Tichys Einblick
Auflagen stürzen ab

Steigt der Staat im November in die Tageszeitungen ein?

Die Tageszeitungen verlieren dramatisch an Auflage. Vor diesem Hintergrund will die Ampel ab November Zeitungen staatlich finanzieren. Das beendet deren Neutralität – und ist obendrein ein Schelmenstück gegen den "Klimaschutz".

IMAGO / Michael Gstettenbauer

Alle drei Monate gibt die IVW die neuen Auflagenzahlen deutscher Zeitungen heraus. Alle drei Monate lesen die Menschen davon nichts in ihrer lokalen Tageszeitung. Deren Verleger sehen sich zwar als Hüter der Demokratie und Verteidiger der Wahrheit. Doch wenn es um sie selbst geht, berichten ihre Blätter entweder gar nicht oder nur einseitig. Zwar geben sich die Verleger gerne als Altruisten – aber am Ende sind sie halt auch nur Geschäftemacher mit eigenen Interessen.

Nur dass ihr Geschäft immer weniger funktioniert. Allein im vergangenen Jahr verloren die 338 der IVW angeschlossenen Zeitungen knapp eine Million Exemplare in der verbreiteten Auflage. Übrig bleiben 12,1 Millionen täglich abgesetzter Exemplare. Die verkauften E-Paper sind in der Zahl enthalten. Deren Absatzzahlen steigen zwar stetig. Doch sie können den Verlust in der gedruckten Zeitung nicht ausgleichen, sodass die verbreitete Auflage insgesamt um 7,5 Prozent innerhalb eines Jahres zurückgegangen ist.

Der Verfall der Zeitungen beschleunigt sich. Bis vor etwa fünf Jahren lag der jährliche Rückgang in der Auflage bei 2 Prozent im Jahr. Dann stieg er auf 5 Prozent – nun sind es also schon 7,5 Prozent. Vor zehn Jahren hatten die Zeitungen zusammen noch eine verbreitete Auflage von über 20 Millionen Exemplaren – jetzt sind es nur noch 12,1 Millionen Exemplare. Tageszeitungen sind ein fallendes Messer.

Dieses fallende Messer will die Politik nun auffangen. Am 16. November berät der Haushaltsausschuss des Bundestages über eine „Zustellförderung“, wie das Fachportal Meedia.de berichtet hat. Schon die Große Koalition unter Angela Merkel (CDU) wollte die Verleger mit 220 Millionen Euro bezuschussen. Die Pläne scheiterten daran, dass der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) keinen Schlüssel gefunden hat, wie der Staat das Geld verteilt. Denn der Schlüssel soll die Behauptung rechtfertigen, es ginge bei den Subventionen um die Erhaltung von Qualität – und er soll politisch unliebsame Medien vom staatlichen Geldregen fernhalten.

Nun kommt das Thema wieder in den Bundestag. Wie TE berichtete, ist die Ampel ebenfalls bereit, die Zeitungen zu subventionieren. Unter „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) soll der staatliche Eingriff in die „unabhängigen Tageszeitungen“ noch stärker werden. Nach einem TE vorliegenden Papier aus Habecks Haus sollen die Verlage schon 2025 zusammen 630 Millionen Euro vom Staat erhalten.

Der Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger klagt über die Politik der Ampel: 100.000 Zusteller seien für sie unterwegs. Lagen die Kosten für die Zustellung 2019 noch bei 1,4 Milliarden Euro, so sind sie laut Verlegern innerhalb von vier Jahren um etwa 400 Millionen Euro gestiegen – also um mehr als ein Viertel. Schuld daran seien „staatliche Vorgaben“.

Bekämen die Verleger das Geld von der Ampel, würde die Kritik an „staatlichen Vorgaben“ aufhören. Ganz sicher aber gilt das für die Kritik im Zusammenhang mit den Kosten der Zeitungsausstellung. Nur: Wie kritisch könnten Zeitungen überhaupt noch über „staatliche Vorgaben“ berichten, wenn staatliche Subventionen einen Großteil ihrer Einnahmen ausmachen?

Die Ampel will die Förderung trotzdem. Oder gerade deswegen. Die CDU unterstützt dieses Projekt. In Sachen Klimaschutz, den sich Regierung und regierungstreue Opposition auf die Fahnen geschrieben haben, wäre die Subvention der gedruckten Nachricht ein Anachronismus. Zumal sowohl in den Plänen Altmaiers als auch in den Plänen Habecks vorgesehen ist, sogar gedruckte Werbeblätter staatlich zu bezuschussen.

Die gedruckte Auflage der deutschen Tageszeitungen ist im vergangenen Jahr um fast 1,4 Millionen Exemplare zurückgegangen. Auf nur noch 11 Millionen gedruckte Exemplare. Ein Rückgang von über 11 Prozent. Für FDP und Union ist das aber kein Produkt, das der Markt regelt und folglich untergeht – sondern ein Kulturgut, das sie retten wollen.

Die Grünen und der grüne Teil der SPD stören sich nicht an dem massiven Eingriff in den „Klimaschutz“, den Zeitungen darstellen: 67.000 Zeitungen schickt die Süddeutsche Zeitung jeden Tag in den Einzelverkauf. Nur 23.500 Exemplare finden einen Abnehmer – die restlichen 43.500 Exemplare nimmt die Süddeutsche zurück. Von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gehen jeden Tag 58.000 Exemplare in den Verkauf – und 40.000 Exemplare wieder zurück.

83.000 Zeitungen werden jeden Tag gedruckt, über die ganze Republik verschickt, zurückgenommen und danach vernichtet. Alleine von Süddeutscher und Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ein massiver Eingriff in den „Klimaschutz“, den kein Käufer will. Ein massiver Eingriff in den Klimaschutz, den Grüne, SPD, FDP und CDU künstlich am Leben erhalten wollen. Irrsinniger kann Politik kaum sein.

Gedruckte Zeitungen müssten noch verkauft werden, um die „Transformation“ auf digitale Medienträger zu finanzieren, argumentieren Verleger, Ampel und Union. Das klingt ein wenig konstruiert, aber immerhin staatstragend. Andere These: Die Ampel will sich Werbeträger ihrer Politik kaufen und die Union in der Sache nicht außen vorbleiben. Staatstragend klingt das nicht. Aber dafür plausibel.

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