Tichys Einblick
Same, same but different

Tatort „Schattenleben“: Gewohnte Publikumsserziehung nun mit Quote

Es reicht nicht mehr, wenn der Tatort mit den so gewohnten Klischees flimmert: links alles gut, rechts alles böse, Polizisten super-böse. Neuerdings folgen Crew und Besetzung einem Konzept aus Hollywood, dem sogenannten "Inclusion Rider" - Weiße sind, wenn nicht böse, dann aber mindestens verdächtig, besonders wenn sie nicht LGBTQ+ sind.

Screenprint: ARD/Tatort Schattenleben

Böse Zungen behaupten schon seit Langem, dass ARD und ZDF die Krimisparte zum Transport politischer Botschaften nutzen. Nun ist es offiziell: Der sog. „Inclusion Rider“ kommt „für mehr Vielfalt“: (auf der ARD Website) bei NDR und Wüste Medien erstmalig zum Einsatz. „Die Initiative kam von Regisseurin Mia Spengler. Ziel des aus Hollywood stammenden Konzepts ist eine möglichst vielfältige Besetzung von Stab und Cast…“, denn man glaube, so NDR Fernsehfilm-Chef Ganderath „…an die Vielfalt im Ganzen und unterstütze daher sehr gern den Inclusion Rider bei dieser Produktion… das solle zeigen, dass man als Kreative Verantwortung übernehme, ihre Branche chancengerecht, inklusiv und pluralistisch zu gestalten.“

17 Prozent der an diesem „Tatort“ beteiligten Menschen seien „BIPoC, also Black, Indigenous und People of Colour.“ Nun hat man sich bei dem „Hamburger“ Fall der Kommissare Julia Grosz (Franzsika Weisz) und Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) auch noch ein besonders heisses Eisen gegriffen, nämlich linksextremistische Anschläge, die hier aus dem Kreis der linksextremen Frauen-Szene, die lesbisch, non-binär, intersexuell, trans- oder agender ist (Im Fachjargon: „Flinta“) heraus verübt werden – sollen-. Ganz nebenbei wird so nicht nur an die bürgerkriegsähnlichen Unruhen anlässlich des G20-Gipfels 2017 in der Hansestadt angeknüpft (für TE schrieben Bettina Röhl und Tomas Spahn darüber), die während der Amtszeit des damaligen ersten Bürgermeisters Olaf Scholz stattfanden, sondern auch an eine für die Hamburger Behörden unrühmlich ausgegangene, offenbar mit gleich drei verdeckten Ermittlerinnen besetzte Bespitzelungsaktion im linken Szenetreff „Rote Flora“ (hier der Artikel der taz dazu).

Beim Tatort lernt man auch ohne „Inklusion-Rider“, wie die Rollen verteilt sein müssen

Nach dem Brandanschlag auf das Privathaus eines Polizisten („ACAB“-Graffiti auf dem Gehweg) ermittelt ein Staatsschutzbeamter, mit dem Appetit auf Wildschweinbraten weckenden Namen Hartmut Keiler (Christian Kerepeszki). Wie die beiden Kommissare finden, gehen dessen Verdächtigungen recht einseitig in Richtung der linksautonomen Szene, die sich in Form des „Flinta“ Wohnprojekts in unmittelbarer Nachbarschaft des Tatorts befand.

Keiler wird als Unsympath dargestellt, der mit vollem Munde spricht, und um seine Abneigung gegen gendergerechtes Sprechen jedem unmissverständlich klar zu machen, grinsend betont, mit „ErmittlerInnen“ nach „IntensivtäterInnen“ zu suchen. Ausserdem wird er von seiner eigenen Kaffeemaschine ausgetrickst und kocht einen Muckefuck, serviert ohne Untertasse, bei dem der Kollegin von der Bundespolizei Speiübel wird. Sein besserwisserischer Versuch, das Kürzel „Flinta“ zu erklären, wird von ihr mit dem Kommentar unterbrochen, dass doch „die Szene uns allen ein Begriff sei“. Kollege Falke sieht eine Urheberschaft von Linksextremer Seite skeptisch, denn bei Anschlägen auf „Zivilfahrzeuge von Kollegen“ sollte „normalerweise nur das Auto brennen“, ausserdem seien da „zwei Mollies…in Hansa-Bierflaschen…mit „übertrieben viel“ Brandbeschleuniger geworfen worden..und bei den Linken sei „der Bekennerbrief immer schon am nächsten Morgen da“. Falke ist Experte für diese Szene, wo er „noch Leute kenne“. Bereits im letzten unter der Regie von Mia Spengler gedrehten Hamburger Tatort „Goldene Zeiten“ wurde von seiner Vergangenheit als Türsteher auf St. Pauli erzählt, „impulsiv und mit einem proletarischen Gestus, den er von seinem Vater und Großvater geerbt hat, die beide als Hafenarbeiter in der Hamburger Arbeiterbewegung aktiv waren“ (ARD).

Als Kollegin Grosz dann kurz nach dem Brandanschlag (Beschreibung bei „swr3“: „Bei einer politisch motivierten Aktion gerät ein Haus in Brand.“) einen mysteriösen Telefonanruf ihrer früheren Flamme Ela Erol (Elisa Hofmann) bekommt, die als verdeckte Ermittlerin des LKA die bereits erwähnte feministische Flinta-WG infiltrierte, um dann spurlos zu verschwinden, begibt sie sich unter falscher Identität in derselben Rolle in „das hedonistisch-freiheitliche Milieu“ (ARD), wo ihre Freundin allem Anschein nach Herz und Loyalität zum Dienst verloren hatte.

Stockholm-Syndrom?

In dem illegalen, weil nicht richterlich angeordneten Sucheinsatz wird Heimliches an die Oberfläche gespült: eine heisse Affäre mit der Kommilitonin Ela an der Polizeischule, wo sich beide knutschend in Uniform auf der Liegewiese filmen. Franziska Weisz über ihre Rolle bei der ARD: „Grosz möchte dazugehören, aber natürlich ist sie in diesem Milieu ein Fremdkörper. Als Polizistin hat sie eben immer auf der anderen Seite gestanden. Wenn sie in Uniform mit der Hundertschaft im Einsatz war, wurde sie von der linksextremen Szene angefeindet und vom Schwarzen Block mit Flaschen oder Steinen eingedeckt. Doch schaut man hinter die Fassaden, hat man es auf beiden Seiten mit Individuen zu tun. Grosz fühlt sich diesen Frauen zugehörig, genießt das Zusammensein und gewinnt ihr Vertrauen, die Grosz ihre Gefühle, Träume und Ziele offenbaren.“ Und die Polizistin schlüpft nicht ohne ein wohliges Schaudern in die (Weisz über ihre Verkleidung) „obligatorischer Bomberjacke und schweren Stiefeln… der linksautonome Dress folgt gewissen Codes und ist auch eine Art Uniform, um nach außen zu demonstrieren, wir bilden eine Front. Allerdings bemerke ich hier deutlich mehr Abwechslung als im rechten Milieu.“ Drehbuchautorin Lena Fakler bei der ARD über ihren Film, in Anspielung auf die Hamburger Bespitzelungsaktion: „Wie ist es zu erklären, dass diese jungen Frauen, die aus dem hierarchischen Polizeisystem kommen, in die linke Szene eintauchen und sich darin total verlieren? Warum sind sie intime Beziehungen eingegangen? Um bessere Ergebnisse zu erzielen, oder haben sie Gefallen an dieser Welt gefunden, die so ganz anders ist als der Polizeiapparat?“

Der Zuschauer erfährt anlässlich des Besuchs Falkes bei seinem Kontaktmann, einem linken Imbissbudenbesitzer, dass veganer Labskaus 4,90 Euro kostet, Laktosefrei 30 Cents mehr, und dass ein schöner Apfelkuchen auf dem Tresen und Punkrock im Hintergrund „Legal – illegal – scheissegal“ einander nicht ausschliessen müssen. Vielleicht ist das der Grund, warum der Imbiss-Informant nicht so mit den Frauen aus der Flinta-Gruppe kann, die aus einer „ganz anderen linken Ecke“ kämen und „ja nur Frauen seien… die er zwar kenne, aber nicht wirklich möge, denn da werfe man ihm nach zwanzig Jahren Aktivismus vor ein Sexist zu sein“. Kommissar Thomas Okonjo (Jonathan Kwesi Aikins) wird zu dem Brandanschlags – Ermittlungen von Falke hinzugezogen, als, wie er sich selbst sieht „einziger schwarzer Polizist in 200 km Umkreis“.

Vom Guten zum Bösen ist es ein kurzer Weg

Er sei mit dem Familienvater Bastian Huber (Robert Höller), dessen Haus angezündet wurde, früher bei der Bereitschaftspolizei gewesen. Und obwohl es aus Okonjos Sicht nur „Rassistische und Gewalttätige Polizisten, sowie die, die Wegschauen würden“ gebe, unterhält er ein freundschaftliches Verhältnis zu dem Anschlagsopfer, der „ein Guter“ sei… der ihn „wesentlich besser als einige Andere bei der Polizei behandelt hätte…“ Falke besucht Huber mit Okonjo zum Verhör, liest vorher noch seine Akte, aus der hervorgeht, dass es eine interne Untersuchung wegen Polizeigewalt gegen ihn gegeben habe: „ob es wohl bei Festnahmen ein paarmal eskaliert sei…?“ Huber darauf: „Irgend so ein Scheiss-Drogendealer wollte mit Samthandschuhen verhaftet werden !“ Die Kommissare sind sich jetzt sicher: Bei Huber, der überdurchschnittlich oft gegen Festgenommene Anzeige erstattet habe, handle es sich um „den Klassiker: bei der Festnahme draufhauen, und wenn es Verletzungen gibt, dann Anzeige gegen sie erstatten, weil sie sich angeblich gewehrt hätten.“ Okonjo wütend: „Ehre, Zusammenhalt, Loyalität, eine Scheisse ist das, die Kollegen decken sich gegenseitig..“ Huber wird mit Fotos von bei Festnahmen Verletzten konfrontiert und gefragt, ob es sich bei dem Anschlag nicht um eine Revanche handeln könne, oder so?“ Jeder Dritte von Huber‘s Festgenommenen, so schlussfolgen die Ermittler, „habe wahrscheinlich schon mal darüber nachgedacht, dem das Haus abzufackeln.“

Nach diesen Verdächtigungen werden sich die Polizisten nicht mehr grün, Hubers Frau verstirbt an ihren während des Brandes erlittenen Verletzungen, Okonjo und Falke werden schliesslich als „Kollegenschweine“ bezeichnet und bei der Trauerfeier aus der Kapelle geworfen.

Der Tatort kommt nicht ohne eine Reihe ganz dicker Seitenhiebe auf die Polizei aus, denn „wie unschuldig können Bullen denn schon sein…?“ wie Nana Leopold (Gina Haller) in Anspielung auf den Personenschaden bei dem Brandanschlag fragt. Deren Flinta-WG hatte gerade eine (von Keiler angeordnete) Hausdurchsuchung („Hausi“) wegen „dem Brandanschlag auf den Bullen…haben natürlich nichts gefunden, die Idioten…wir sind eine absolut gewaltfreie Gemeinschaft, mit Gästezimmern für Geflüchtete und Frauen, die Opfer männlicher Gewalt geworden sind…“. Doch so sehr der Tatort bemüht ist, die linksautonome Szene als bunte aber friedfertige Sammlung romantisch denkender Träumer darzustellen, die Selbstverteidigungskurse anbieten und Cafés betreiben, so nachhaltig zerstört Nana, die Ex-Geliebte der verschwundenen Undercover-Ermittlerin Ela dieses Bild. Nicht nur, dass sie bewaffnet mit einer Revolverattrappe in das Haus des verdächtigen Ex-Mannes von Ela Erol in Pinneberg einbricht, dass Sie Drogen nimmt und unter aggressiven Anfällen leidet, sie ist auch noch notorisch eifersüchtig und besitzergreifend. Als die wahre Identität von HK Groz auffliegt und klar wird, dass auch Ela ein Polizeispitzel ist, lässt Nana ihrer Enttäuschung freien Lauf: „.. die Liebe ihres Lebens sitze in einem Scheiss-Einfamilienhaus in Pinneberg, mit HSV-Flagge…“ Und zu guter Letzt wird die enttarnte Kommissarin Grosz am hellen Tag auf offener Strasse von Vermummten zusammengeschlagen und -getreten. Welcher politischen Couleur diese angehören, bleibt aber unklar.

Filmkritik-Papst Rainer Tittelbach hätte sich noch mehr Klarheit beim Thema Polizeigewalt gewünscht: „Okonjo weiß schon dank seiner Hautfarbe um die rassistischen, gewaltbereiten Kreise innerhalb des Apparats. Kleiner Wehmutstropfen: Während das Drehbuch von Lena Fakler dem linken Milieu an verschiedenen Schauplätzen nachspürt, wird der Korpsgeist bei der Polizei zwar behauptet, aber nicht ausgebaut. Über die Alleinstellung Falkes und die Erfahrungen Okonjos hinaus bleiben die „gewaltbereiten Bullen“ von der Straße weitgehend unsichtbar. Es gibt ein Opfer und einen Täter. Der Spannung hätte es gutgetan, auch dieser Seite mit weiteren Gesichtern und (Hintergrund)-Szenen mehr Gewicht zu geben.“

„Schattenleben“, so darf man zusammenfassend sagen, hat den gewaltbereiten Bullen schon ausreichend Aufmerksamkeit gewidmet. Kommissarin Julia Grosz muss unter ihrer neuen Identität sogar so weit gehen, Brandanschläge auf „Bullen“ zu rechtfertigen: „Wo gehobelt wird, fallen halt Späne“. Es ergeht ihr wie ihrer Jugendliebe Ela, die, so Drehbuchautorin Fakler „bei diesen Frauen etwas, was sie tief berührt, findet: Nähe und Freundschaft. Umso mehr wächst ihr schlechtes Gewissen, als Grosz erkennt, was ihre Freundin und sie selber (die Undercover-Bullen, Anm.) anrichten, wenn sie in die Privatsphären der Menschen eindringen und mit ihnen spielen. Für meine Geschichte war es wichtig, dass Grosz diesen Weg nachgeht und sich für einen Moment in dieser Solidarität und der Lebensfreude verliert.“

Die Aufklärung des Falles ist schließlich kein grosses Kunststück mehr: Der Ex-Mann von Ela Errol, wie sie Polizist, drehte anlässlich der Trennung und des Auszugs seiner Frau aus seinem „engen bürgerlichen Gefängnis“ (Elisabeth Hoffmann) in Richtung grosse Freiheit durch und brachte sie um. Er zündete das Haus von Kollege Huber an, um den Verdacht auf Nana und deren WG zu lenken. Hernach betonierte er die Leiche im selbstgebauten Pool – zu nachlässig – ein. Kommissar Falke lässt sich noch übertölpeln, der Täter wird im letzten Moment von Grosz gestoppt, die mit Nana am Tatort eintrifft.

Die ARD, das merkt man gleich, hat in diesem Kriminalfilm zum ganz grossen Wurf ausgeholt, will in 90 Minuten nicht zuletzt mit Hilfe der neuen Anweisung eine Reihe von stereotypen Sichtweisen demaskieren, Vorurteile entkräften und neue Horizonte eröffnen. Die Regie weiß instinktiv, wie der Zuschauer auf der jeweiligen Seite des politischen Grabens tickt und welche Schlüsse er ziehen wird. So meint man mit dem Tatort nicht nur die traditionelle Rollen- und Arbeitsteilung vor und hinter der Kamera, sondern auch in den Köpfen der Krimifans aufmischen zu können. Und gibt es da nicht diese Polizeigewalt, diese rechten Umtriebe? Da muss etwas hängenbleiben, im Bewusstsein der Zuseher und an der Polizei, die Brandanschläge offenbar pauschal immer aus der linken Ecke kommen sieht.

Die altbekannte Rezept, man nehme eine Melange aus Empörung einerseits und echtem Interesse andererseits und rühre alles 90 Minuten, bescherten dem Tatort „Schattenleben“ starke Einschaltquoten:

Einer der erfolgreichsten Tatort-Regisseure, Tom Bohn, hat sich gerade bei der Neuen Züricher Zeitung kritisch zu den Methoden geäussert, mit denen in Deutschland Krimis gedreht würden.Ihm sei „… auch politisch… reingeredet worden…eine Geschichte über Flüchtlingshelfer in Afrika und Dealer im Görlitzer Park habe ihm vorgeschwebt… er sei damit aber nicht durchgekommen…“ denn man könne solche Themen „… falsch verstehen. Es könnte den Rechtsradikalen zuspielen…“ Zwar habe Bohn zum Thema „..Flüchtlingshelfer ausgiebige Recherche gemacht: Was ist das für ein Geschäft, wer verdient alles mit in Deutschland…“ Da man aber für einen solchen Film einen „öffentlichrechtlichen Sender brauche, und keiner den Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit riskieren will … es könnte missverstanden werden,… nicht so, wie es die politische Korrektheit erfordere…“, könne man daraus derzeit nicht mal einen Spielfilm machen. Eigentlich, so Bohn weiter, „müsste man einmal einen Kommissar haben, der bei seinen Kollegen offen zugibt, die AfD zu wählen … eine perfekte «Tatort»-Konstellation: Ein latent fremdenfeindlicher, das Gendern hassender Hauptkommissar, der politisch rechtsaußen steht und im Team mit einer sozial engagierten, ökologischen Kommissarin zusammenarbeiten muss, die ihm das Leben zur Hölle macht … die Kommissarin stelle ich mir vor als einen straighten Kracher wie unsere Aussenministerin. Die zwei beharken sich persönlich, schätzen sich aber klammheimlich im Dienst und sind miteinander sehr erfolgreich. Was man da erzählerisch alles für Möglichkeiten hätte! Ich habe es einmal vorgeschlagen bei einem Sender, was denken Sie, was da los war?“

NZZ: „Dabei wäre dieser «Tatort» bestimmt ein Hit.“

Bohn: „Natürlich wäre das ein Hit. Aber es traut sich niemand.“

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