Wenn man sich die blitzblanken Wägen der Dortmunder Stadtwerke (DSW21) so ansieht, weiß man sofort: hier ist die „Broken-Window-Theorie“ bekannt, die putzen schnell weg, was eifrige Narrenhände nachts zuvor an Tischen und Wänden verbrochen haben (WAZ-Meldung).
Aber im Depot der Straßenbahn spielt sich nach Betriebsschluss nun auch ein Kapitalverbrechen ab: vor laufender Überwachungskamera wird ein Schaffner (Hamza Arkadas, gespielt von Mehmet Daloglu) von einem Fahrgast erstochen, der sich schlafend gestellt hat. Die Dortmunder Kripo ist trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit hellwach und gleich vor Ort. Wieder mit dabei: Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann), der nach dem Mord an seiner Kollegin Martina Bönisch (Anna Schudt) und der anschliessenden persönlichen Krise (wurde im Tatort „Du bleibst hier“ ausführlich beleuchtet) wieder fit für den Dienst (mit Abstrichen) ist. Der Mörder (Nils Hohenhövel) hat sich keine Mühe gegeben, sein Gesicht zu verbergen, sondern blickt direkt in die Kamera und zeigt provozierend auf sein rechtes Auge.
Kommissarin Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) schlussfolgert: „Der will uns etwas erzählen!“ Eigentlich wäre der Tatort hier schon zu Ende, denn mit der auch in Deutschland durchaus erlaubten Öffentlichkeitsfahndung in Kombination mit dem Charakterkopf des Täters wäre man seiner sicherlich in kürzester Zeit habhaft geworden. Jedoch: Staatsanwalt Matuschek (Moritz Führmann) hat laut Kommmissar Jan Pawlak (Rick Okon) wegen der Persönlichkeitsrechte des Mörders was dagegen. Kommissarin Herzog zieht deshalb eine alte Bekannte aus dem Präsidium hinzu.
Beate Gräske (Sar Adina Scheer) sei eine „Super-Recognizerin“ und könne Individuen wegen ihrer Fähigkeit, Menschen anhand ihrer Gesichter superschnell zu erkennen, schneller auf Videoaufnahmen finden als irgendeine Maschine. Und so setzt sich Frau Gräske brav vor die vielen Monitore und beginnt damit, den Mörder in Dortmund über die Videoüberwachung der Ruhrmetropole zu suchen. Schwer zu glauben, dass diese Methode bei der Qualität und überschaubaren Zahl der Bilder zum Erfolg führen könnte. Beim Zuschauer setzt sich die vielleicht erwünschte, wohlige Erkenntnis durch, wenigstens so rund um den historischen Bergmann-Bier-Kiosk in der Dortmunder Innenstadt rund um die Uhr unter Aufsicht zu stehen. Allein, die ganze Videoüberwachung nützt wenig, wenn die Dortmunder Kriminaler am Werke sind; Kommissar Pawlak läuft der Täter beim Ausflug mit Töchterlein Mia (Jana Gieseldirekt) direkt vors Auto, der Polizist verliert aber das anschließende Laufduell. Ausserdem lungerte der Mann in der Nähe des Tatorts und sogar beim Präsidium herum. KHKin Herzog, der er sogar vor die Mündung des Dienstpistole lief und trotzdem entkam: „Er will, dass wir etwas herausfinden!“
Derweil begleiten wir Kommissar Faber in die Kantine der Dortmunder Polizei, wo der Speiseplan offenbar so dürftig ist, dass Gerichtsmedizinerin Dr. Leitner (Sybille Schedwill) sich selbst verpflegen muss, um die Ernährungshinweise ihres Arztes (Cholesterin und so) beherzigen zu können. Man lernt, wie es das Drehbuch (Hanno Hackfort und Bob Konrad) offenbar möchte, dass die beiden sich echt dolle kennen und mögen (Faber darf sich die Mahlzeit mit demselben Besteck teilen, wie die Ärztin, wischt es nur am Ärmel ab) und was eine „Buddha Bowl“ ist, nämlich eine Portion Grünzeugs. Faber, der sich nun den Salat von Dr. Leitner einverleibt, hat weiterhin mehr als nur ein Ernährungsproblem. Er zieht es vor, ihm zunächst unbekannte mit „sag mal, Meister“ anzusprechen, kompensiert dann aber mit einem stets übertrieben klingenden „das ist lieb“. Die Frequenz, mit der im Dortmunder Tatort die deutschen „Sch- und A -Worte“ sowie deren englisches Pendant, das „F-Wort“ bei plötzlichen und für die Polizisten frustrierenden Situationen zum Einsatz kommen, kann getrost als Symbol für die vielfachen Frustrationen des Zuschauers interpretiert werden. Und der Film hat noch viel, viel mehr Potential zu bieten.
Mit mäßigem Interesse nimmt man zur Kenntnis, dass der Mörder sich eine Träne unter das rechte Auge hat tätowieren lassen, und auch das Opfer ein Tattoo sein eigen nannte, nämlich drei Punkte über dem Daumenansatz. Beides, so die Polizisten, seien wohl „Knast-Tätowierungen“. Seltsam, irgendwie hat man da Schlangen, Löwen, Tiger oder Ähnliches erwartet. Zu den typischen Informationen, die man beim Krimi nicht bestellt hat, und außerdem nicht braucht, gehört der hämische Hinweis Fabers an den Staatsanwalt, dass dessen Verfahrensakten „nicht so ordentlich geführt würden“. Kurz darauf ermordet der Mann mit der Träne unterm Auge Barbesitzer Lars Ramme (Nikolai Mohr) und stiehlt den Schlüssel zu seinem „Angeberporsche“. Hätte man das nicht verhindern können, wenn man einen Film in „Spielfilmlänge“ (KHKin Herzog) vom Täter hat, müsste man die Polizei da fragen.
Sogar die „Zeit“ ist genervt: „Auch wenn das gegen die Polizeiarbeit spricht – die Szenen, in denen Majewski erst Pawlak, dann Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) und schließlich Faber wegrennt, bewirken eine gewisse Ermüdung. Wenn Action schon nicht leicht zu inszenieren ist mit dem Budget, das einer ARD-Sonntagabendkrimi-Folge zur Verfügung steht, dann sollte man das mit den Fußverfolgungen als Sparversion filmischer Bewegung vielleicht auch einfach lassen.“
Irgendwie ist alles Mögliche wichtiger, als diesen irren Messermörder zu fassen; Der Sorgerechtsstreit zwischen Kommissar Pawlak und seiner Schwiegermutter. Wieviel Alkohol so ein Kriminalkommissar denn so kauft. Ob denn die ehemalige Linksterroristin und Mama von Kommissarin Herzog wirklich so krank ist und ob man sich in Holland wirklich gegen Geld anonym operieren lassen kann. Ob man als Polizist beim Betreten der Wohnung von Angehörigen immer die Schuhe ausziehen sollte. Warum in Dortmund die Urnengräber praktischerweise gleich in der Kirche (es handelt sich um die teilprofanierte Grabeskirche Liebfrauen, Anm.) stehen und ob da wirklich immer so ein Meer von Blumen zu sehen ist, wie beim Besuch KHK Fabers am Grab seiner geliebten Maria Bönisch. Ob denn dieser Typ Leiter des Kriminalkommissariats bleiben sollte, wie schnell die Polizei eine Vorhängekette reparieren kann und ob man ein Pflegebett wirklich aus dem Ersparten finanzieren muss.
Irgendwann findet auch das reichlich kurzsichtige Dortmunder Team einmal ein Korn in Form der Verbindungen zwischen den Opfern Arkadas und Ramme und dem ehemaligen Mitglied ihrer Jugendgang, Tom Heinrich (Roberto Capasso), der nach einer Gehirnverletzung, den dürftigen Polizeiunterlagen nach Folge eines „auto-erotischen“ Unfalls, im Wachkoma liegt. Seine Ex-FreundinTanja Zietmann (Johanna Polley) und seine Mutter Sandra (Silke Geertz) kümmern sich um den Jungen, der zwar Mitglied einer Gang, aber oft auch ein „Opfer gewesen sei“. Messermörder Mike Majewski war Tom‘s neuer (schwuler) Freund. Die beiden Super-Machos Lars und Hamza konnten, genau wie Tanja, diesen Umstieg auf Männerliebe aber einfach nicht aushalten und quälten den Jungen – während Mike auf Montage in Norwegen für Thyssen-Krupp weilte – schließlich ins Koma. Mike konnte nicht sofort zurück nach Dortmund, weil er wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Norwegen 6 Jahre sitzen musste. Erst nach seiner Freilassung konnte er Rache an den Peinigern seines Geliebten nehmen. Schützenhilfe lieferten ihm dabei Toms Mutter, seine Ex und offenbar auch das Personal des Pflegeheims, wo er ein- und ausgehen konnte, um Tom zu besuchen. Für Majewski ist nun auch dessen frühere Freundin Schuld an seinem Schicksal, weil sie ihn gemobbt hat. Kommissar Pawlak scheitert beim Versuch, die Hintertüre des Supermarkts, wo Tanja arbeitet, mit einer aus zwei Mobiltelefonen gebastelten Videoüberwachung zu sichern. Sie kann sich selbst retten, als sie sich mit einer Waffe gegen den Angreifer wehrt. Mike entwischt den glücklosen Ermittlern erneut, lässt sich dann aber widerstandlos am Pflegebett seines Freundes festnehmen.
Rosa Herzog kutschiert ihre Mutter zum Schein Richtung OP in der Illegalität in Holland, lässt sie dann aber tränenreich aus dem eigenen Auto heraus festnehmen, weil man die „Dinge richtig tut, immer besser macht“.
Da ist beim Tatort aus Dortmund ganz viel Luft nach oben.