Tichys Einblick
DEFA-Film 2.0

Tatort mit Sonnenwende: Tochter des Nazi-Bauern liebt Flüchtling

Diese Volkserziehung haben die Programmmacher des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu verantworten, die Realität nicht mehr abbilden wollen, sondern eine Idee davon entwickelt zu haben scheinen, wie negative Realität am Besten aussehen soll.

Screenshot ARD

Regisseur Umut Dağ könnte man als den Fatih Akin Österreichs bezeichnen. Nur eben runtergedampft auf Alpenformat. Denn während Akin gerade mit einem Drama zu den NSU-Morden denkbar knapp am Oscar-Olymp vorbeirauschte, ist Dağ beim bundesdeutschen Tatort angekommen mit einer Folge der Serie, die in einer deutschen Ökobauern-Szene spielt. Wie bei Akin Bestseller stehen auch bei Dağs Tatort heimliche Nazis im Mittelpunkt. Titel der Folge: „Sonnenwende“.

Nun ist das bäuerliche Landleben der Mega-Trend unserer Tage. Die Lebensstil-Zeitschrift „Landlust“ schlägt alle Auflagenrekorde, Bio-Lebensmittel sind längst in allen Supermärkten zu finden und bilden ab, wonach sich viele Menschen sehnen: das Glück und die Ernte einer unentfremdeten Arbeit. Der unerfüllte Wunsch nach einer erdverbundenen Lebensweise. Selbst dann, wenn doch längst jeder weiß: Leben auf dem Lande ist alles andere als eine tägliche dionysische Feier.

Rezensent Julian Vetten schrieb vorab für  n-tv über den Tatort „Sonnenwende“:  „In ihrem zweiten Fall ermitteln die Schwarzwälder Kommissare auf einem völkischen Biobauernhof. Klingt komisch, ist aber so – und gar nicht so weit von der Realität entfernt.“. Ist das der Fingerzeig ins sachsen-anhaltinische Schnellroda zu Götz Kubitschek, zum bekennenden Vordenker der neuen Rechten, der dort samt Großfamilie auf einem bäuerlichen Rittergut lebt? Kubitschek hält sich ein paar Ziegen im Stall, deren Milch zu Käse wird und die Zungen des deutschen Feuilletons regelmäßig in Verzückungen versetzt. Die Frankfurter Allgemeine war mal dort zum Abendessen und schrieb auf, was sie zu sehen und zu essen bekamen und was Umut Dağ anschließend inspiriert und Drehbuchschreiber Patrick Brunken gegoogelt haben könnte:

„Also hockt Kubitschek da, im Stall, und lässt die Ziegenmilch vom Euter in den Kochtopf spritzen, damit seine nach den Helden germanischer Sagen benannten Kinder sie am nächsten Morgen über ihr Müsli schütten können. Auch beim Abendessen steht selbstgemachter Ziegenkäse auf dem Tisch, daneben Brot, Wurst, Butter und Bier für die Eltern. (…) Die Holzdecke und die breiten Dielen sind mehrere Jahrhunderte alt, durch die Sprossenfenster fällt ein Abendlicht, das lange Schatten wirft. (…) Kubitschek setzt sich zum Essen und fordert eines der Kinder auf, einen Tischspruch zu sprechen, dem die Familie mit gesenktem Haupt lauscht.“ Schaurig schön will das klingen. Später am Abend nachdem der Ziegenkäse gegessen ist, legt sich Dunkelheit über Schnellroda. Und „statt Bier aus einem Barbarossa-Humpen gibt es nun Rotwein“ für die staunenden Großstadtjournalisten.

Na klar, dass sind Bilder, deren einzelne Elemente beispielsweise auch auf jedem linken Ökobauernhof im Wendtland serviert werden. Dort, wo die eingesessenen Bauern keinen Atommüll wollten und schon in den 1970ern ins linke Lager überliefen. Aber was der rechte Hobby-Landwirt Kubitschek anbietet, ist ja cineastisch viel aufregender, weil es ganz ohne importierte Indianerweisheiten und dampfende Ohrenkerzen nach dem Brechen des Vollkornbrotes auskommen will. Und weil es stattdessen die Scholle an sich diskutiert, den Moment, wenn sich der den Acker nach rechts wendende Pflug tief in den deutschen Boden gräbt. Die Grünen hatten sich schon um 1980 von den rechten Umweltschützern in ihren eigenen Reihen getrennt, als Leute wie Herbert Gruhl und Baldur Springmann der Partei den Rücken kehrten.

Jetzt hat es Götz Kubitschek also über einen österreichischen Regisseur mit kurdischen Wurzeln auch noch in den deutschen Tatort geschafft. Schauen wir mal, wie das geworden ist. Wie sich das anfühlt, wenn gewissermaßen die Glyphosat-Gegner von heute auf ihrem Acker noch mal nachgesiebt werden: Die rechten ins Kröpfchen, die linken ins Töpfchen. Die falschen Bio-Deutschen werden in neunzig Minuten von den richtigen Bio-Deutschen getrennt. Und es gibt Tote.

Im Black-Forrest-Tatort ermitteln Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) und Franziska Tobler (Eva Löbau). Und weil das seit Schimanski bei fast jedem Tatort so ist, sind Kommissar und Verdächtige miteinander verbandelt, man kennt sich aus Kindertagen, auch der Kommissar ist mit Schwarzwälder Kirschtorte gepäppelt worden. Was ist passiert? Eine Bauerstochter ist gestorben. Möglicherweise eine Diabetesfehlbehandlung, lautet die erste Diagnose. Weil Schulmedizin abgelehnt wurde? Das erinnert dann wieder an das prominente Schicksal der krebserkrankten Olivia: Ihre Eltern waren in den 1990er Jahren besessen von einer germanischen Heilkunde https://www.germanische-heilkunde.at/startseite.html , glaubten an einen rechten Wunderheiler und flohen mit dem Kind mit unbehandeltem Tumor im Bauch durch halb Europa. https://www.abendblatt.de/archiv/2001/article204904899/Das-Krebskind-das-fliehen-musste.html Oliva wurde in letzter Minute nach Sorgerechtsentzug schulmedizinisch notoperiert und überlebte. Aber wie sich später noch herausstellt, die falsche Fährte. Es ist also viel versteckt in diesem Tatort.

Realität und Fiktion. Letztere beginnt wie gewohnt um 20:15 Uhr nach der Tagesschau und vor Anne Will. Aber die pausiert am Muttertag, also keine Gesprächsrunde über eine neue Gefahr im Gemüse, wenn man den politischen Hintergrund des Bio-Lieferanten nicht kennt oder etwa eine Sendung darüber, warum Penny zukünftig einen Persilschein mit auf die Apfeltüten kleben sollte, der das Obst als selbstverständlich von linken Qualitätshöfen und nicht von ideologisch kontaminierten Nazibaumplantage kommend kennzeichnet.

Früher hieß es Tatort. Es gab Tote, Täter und Ermittler. Der Mörder war selten der Gärtner. Ist der Tatort zum volkserzieherischen Politkrimi im Ersten verkommen? Schauen wir mal, was stimmt.

Die blondbezopfte Sonnhild stirbt im Kiefernbett, der Hund bellt, der blonde Recke im Norwegerpullover entfernt sich in die dunkle Nacht, letzter Blick am Bauernhaus hinauf zum Zimmer, dann zieht Nebel auf über den schwarzwälder Tannenwipfeln.

„Das sind ja echt Hardcore-Ökos, keine Handys, kein Computer.“, sagt die Kommissarin vom Hof kommend. „Sind halt konsequent“, sagt der Kommissar, der hier selbst aufgewachsen ist, einen Hof geerbt und diesen nun irgendwie neben dem Job bewahren will. Ach ja: Die Tote war schwanger.

„Wir haben eine neue Willkommensklasse an der Schule“, sagt die Lehrerin der Toten und ihrer Geschwister. Die Schüler sollten etwa dazu malen. Sie zeigt ein Bild eines der jüngeren Brüder der Toten. Flüchtlingsboote und ein Wikingerschiff. „Wikinger retten Flüchtlinge?“, fragt die Kommissarin. „Nein, sie ertränken sie, um uns Deutsche vor ihnen zu schützen.“, erzählt die Lehrerin düster im „O-Ton“ des Kindes.

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Der Kommissar will rumänische Erntehelfer für sein reifes Obst engagieren. Der Vater der Toten, Bauer Böttger,  weiß aber: „Land und Leute gehören zusammen.“ Gemeinsam sitzt man auf einer Bank mit Blick ins Tal. Böttger wird’s also regeln. Und er regelt es mit einer mehrstimmigen Gesangsszene, wie adaptiert aus der berühmten Biergartenszene in Cabaret, „Der morgige Tag ist mein.“ Deutsche Kultur kontaminiert und also unter Verdacht. Und die Kommissarin weiß schon mehr: Eine Neonazi-Truppe hat auch die Finger im Spiel, der Verfassungsschutz involviert, die Sache stinkt, die ganze Deutschtümelei stinkt. Aber der Kommissar ist noch zu tief verwurzelt im eigenen Deutschsein, riecht den Braten leider noch nicht. Eben doch ein dummer Blut-und-Boden-Bauernsohn geblieben?

„Was muss man eigentlich bei Dir machen, um eine Chance zu bekommen, im Schlauchboot übers Mittelmeer kommen oder was?“, blafft der Kommissar die Kollegin an, als diese sich darüber aufregt, das der die Böttgers samt angeblichem Freund der Toten, einem aktenkundigen Nazi, als Erntehelfer eingesetzt hat. Die Kommissarin geht wortlos ab. Hier hilft kein Reden mehr. Dass der Nazi auch V-Mann ist, erfährt zunächst nur der Zuschauer. Gezeigt wird der blonde Recke, wie er nach einem Gespräch in der dunklen Edelkarosse des Verfassungsschutzbeamten unterm Jägerstand wieder im dunklen deutschen Wald verschwindet. Klischeeterror im Frontalangriff.

Ja, man ahnt es, man weiß es schon. Dann verschafft ein Handy-Video Gewissheit: Der Vater des ungeborenen Kindes ist ein Flüchtling! Wir halten fest, was wir bis hierher wissen: Die Nazi-Tochter wird vom V-Mann-Nazi-Ex-Freund ermordet, weil ihr neuer Freund ein Zugewanderter ist.

Dann die nächtliche Nazi-Sonnenwende-Beerdigung auf der Ahnenstätte Irminsul: Es geht kaum dicker, Nazi-Kitsch pur. Aber dick muss hir wohl aufgetragen werden, denn jetzt werden dem Kommissar die Augen geöffnet: Doch nichts mit Tradition des Bäuerlichen, sondern alle Tradition nur mehr flüchtlingsfeindlicher Nazikram.

„Umvolkung!“, schreit Nazi-Vollbart-Böttger wie ein umgekehrter Taliban in den Nachthimmel. „Das ist Sven und seine Kameraden aus Niedersachsen. Und das da drüben, das ist Gerwald mit seiner Sippe aus Bayern. Wie die, stehen viele bereit und sie brauchen Raum für ihre jungen wachsenden Familien.“, stellt Böttger dem Kommissar wie in einer Art Germanen-Trance die Beerdigungsgäste vor. Ein Thing sei geplant, ein erstes großes Vernetzungstreffen.

Der Staatsschutz schmeißt den Reißwolf an. „Die schützen ihre V-Männer.“, weiß wieder Komissarin Franziska Tobler. „Das Kind war von diesem Scheiß-Kanaken!“, heult der Nazi Mechthild vor, der jüngeren Schwester der Toten. „Ich habe die Filme gesehen, sie war so glücklich.“, wirft Mechthild noch zaghaft ein. Der deutsche Artgläubige und Neonazi küsst das Mädchen auf den Mund, damit sie auch das vergisst. Aber kann man den Tod einer Schwester vergessen, weil man vom Nazi geküsst wird, wie Dornröschen? Der Zuschauer darf hier hoffen und ahnen, was noch kommt.

Die Lehrerin wird geschnitten, überall nur Nazis, aber sie ringt sich durch und erzählt dem Kripo-Paar: „Diese Leute haben einen Plan. Sie lassen sich gezielt zu Erziehern, Sozialarbeitern, Lehrerinnen ausbilden und unterwandern dann Kitas und Jugendeinrichtungen und Schulen.“ Verdrehte Welt im Tatort. Ein  spiegelverkehrtes Abbild der Realität. Surreales Fernsehen zur besten Sendezeit. Eine erdrückende Dominanz linksideologischer Erziehungswissenschaften findet hier jedenfalls definitiv nicht statt. Gibt es nicht im Black-Forrest-Land. Hier erobern die Nazis die Republik über die Universitäten. Und die aufrechte linke Lehrerin wird zur Außenseiterin, zur weißen Schwarzwaldrose.

Dann wird die Minderjährige auf dem Schulhof heimlich ohne Elternanwesenheit verhört: „Ich mache mir große Sorgen, dass Dir auch noch was passiert, Du darfst dem Thorsten nicht vertrauen.“, sagt der unter dem Knarzen der germanischen Friedhofs-Irminsul vom Nazi-Bauern-Pathos geläuterte Kommissar.

„Das deutsche Mädel und der Kanake, das ist natürlich der totale Verrat an der Sippe!“, entfährt es der Kommissarin, als sie den Durchblick hat. „Das ist ein Hof ohne Knechte, also runter von meinem Land Du Knecht!“, herrscht der Blut-und-Boden-Bauer den Kommissar an. Ja, wir nähern uns dem Finale. Im Hintergrund auf einem Banner in Runenschrift an der Hof-Wand: „Boden und Blut – heilig gut“.

Schauspielerisch ist das alles übrigens ohne Tadel. Bauer und Kommissar in Bestbesetzung. Kamera, Set-Auswahl, alles gut. Und Fiktion ist nun Mal Fiktion. Alles darf, nichts muss. Und es passieren ja die seltsamsten Dinge. Wirklich? Denn was hier per Drehbuch zusammengemixt wurde, ist schon ein starkes Stück erfüllter Bildungsauftrag. Ein Drehbuch, wie diktiert aus dem Hause der Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration. DEFA-Film 2.0.  Da möchte man nicht einmal dem kurdisch-stämmigen Regisseur eine Mitschuld geben, er hat seine Regie-Arbeit ja gut gemacht.

Nein, wer diesen Plot zu verantworten hat, dass sind die Programmmacher des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Gebührenfinanzierte Fernsehmacher, die Realität nicht mehr abbilden wollen, sondern eine Idee davon entwickelt zu haben scheinen, wie Realität am Besten aussehen soll. Die Ursprungsidee des Tatort ging einmal so: „Die erzählten Geschichten sollen realitätsnah und vorstellbar sein. Diese beiden Aspekte gehören neben der gemeinsamen Gestaltung von Vor- und Abspann zu den wichtigen Klammerelementen, die die Tatort-Filmreihe definieren.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Tatort_%28Fernsehreihe%29

Doch, die Klammern sind noch vorhanden. Und durch Sprossenfenster fällt  sicher noch gelegentlich ein Abendlicht, das lange Schatten wirft. Aber dann darf man den Fernseher auch mal Fernseher sein lassen. Dann, wenn das Nahe liegende so unwirklich und fern erscheint.

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