Man stirbt nur zweimal: Wer bei diesem Titel ein Agentendrama à la James Bond erwartet hat, musste sich mit einem Indiana-Jones-Verschnitt (angeblicher Dschungelforscher Jonas Karl Prätorius, gespielt von Christian Erdmann) und dem Jagdeifer der beiden in die Jahre gekommenen Super-Ermittler Frank Thiel (Axel Prahl) und Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) trösten.
Nicht nur die Politiklandschaft wird durch den Abgang der sogenannten „Boomer“ immer öder, auch die Reihen der gestandenen Kriminalkommissare lichten sich und zum Vorschein kommen große Brachstellen. Wie verglühende Sternschnuppen leuchten noch einmal diejenigen heller, die sich über Jahre den Ruf von Authentizität und Unbestechlichkeit erarbeitet haben, wie zum Beispiel Borowski, Batic & Leitmayr, Murot, Eisner & Fellner, Ballauf & Schenk.
Kommissar Thiel und sein ständig überhebliches Pendant Professor Boerne gehören, auch wenn sie mit einem Ruhestand bis dato höchstens geliebäugelt haben, dazu. Die alten Münsteraner Zeiten können aber auch Rückgriffe auf den Charme einer 80er-Jahre-Villa (Wohnhaus des Ehepaars Prätorius, Haupt-Drehkulisse) und einer 70er-Jahre Luxuslimousine (Prof. Boerne im geborgten Mercedes 280 SEL) nicht zurückholen.
Die Schöne und das Biest
Jonas Karl Prätorius ist ein ausgesprochener Unsympath, („ein Vampir, der seine Frau ausgesaugt hat …“) und das liegt nicht daran, dass er qualmt. Der ehemalige Nachtwächter ohne Schulabschluss oder Ausbildung hat das Elternhaus seiner sympathischen Ehefrau Doreen (Cordelia Wege) bis zum geht-nicht-mehr beliehen und sich so getürkte Forschungsreisen in die Tropen finanziert.
Während er ihr vorlog, dort als Schatzsucher unterwegs zu sein, hat er einfach nur Urlaub gemacht und ihr Geld verjubelt. Die angeblichen Beweise und Zeugnisse seiner epochalen Forschungsergebnisse hat er sich in Andenkenläden zusammengekauft und damit das Anwesen vollgestellt. Auch die Beiträge für seine auf 3 Millionen lautende Lebensversicherung hat Doreen finanziert. Die soll sich nun für beide auszahlen.
Der tolle Plan
Jonas Karl soll auf einer seiner Reisen an den Rio Negro spurlos verschwinden, anschließend will man die Versicherungssumme abkassieren. Fast drei Jahre lang hat Doreen Justiz, Freunden und Familie das Drama der trauernden Ehefrau des verwegenen Abenteurers vorgespielt, während er sich im Keller versteckte. Sie hat für ihren geliebten Mann diese Tortur der ständigen Lügen durchgehalten, was Thiel, wenn auch aus den falschen Gründen, beeindruckt.
Dumm nur, dass genau im falschen Moment der treue Rechtsberater der angeblichen Witwe während ihrer Leidenszeit, Anwalt Oskar Weintraub (Nils Brunkhorst, mit frappierender Ähnlichkeit zum jungen J-J Liefers) durch Zufall in die Siegesfeier des Betrügerpärchens nach gewonnenem Prozess gegen den Lebensversicherer platzt.
Da er vom „integren, brillianten Schlage ist …, die selbst dem Fürsten der Finsternis in den A… treten würden“ (Staatsanwältin Wilhelmine Klemm gespielt von Mechthild Großmann, über ihn), durchblickt er sofort das Spiel der Prätorius’ und lehnt alle Bestechungsversuche ab. Jonas Karl schubst ihn über ein Geländer und er wird von der Lanze eines südamerikanischen Götzenbildes aufgespießt. Doreen muss nun eine weitere Lügengeschichte präsentieren, nämlich die von einer angeblichen Notwehr gegen eine Zudringlichkeit ihres Anwalts – was angesichts dessen, dass der mit seinem Anwalts- und auch Lebenspartner Collin Fiebler (Sebastian Kolb) zusammenwohnt, wenig glaubwürdig ist.
Hopp Hopp, Herr Professor, ihre Leiche wird kalt (Thiel am Tatort)
Es dauert eine Weile, bis Thiel und Boerne den Beiden auf die Schliche und wie gewohnt erstmal in die Bredouille (werden von Prätorius im Keller eingesperrt) kommen, aus der sie dann von Silke Haller „Alberich“ (ChrisTine Urspruch) und Assistent Mirko Schrader(chen) (Björn Meyer) befreit werden. Doreen greift ihrem übergriffigen Gatten ins Lenkrad des Fluchtwagens, er stirbt wie Anwalt Weintraub an einer schweren Thoraxperforation.
Tiefkühlpizzen und polizeiliche Akkukettensägen
Bemerkenswert war außer den üblichen Münsteraner Zoten die Tatsache, dass dort ein Hauptkommissarsgehalt offenbar für nicht mehr als eine selbstgestrickte Tiefkühlpizza „Hawaii“ (Thiel kippt Ananas aus der Dose darauf) zum Abendessen reicht, die Schutzpolizei hingegen über den Luxus einer eigenen Akkukettensäge verfügt (damit wird der unglückliche Anwalt Weintraub von der Lanze gesägt).
Wort zum Sonntag von Regisseurin Janis Rebecca Rattenni (aus dem ARD-Interview). ARD fragt: „Freiheit“ ist ein zentrales Thema in der Geschichte. Was wäre Ihre persönliche Definition von Freiheit? „Freiheit bedeutet für mich, die kleinen Dinge im Leben schätzen zu können, die wir oft als selbstverständlich ansehen: die Möglichkeit, jeden Tag selbst zu entscheiden, wie wir unser Leben gestalten, unsere Meinung frei zu äußern, und unseren eigenen Weg zu gehen. Diese alltäglichen Freiheiten sind etwas, das viele Menschen auf der Welt nicht erleben dürfen. Freiheit ist also nicht nur das große, abstrakte Konzept, sondern zeigt sich auch in den kleinen Momenten des Alltags – in dem, was wir tun, ohne Angst haben zu müssen, und in der Art, wie wir unser Leben selbstbestimmt leben können.“
Indianer sagt man nicht – „dann halt Winnetou“ (Thiel)
Nicht bekannt ist, ob die hier geäußerten Überzeugungen von Frau Ratteni der ARD Anlass zur Selbstreflexion gegeben haben. Der Sender hat mit schöner Regelmäßigkeit, und nun schon zum gefühlt fünften Male, einem homosexuellen Anwalt die Rolle des unschuldigen Opfers zugedacht und die Zuhörerschaft eines Vortrags von „Ka-Eff“ Boerne über „Versicherungsbetrug durch Selbstverstümmelung“ nach dem ihm ganz eigenen Proporz gestaltet.
Fernsehen nach Programm-Vorschrift, mag man meinen, was aber der Beliebtheit des Tatorts aus Münster (Zuschauerquote über 11 Millionen) nichts anhaben kann.