Tichys Einblick
Verstörendes Motiv

Tatort Freiburg: Klimaaktiv – klimaextrem – klimakriminell?

Wenn beim Tatort aus Freiburg die wirklich letzte, allerletzte Generation das sinkende Schiff Richtung Neuseeland verlässt.

Screenprint: ARD Mediathek / Tatort

Eigentlich ist der Tatort aus dem Breisgau angelegt, um die Unterschiede zwischen den Landeiern aus dem Schwarzwald und einer angeblich progressiveren Stadtbevölkerung (zum Beispiel im Tatort Hannover, Tatort Berlin) herauszustellen. Wohl als abschreckenden Blick zurück auf die Zustände, von denen man sich mit Vollgas in Richtung mehr Coolness und Buntheit entfernt. Die aktuelle Sendung, mit dem Titel einer düsteren Sozialdoku – „Das geheime Leben unserer Kinder“ – begibt sich dann aber doch nach Freiburg-Stadt und ins Milieu einer sogenannten „Patchwork“-Familie.

Die setzt sich aus Witwer Paul Wolf (Christian Schmidt), seiner Tochter Zoé (Caroline Cousin) und dessen Lebensgefährtin, der Geigenbauerin Miriam Schenk (Susanne Bormann) und deren Sohn Benno (Aniol Kirberg) zusammen. Bennos Freund Christopher Gnabri (Charly Stein) wird tot aus der Dreisam gezogen; Grund für das Ermittler-Duo Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner), sich die Familie, die eng mit dem Toten befreundet war, einmal genauer anzusehen.

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Der 20-Jährige war offenbar ein Früchtchen und hat ein Doppelleben geführt: Seiner im Rollstuhl sitzenden Frau Mama (Eileen Gnabri, gespielt von Dalila Abdallah) gaukelte er den ordentlichen Mechaniker-Lehrling vor; seinem Basketball-Trainer Marius Ulrichs (Max Woelky), mit dem er dessen Ehefrau betrog, schwor er ewige Treue, während er trotzdem bei den Mädels „nichts anbrennen ließ“. Nachts arbeitete Christopher als Lieferant in der Pizzeria von Dennis Risch (Victor Calero), die nach der Corona-Pandemie und mit neuem Steinofen so „richtig abging“. Hier verdiente er sogar mehr als Azubi in der Werkstatt, die er auch verlassen hatte, weil ihm, dem Klimabewegten, dort das „Reparieren von Verbrennern“ missfiel. Leicht zu erklären: Nun geht er beim Pizza-Paten Risch, der den Kosovo-Albanern in Freiburg das Crystal-Meth-Geschäft abgeknöpft hat, in die Lehre, als Drogendealer. Eine schillernde Auswahl an Motiven, die sich der Polizei da bietet.
Betrug, Banden und Big Money

Patchwork-Papa Paul scheint mit seiner Partnerschaft zu Miriam, der Erziehung von Stiefsohn Benno, der gerade sein Abi machen soll, sich aber ständig vom Unterricht absentiert (seine Klassenlehrerin: „der hat nach dem ganzen Homeschooling nicht mehr in den Schulalltag zurückgefunden“), und Zoé, die bereits studiert, nicht ausgelastet. Nachdem ihm seine Privat-Musikschüler während der Pandemie abhanden gekommen sind, hat er sich nun eine Geliebte genommen und trifft sich mit ihr zu festgesetzter Stunde in einer Absteige. Nebenher verbringt er noch Zeit damit, eifersüchtig auf den Ex (Oliver Schenk, gespielt von Kai Ivo Baulitz) seiner Partnerin zu sein, der offenbar finanziell besser dasteht und zu dem sich Benno immer noch hingezogen fühlt.

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Was keinem der Eltern auffällt: Im Stillen versuchen die Gören alles, um an das richtig große Geld zu kommen, und dazu ist ihnen jedes Mittel recht. Auch sie sind eifrig als Drogenkuriere für Dennis Risch unterwegs, und sie zocken online mit Kryptowährungen. Allerdings verlieren sie Rischs Crystal Meth bei einem E-Scooter-Unfall und das Passwort für ihr Kryptoguthaben auf der Flucht vor den mit ihren Ermittlungen immer näher kommenden Freiburger Kommissaren.

Viele Rezensenten werden mit diesem Tatort irgendwie nicht richtig warm: Bei „wie war der tatort.de“ wird „das formelhafte Gesamtkonstrukt dieser Tatort-Folge, das sich leider auch in den Nebenrollen offenbart“, beklagt. Da gebe es „den Assistenten Sami mit Migrationshintergrund, den bisexuellen Basketballtrainer Marius Ulrichs (Max Woelky, Kassensturz) oder die Person of Color Eileen Gnabri (Dalila Abdallah), die im Rollstuhl um ihren Sohn trauert. Diversität vom Reißbrett, wie man sie steifer kaum aufplanen kann …“ Für den Münchner Merkur hat „Drehbuchautorin Astrid Ströher alles in einen Topf geschmissen, was ihr an Zutaten in die Finger kam“. Bei der „Zeit“ meint man, dass „dieser Tatort ohne die Jugenderklärbemühungen ein triftiger geworden wäre – indem er also vom geheimen Leben unserer Eltern gehandelt hätte …“ Und für den „Kölner Stadtanzeiger“ scheinen „die Filmemacher weit weg von der Realität junger Menschen zu leben. Mehr Klischees über Jugendliche hätte man in 90 Minuten kaum unterbringen können.“

Für „den Westen“ sorgt „schon eine der ersten Szenen für Hohn und Spott bei den Zuschauern …“ (angeblich Nasenbluten-befleckter Hoodie, Anm.). N-tv findet den Tatort nicht wirklich witzig:
„Die Ansammlung an haarsträubenden Klischees klingt nach Satire und die absurden Story-Wendungen provozieren ein paar unbeabsichtigte Lacher, aber tatsächlich meint es dieser ‚Tatort‘ ernst. Und erweist der Jugend, die er repräsentieren will, damit einen Bärendienst. Denn so peinlich ‚Das geheime Leben unserer Kinder‘ inszeniert ist, so treffend ist die Kernbotschaft: 80 Prozent der Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren sind laut einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung besorgt wegen des Klimawandels – 42 Prozent von ihnen sogar sehr besorgt.“

Dieses tiefsitzende Motiv der drei Drogenkuriere für ihre kriminellen Machenschaften finden manche offenbar verstörend. Christopher, Benno und Zoé sind schon zwei Schritte weiter als ihre sich noch aus Überzeugung festklebenden Altersgenossen (zum Vater: „… will nochmal die Welt sehen, bevor sie untergeht, liest Du keine Nachrichten?“). Für sie ist der „Kipppunkt der Klimakatastrophe längst überschritten“ (Benno) und nachdem ihnen auch „Corona sämtliche Zukunftspläne kaputt gemacht hat“, wollen sie mit einem VW-Bulli-Wohnmobil an die Neuseeländische Küste auswandern, wo ihrer Meinung nach die Katastrophe zu überleben sein wäre. Mama und Papa werden nicht beteiligt, außer dass Benno versucht, seinem leiblichen Vater (zu ihm: „ich weiß, Du hast das Geld“) 15.000 Euro für den Kauf des Wagens leihweise abzuluchsen.

"Love is Pain"
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Nachdem die Geschichte (Drehbuch Astrid Ströher, Regisseur Kai Wessel) noch letzte Pirouetten (auch in Form von geteiltem Bildschirm) um das Liebesleben der Twennies (Stiefschwesterchen und Stiefbrüderchen sind ein Paar) und eine von Teenager-Flausen (Veganerin, will partout YouTube- Influencerin werden) geplagte Nichte (Vanessa, gespielt von Lola Höller) von Kommissarin Franziska „Franz“ Tobler gedreht hat, biegt er scharf Richtung Western ab. Benno ist von seinem Mafia-Chef wegen des fehlenden Crystals gekidnappt worden und dessen Gorillas liefern sich ein grandioses nächtliches Revolverduell mit dessen leiblichem Vater, den das Abenteuer Lösegeldübergabe das Leben kostet. Die schwäbische Polizei macht, obwohl zahlreich, schwerbewaffnet und rechtzeitig vor Ort, keine gute Figur dabei.

Nachdem Tobler und Berg sich den ehemaligen Liebhaber und Basketballtrainer von Christopher Gnabry noch einmal vornehmen (wird von einem Blitzer auf der Fahrt zum Tatort fotografiert), gesteht dieser, den Jungen, weil er ihm den Laufpass gegeben hatte, erst umgestoßen und den Bewusstlosen dann ins Wasser geworfen zu haben.

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