia, Ohio. „Wenn ich nicht gewählt werde, wird es ein Blutbad für die ganze Welt geben – das ist noch das geringste Problem. Es wird ein Blutbad für das Land sein.“
„Blood bath“, so kann man in manchem Wörterbuch lesen, ist eine durchaus gängige Metapher für ein ökonomisches Desaster. Ob aus Sensationslust, aus Dämonisierung, oder auch nur aus Faulheit und Kopierlust – die meisten Medien scheuten sich nicht, zu suggerieren, der Ex-Präsident beschwöre einen Bürgerkrieg nach der Wahl hinauf. Es ist nicht das erste Mal, dass Trumps Aussagen verzerrt, aufgebauscht und aus dem Kontext gerissen werden. Schon im ersten Präsidentschaftswahlkampf hatte der als „notorische Lügner“ verschriene Trump Gegenspieler, die es mit der so hochgepriesenen Wahrheit ebenso wenig genau waren – was nicht zuletzt eines der Erfolgsrezepte Trumps war.
Auffällig ist aber nicht nur der aus dem Kontext gerissene Satz; sondern auch die in den Kontext fallende Berichterstattung. Die Bundesinnenministerin sieht im Relotius-Land einen dringenden Zensurbedarf, um Falschinformationen einzuschränken. Doch massenweise falsche Informationen verbreiten nicht Reichsbürger oder Schülerinnen, die aus ihren Klassen abgeführt werden. Es sind ausgerechnet die „Qualitätsmedien“ selbst, die sich von den neuen Medien dadurch abgrenzen wollen, dass ihre Qualitätskontrollen, ihre Dokumentationszentren, ihre „Faktenchecks“ die einzig gültigen seien, und dass es ausgerechnet sie sind, die gegen die Desinformationskampagnen politischer wie journalistischer Gegner ankämpften.
Die „Blutbad“-Geschichte gehört deswegen in einen Rahmen: nämlich in den Rahmen der deutschen Medien und Politik, die sehr genau festlegen wollen, was wahr, was falsch sein darf. Nachdem sich am Sonntagabend auch in den deutschen Redaktionen herumgesprochen hatte, dass Trumps Aussage eine andere gewesen war, ruderten viele Medien nur halbherzig zurück. In vielen Fällen wurden die Schlagzeilen entdramatisiert, die Kernaussage blieb dennoch hängen.
Der Medieninformatiker Florian Gallwitz hat das herbeiphantasierte Spektakel vom 17. März dabei konzise zusammengefasst. „Die ‚Blutbad‘-Geschichte ist wieder ein schönes Beispiel, wie sich Fake News tatsächlich verbreitet“, schrieb er auf Twitter. „Es sind nicht die ‚Bots‘. Es ist Dummheit und Ignoranz in Verbindung mit großer Reichweite. Es sind Journalisten und Aktivisten.“ Inwiefern Vorsatz dahinter stecke, kommentierte Gallwitz, dass Dummheit und Vorsatz im Einzelfall „schwer auseinanderzuhalten“ sei.
Das hat aber die deutschen Medien, die so gerne Wahlkampf in den USA betreiben, nicht davon abgehalten, durch politische Kommentare noch eins draufzusetzen. So schrieb die Süddeutsche Zeitung etwa, dass diese Aussage den Rest der Republikaner „wachrütteln“ sollte. Jetzt also erst recht: wenn diese verbohrten Republikaner nicht unsere Fake News überzeugen, was denn sonst noch?
Was bleibt: die Erkenntnis, dass es keine manipulierten Hochglanzfotos oder Stimmenimitationen, nicht einmal Putins gefürchtete Trollarmee für Desinformation im großen Stil braucht. Im Zweifel reichen Schere und Kleber wie in einem alten 1984-Film. Und dass nach dem vereitelten Reichsbürgerputsch, den Aufschrei über ein Schülerpamphlet und die Hysterie über einen dünnen „Geheimplan“-Artikel die deutsche Gesellschaft durch angebliche Aufklärung selbstberufener „wahrer Medien“ eben nicht besser wird. Sie wird, im Gegenteil, schlechter.