Vergessen Sie bitte für den Moment alle Talkshows-Tiefpunkte des Öffentlichen-Rechtlichen Fernsehens, die wir Ihnen hier schon seit Jahren Woche für Woche vorstellen. Geschätzt behandelten Dreiviertel dieser Sendungen von Will, Plasberg, Maischberger und Illner Zuwanderung, Migration und Integration. In diesen Zeiten unerschöpfliche Themen. Dringende. Themen, bei denen viele endlich Antworten erwarten. Aber es kommen keine.
Moderation und Gäste dringen nicht dorthin vor, wo das Herz schlägt. Wo Integration mal nicht theoretisch oder ideologisch verhandelt wird, sondern wo Betroffene zu Wort kommen oder nur Integration aus sich heraus abbilden. Wo Misserfolge wie Erfolge präsentiert werden: Geschichten, die nicht alleine dafür da sind, Mut zu machen oder falsche Erwartungen zu eliminieren, sondern solche die aus den Wohnvierteln kommen. Eben mitten aus dem Leben.
Nun haben ausgerechnet die privaten Fernsehsender Pro7 und Sat1 einen solchen Moment abgeliefert, der rough war im Sinne von ehrlich, basisch. Die Rede ist von The Voice of Germany und dem Auftritt einer bisher unauffälligen, ganz normalen türkischstämmigen jungen Frau, die in Deutschland geboren wurde. Filiz Arslan heißt die 20-Jährige aus Ensdorf bei Saarbrücken. Sie ist Telekom-Auszubildende als Kauffrau im Dialogmarketing. „Zu Hause sprechen wir türkisch, aber ansonsten bin ich vollkommen deutsch“, lächelt die sympathische Filiz in die Kameras für den kurzen Trailer, der jedem Auftritt vorangestellt ist. Singen gelernt hat sie „im Schulchor in der Grundschule und als Sängerin in der Schulband.“
Und was die Bewerberin um The Voice of Germany dann in fast heiterer Ernsthaftigkeit erzählt, muss man einfach mal im Originalton durchlaufen lassen:
„Ich persönlich finde es nicht so schön, dass in anderen türkischen Familien die Mädchen nicht so viel dürfen. Weil es dann oft darauf hinausläuft, dass die Mädchen dann irgendetwas verheimlichen. Was das angeht, sind meine Eltern sehr modern. Ich darf auch relativ viel. Ich würde mir wünschen, dass die anderen türkischen Mädchen genau die Freiheiten bekommen, die ich auch zu Hause bekomme.“
Üblich in der Sendung (siebte Staffel) ist eine kurze Sequenz mit der Familie und/oder Freunden, die zum Daumendrücken mitgekommen sind. Idee ist wohl, im Vorhinein noch etwas Privates zu erfahren, zu schauen, wie die Kandidaten so mit ihren Leuten umgehen. Jetzt könnte man bei dieser Gelegenheit eine Inszenierung annehmen. Lassen wir diesen Gedanken aber einfach mal beiseite. Denn was dann passierte zwischen Tochter Filiz und ihrer sie begleitenden Mutter hat das Potenzial, sich weit über dieses Format hinauszulehnen. Ein intensiver Moment voller Herzlichkeit, der haften bleibt. Ja, man kann es kitschig nennen, was Filiz da an ihre Mutter gewandt erzählt. Was man nicht sollte, ist, diesem kurzen Zwiegespräch seine Authentizität aberkennen.
Deshalb noch einmal im O-Ton der emotional bewegten Filiz Arslan: „Mama, ich bin Dir und Papa echt so dankbar, dass ihr mich bis zu diesem Tag gebracht habt. Und dass ihr mir diese ganzen Freiheiten bis heute einfach gegeben habt.“, dabei fächert sie sich mit der Hand Luft zu um die Emotionen ein bisschen runter zu kühlen. Umarmung.
Etwas später Mutter Makbule Arslan in die Kamera: „Mit irgendwelchen Verboten erreiche ich nicht, dass sie stark ist für die Welt oder dass sie ein Selbstbewusstsein erlangt, worauf wir eigentlich hinarbeiten als Eltern.“ So warmherzig, so simpel, so wunderbar.
Filiz kommt eine Runde weiter mit dem von ihr vorgetragenem Song „Doppelleben“ von Elif Demirezer. Ein kraftvolles Klagelied einer türkischen Tochter an ihre Eltern, die eben nicht so denken, wie die Eltern von Filiz. Und da spürt man dann erst, wie schwer diese Integration sein muss, dort, wo noch in ihrer eigenen Kultur verhaftete Eltern ihre Kinder in Deutschland erziehen und für das Leben in diesem Land fit machen müssen.
Kurz noch zu diesen speziellen TV-Formaten. Sicher hat auch Voice of Germany seine fragwürdigen Privatfernsehmomente. Auch diese Sendung folgt einer Inszenierung. Aber sie hat nur noch wenig zu tun mit diesen Folge für Folge immer nur noch abgeschmackter abgespulten Dieter-Bohlen-Contests mit maximalen Fremdschämfaktor.
Und wenn sich Filiz über ihren Sieg freut, die Arme ausbreitet, sich feiern lässt vom Publikum, das ihr das breiteste Lächeln aufs Gesicht zaubert – das hat schon was. Herrje, was kann denn für so eine junge Frau schöner sein? Nun kann man über solche Formate die Nase rümpfen. Über diese Präsentation von internationalen und deutschen Popsongs. Man könnte das Geschäft dahinter wittern.
Man kann es aber auch einfach mal lassen und sich auf den dargebotenen Moment konzentrieren, der geeignet scheint, diese ganzen pseudoaufklärerischen stundenlangen Talkgewitter der Öffentlich-Rechtlichen in den Schatten zu stellen. Dafür reichen fünf Minuten Privatfernsehen. Ein Bekenntnis zu unserer Kultur. Ganz unkompliziert ohne die vielen mit Wenn und Aber behafteten. Einer deutschen Kultur, die nicht immer einfach zu nehmen ist. Eine 20-Jährige Deutsche mit türkischstämmigen Eltern zeigt, wie es geht. A Voice of Germany.