Auf die Offenbarung des „geheimen Lebens unserer Kinder“ im Krimi aus Freiburg folgt nun „das geheime Leben unserer Polizei“ aus München. Die Erfahrung sagt dem fleissigen Tatort-Fan, misstrauisch zu sein, wenn die Zeitungs-Kommentare allzu euphorisch ausfallen. Für die „Zeit“ war das ein „Höhepunkt der Saison“, Rainer Tittelbach fand ihn „..filmisch und dramaturgisch gut..“, und „n-tv“ meint, es „werden Problemzonen angerissen, persönliche Konstellationen ausreichend beleuchtet, ohne in angegraute Theorie zu verfallen“. Die Bunte schreibt: „konnte sich sehen lassen..“ und für „Kino.de“ „punkten souveräne Münchner mit herausragendem Thriller“. Für die FAZ stimmten „Optik und Spannung“, und für „TV Spielfilm“ haben „die Autoren Stefan Holtz und Florian Iwersen eine glaubwürdige, dichte Story..“ gestrickt. Die Welt findet, dass die beiden „brutal gute Drehbuchautoren..“ sind.
Klar, denn die Ermittler Ivo Batic (Miroslav Nemec), Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) sind ja sowieso Kult, stets mit einem jovialen „Servus“ auf den Lippen und vor der Kulisse von Felix Bavaria. Man erwartet da nicht, ständig belehrt zu werden. Ausser darüber, dass sich Verbrechen eben nicht lohnt, und Batic und Leitmayr nach 91 Tatorten bei der Spurensuche immer öfter mal zur Lesebrille greifen müssen. Bei „Game over“ war die Intention ohne Brille, wenn auch nicht für jeden Rezensenten (Ausnahme – „Wie war der Tatort?“ -„Wieder ein Netzwerk von Polizisten, die Dreck am Stecken haben.“) leicht erkennbar. Und wenn Regisseur Lancelot von Naso meint, extra betonen zu müssen, dass das Drehbuch „ohne vordergründigen moralischen Zeigefinger auskomme“, müssen gleich ein paar Warnleuchten angehen.
Elefant im Raum: Die Polizei hat eines – oder ist sie das Problem?
Wenn das LA Police Department einen betagten, goldfarbenen Benz mit geschrottetem Rücklicht stoppt, dann wäre den Officern gleich klar: Hier könnte es brenzlich werden, der hat vielleicht eine Leiche im Kofferraum (hatte er auch). Nicht so in der bayerischen Provinz, wo die Polizeianwärterin mal locker ans Fahrzeug schlendert und sich freundlich nach den Papieren erkundigt. Und prompt aus dem Wagen heraus erschossen wird. Der etwas betagte Partner schafft es gerade noch, dem davonbrausenden Wagen hinterher zu schiessen.
Die Spur zu lange verweilt der Krimi bei der engagierten, angehenden Polizistin und Bauerstochter Lena Wagensonner (Xenia Benevolenskaya), die eigentlich gar nicht nach München wollte, sogar am Wochenende ihren Eltern noch auf dem Hof im Stall geholfen hat. Die Kamera ist in ihren letzten Minuten ganz nah bei ihr, als sie noch melodramatisch die Buchstaben „Kol..“ auf einen Latexhandschuh kritzeln darf, bevor sie das Bewusstsein verliert. Sogar unterm Leichentuch trägt sie noch die Uniform mit dem weiss-blauen Abzeichen am Arm. Warum wird hier zu dick aufgetragen? Kurze Zeit später weiss man es: als Leitmayr und Batic meinen, dieses Kürzel, obwohl es ihnen widerstrebt, (Batic: „das wär‘ nicht gut“) als das Wort „Kollege“ deuten zu müssen, einen Hinweis aus dem Jenseits: „Das sind welche von uns!“
Der Freund und Helfer ist eigentlich ein Ballermann
Der Verdacht wird schnell zur Gewissheit, die Leiche im Kofferraum des Fluchtwagens ist die des Halters, Michael Hetsch (Mauricio Hölzemann). Der hat sein Geld offenbar in der Killerspiel-Branche verdient und konnte sich so eine Wohnung für „2600 Euro kalt“ leisten. Die Kommissare sind beeindruckt und a bisserl neidisch: „Mir ham den falschen Job“. Hetsch spielte in einer Gruppe online, die den vielsagenden Namen „Munich Sheriffs“ trägt. Zum Glück kennt sich der junge Kollege Hammermann in dieser Computer-Online-Spielerwelt aus, die Polizisten finden so immer mehr Namen mit Polizisten-Bezug in der Ballerspiel-Szene. „Walther PPK, Streifenhörnchen, Shooter_110“, von 14 Spielern sind 11 „Kollegen“, die sich schon mal des Polizeijargons bedienen, um ihre Gamerskills zu feiern: Eh, die „Hilope“ (Hilflose Person) habe ich gut angehittet!“
Mithilfe eines aufstrebenden Stars der Shooter-Szene, Oskar Weber (Yuri Völsch), finden die Kommissare die Klarnamen der vielen vielen Beamten, denen offenbar das Waffentragen im Dienst nicht ausreicht. Nun werden alle möglichen Streifenpolizisten zur Befragung eingesammelt, vom Schiesstand weg, vom Pferd auf Streife im Englischen Garten herunter, aus der Polizeiakademie. Der Zuschauer erhält Informationen, die er eigentlich gar nicht benötigt: der wegen Drogengeschichten entlassene Polizist, der nun am Set des C-Klasse-Kinos aushilft. An der Erdinger Polizeischule gab es Besäufnisse und Kokain, der Jungbulle, so hört man, geht zum Frühschoppen ins Hofbräuhaus, springt schon mal vor Überschwang in den Ventilator in einem Club und säuft sich auch noch frühmorgens, kurz vorm Streifengang, vor dem Gaming-PC einen an.
Dann wird einer der Verdächtigen aus der Baller-Polizisten-Truppe (Fabian Geltinger, gespielt von Christian Wenning) erschossen aufgefunden. Die Ermittler konzentrieren sich nun besonders auf einen Spieler, „Walther PPK“ bzw. Torben Seufert (Jan Bülow). Der nimmt Steroide und wurde bereits zweimal wegen Körperverletzung im Amt verurteilt, worauf er auch noch stolz ist: Wer bei ihnen in Neuperlach „noch keine Anzeige hat, der macht seinen Job nicht richtig – das liegt an der Kundschaft..“. Schöne Zustände, denkt man sich.
Kollege Hammermann sucht Seufert mit Kollegin Eibel (Isabelle Höpfel) zu Hause auf, um ihn zu befragen, lässt sich aber von ihm überwältigen und wird, von Eibel durch ein geschlossenes Rolltor getrennt, bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Die Kollegin muss es ausgesperrt mit ansehen und versucht, was wenig professionell aussieht, verzweifelt mittels Klingelputzen bei den Nachbarn zu dem bedrängten Kalli eingelassen zu werden. Der hinzu geeilte Kollege Batic demonstriert, dass man Ego-Shooter nicht braucht, wenn man bei der Münchner Kripo ist. Die Verfolgung von Seufert durch eine Tiefgarage und ein Brautkleidgeschäft, Treppauf, Treppab, immer die Pistole im Anschlag, sollte den Adrenalinbedarf vollauf decken.
Als kleine Nebenschauplätze inszeniert das Drehbuch eine hilflose, offenbar wenig lebenstüchtige Schwester des Opfers Michael Hetsch, Verena (Lea van Acken), die beklagt „ja wer kümmert sich denn jetzt um mich?“ und ihren Job als Kindergärtnerin nicht ausübt, weil „sie Kinder hasst“.
„Gamer hassen Cheater“
Das begabte Ballertalent Oscar Weber unterstützt zwar die Polizei bei der Suche nach dem Mörder, hat aber gleich mehrere eigene Probleme: Papa (Oliver Wnuk) will ihn unbedingt als internationalen „Counterstrike“-Star-Meister herausbringen, was wiederum die Frau Mama (Marie Burchard), ihres Zeichens nach fürsorgliche Grundschullehrerin, aus Angst um die geistige Gesundheit des ihrer Meinung nach Computer-Spielsüchtigen Sohnes verhindern will. Ausserdem wollte er mit einer Schummelsoftware von Hetsch die Counterstrike-Meisterschaft gewinnen, erschiesst aber auf der Suche nach dessen Handy, wo das Cheat-Programm gespeichert ist, den Polizisten Geltinger, der aus ganz anderen Gründen hinter Hetsch und dessen Telefon her war: Mit Schummeleien beim online-Spielen lässt sich nicht nur gewinnen sondern auch viel Geld machen, das Hetsch kryptiert dort versteckt hatte.
Der Komplize Geltingers und Mörder von Frau Wagensonner, Polizist Seufert, kann zwar noch entkommen, wird aber auf dem Dach des Audi-Doms spektakulär gestellt und richtet sich selbst.
Kalli Hammermann erholt sich, Leitmayr bekommt den Dackel Ludwig (siehe: Tatort „Hackl“) als Haustier und Oscar Weber wird – obwohl minderjährig – gleich abgeführt. Ähnlichkeiten zwischen vermummten SEK-Beamten und den virtuellen Kämpfern in „Counterstrike“ waren rein zufällig. Und wer sich fragt, warum für die ARD eigentlich nur Männer dieses Ballerspiel zocken, wird wohl keine schlüssige Antwort finden.