Tichys Einblick
Katz und Maus

Tatort Dresden: Maus sucht Rattenfänger im Elbflorenz

Was tun, wenn man meint, DAS Drehbuch für einen True-Crime-Thriller zusammen zu haben, aber Louisiana oder LA als Kulisse ausfallen? Man dreht einen Tatort in Dresden.

Screenprint: ARD / Tatort

Die gestresste Boulevard-Journalistin Brigitte Burkhard (Elisabeth Baulitz) fährt nach einem langen Arbeitstag aus der Tiefgarage und wird Opfer eines Entführers, der ihr vorspielt, sie habe ihn angefahren, nur um sie dann heimtückisch anzugreifen.

Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach) und seine besten Frauen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) werden vom Ultimatum, das sie von dem hinter einer Mäusemaske verborgenen Erpresser nun per Internetvideo gesetzt bekommen, völlig überrascht. Der spricht scheinbar wirres Zeug von 150 in Sachsen entführten Kindern und wartet mit Fotos der Verschwundenen und geheimnisvollen Blinksignalen auf. Nur 16 Stunden (24 abzüglich der 8 Stunden Nachtruhe) hat die Polizei jetzt noch, den Fall zu lösen, dann soll die Journalistin sterben.

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Eine unerfüllbare Aufgabe und ein noch größeres Rätsel, auf den das Drehbuch aber nicht weiter eingeht: 150 ungelöste Vermisstenfälle in Sachsen? Obwohl Schnabel skeptisch ist („das Internet macht die Menschen blöd“), produziert der „Schwarm“ der im Internet nun zu Werke gehenden Zeugen dieses makaberen Spektakels tatsächlich noch vor den Spezialisten der Polizei ein Resultat: Die Blinksignale der Maus sind ein Hinweis auf den scheinbaren Aufenthaltsort der verschwundenen Kinder, einem Schnellrestaurant ganz in der Nähe. Das SEK stürmt den Burger-Laden bei laufendem Betrieb, findet aber: nichts. Der Entführer quittiert diese Pleite mit der Hinrichtung seiner Geisel, wieder vor laufender Kamera.

Bei der Dresdner Polizei macht sich Verzweiflung breit, und Hauptkommissar Schnabel, eilt vom gerade noch auf der Türschwelle des Präsidiums gegebenen Pressestatement zur nächsten Würstchenbude. Dort schafft es der Entführer, nun auch ihn unentdeckt zu überwältigen (hier und auch beim Showdown am Ende sind eindeutige Schwächen in der Nahkampfausbildung der sächsischen Polizei erkennbar) und den Bewusstlosen in sein seltsam behaglich eingerichtetes (dezente Beleuchtung, Bilder und Stilmöbel) Geiselgefängnis zu schleppen.

Das neue Erpresservideo, wieder mit tickendem 24-Stunden-Ultimatum zur Befreiung der 150, angeblich von dunklen Mächten gekidnappten Kinder nutzt der schlaue Schnabel, um mittels Rüttelgeräuschen eine geheime Botschaft an seine Kolleginnen zu übermitteln. Aus dem drei Buchstaben umfassenden Signal (Klopfcode) folgern Gorniak und Winkler, dass es sich um den Mädchenamen „Zoe“ handeln muss. Da es ein Kind dieses Namens in der Liste der 150 nicht gibt, schließen die Polizistinnen, dass es einen weiteren, eng mit ihm selbst verbundenen Vermisstenfall geben muss, der den Entführer besonders anspornt, den er gerissenerweise aber nicht erwähnt hat, um nicht auf seine Identität hinzuweisen. Und Bingo!

Der Mann heißt Michael Sobotta (Hans Löw, schon bekannt als psychotischer Mörder aus dem Tatort Münster), und dessen Tochter Zoe (Alida Bohnen) verschwand in der Tat kurz vor ihrem 18. Geburtstag, bis auf einen Abschiedsbrief, in dem sie sich enttäuscht von ihrer Familie (speziell vom rabiaten Vater) lossagte, spurlos. Und da liegt nun der sprichwörtliche Hase (bzw. die Maus) im Pfeffer: Sobotta, als Prototyp eines prügelnden Mitt-Vierzigers in der Midlife-Krise dargestellt, glaubt nicht an die naheliegende Version, dass seine Tochter sich einfach mit ihrem Freund davongemacht hat. Für ihn, und den heranwachsenden Internet-Guru Holger Kirbach (Paul Ahrens) mit dem einprägsamen Logo der bis auf ihr Grinsen unsichtbaren Katze aus „Alice im Wunderland“ sind im Verborgenen aktive Mächte am Werk, eine Gruppe von Kinderschändern, die wie das Hamelner Pendant aus dem Märchen Kinder weglocken und heimlich versklaven.

20-jähriges Jubiläum des Tatorts aus Münster:
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Hier wuchert und wabert das Netz von Verschwörungstheorien und der Hass auf „die Anderen“. Insofern knüpft der Krimi nahtlos an die kürzlich bei TE kommentierten Klagen von Politikern und dem Staatsoberhaupt über den Mangel an „Gemeinschaftsgefühl“ in der Gesellschaft an. Leider versäumt es der Tatort, an passender Stelle anzumerken, welches Antidot es für solche und ähnliche Gifte gibt. Wenn man auf der Suche nach Verschwundenen, zum Beispiel verschwundenen Wählerstimmen ist, dann hilft ehrlicher, akribischer Journalismus, der am Ende den Fall vor einem ordentlichen Gericht zu einer befriedigenden Lösung bringen hilft.

Der unbarmherzig Sensations-Journalistinnen mordende Familienvater Sobotta glaubt an die Erzählungen aus seiner Internetblase, in der die Polizei nicht mehr für „das Volk“ arbeitet, und in der er auch den braven Schnabel, angekettet auf dem schmiede-eisernen Bettchen für einen Zombie aus irgendeiner feindlich gesinnten Traumfabrik hält. Da hilft es nicht, dass der ihm verzweifelt zuruft: „Ja sehen Sie denn nicht, was das für ein Blödsinn ist?“

Die sächsische Polizei sollte sich ernsthaft überlegen, ob sie ihre schmucken SEK-Leute weiter für diese Serie ausborgt, denn ohne Kommissar Zufall würde Polizei hier ehrlich keinen Stich machen. Der – mit ihr – ausgerückte Freund der Sobotta-Tochter, der plötzlich auftaucht, und auch noch ein Handy dabei hat, mit dem man die Verschwundene kontaktieren kann! Und wenn einem dann schon der Verdächtige an seiner Meldeadresse in die Arme läuft, nur um einem dann wieder zu entwischen, dann sollte man doch bitteschön das ganze Riesenanwesen akribisch durchsuchen lassen und nicht nur mal kurz durchschlendern. (Da hielt Sobotta seine Opfer die ganze Zeit in einem hinter Gipskarton verborgenen Zimmer gefangen). Und wenn man denn den Entführer, wie hier, NOCHMAL auf dem Tablett serviert bekommt (beim Treffen mit seiner vermeintlich gefundenen Tochter), und ihn dann trotzdem wieder laufen lässt, dann sollte man ihm bitte keine Taubenei-große Wanze zustecken, die er einfach entdecken muss.

Gestandene Hauptkommissare, die sich im Endkampf-Handgemenge von ihrem Entführer anschießen lassen (Cliffhanger: wir nehmen mal an, dass KHKL Schnabel überleben wird), die Retterin, die gerade so ankommt, um die Bescherung sowie den Selbstmord des Bösewichts – wieder einmal – nicht verhindern zu können.

Filmreif war dann doch die hanebüchene, gestellte Szene, in der die 150 Kinder gefunden und von der Polizei aus ihrem Kellerverlies befreit werden – wobei der erhoffte Effekt auf den Entführer ausblieb,was man sicher nicht bezüglich des Einflusses auf die Internetblase und den Verschwörungsklub von „Grinsekatze“ behaupten kann.

Das Drehbuch von Stefanie Veith und Jan Cronauer vollführt diesen und allerlei andere Bocksprünge, die auch mit dem Griff in die Trickkiste nicht ausgebügelt werden können: Leichen, die im Container bei „Selfstorage“ gelagert werden, gruselig blinkende Neonröhren und junge Polizistinnen, die alleine durch verwinkelte Geisterhäuser irren – das erinnert an irgendwas aus „Schweigen der Lämmer“, erreicht dessen Niveau aber nie.

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