Wer den Unterschied zwischen Schäbigkeit und Gesinnungsschäbigkeit noch nicht kannte, darf sich freuen: Suhrkamp hat gerade exzellent vorgeführt, wie es geht, als der Verlag seinen Bestsellerautor und Buchpreisträger Uwe Tellkamp aus den Niederungen eines Twitter-Accounts heraus, quasi im Vorbeigehen, vorübergehend zu einer Persona non grata erklärte. Verdächtig, die Sache Pegidas und der AfD zu vertreten. Ein Warnschuss, ein Disziplinierungsversuch wie ein Widergänger light aus dem DDR-Kulturministerium oder schlimmer: der Reichskulturkammer.
Besonders abstoßend an diesem Vorgang bei Suhrkamp: Er passierte ungefragt, unverlangt, eigeninitiativ. Und mit nur einem klaren Ziel, eine Debatte anzustoßen mit dem Ergebnis, einen Top-Autoren des Hauses zu disziplinieren, der dem Verlag mit seinem Bestseller „Der Turm“ einst hunderttausende Euro eingespielt hatte.
Suhrkamp hatte getwittert: „Aus gegebenem Anlass: Die Haltung, die in Äußerungen von Autoren des Hauses zum Ausdruck kommt, ist nicht mit der des Verlags zu verwechseln. #Tellkamp“
„Die beiden kennen sich, sie haben etliche Gemeinsamkeiten, hochdekorierte Schriftsteller, geschätzte Intellektuelle des Landes.“, schreibt die Zeit zur Veranstaltung. Beide Autoren reflektierten schriftstellerisch über die Vergangenheit der Stadt, nun sollte es um die Gegenwart gehen. Im Geburtsort von Pegida sicher noch einmal interessanter als anderswo. Entsprechend groß auch das Interesse.
Und Tellkamp liefert offensichtlich ab, wenn wieder die Zeit kommentiert, im Dialog zwischen Grünbein und Tellkamp wäre schnell klar geworden, dass es hier die selbe Konfrontation gäbe, wie zigfach in diesem Land. Was dann den Suhrkamp Verlag zu seiner Ungeheuerlichkeit veranlasste, mag einer der Kernsätze der Debatte in Dresden aus dem Munde Tellkamps erklären: „Wir veranstalten ein Großexperiment, ohne dass die Leute, die daran teilnehmen müssen, gefragt werden. Machen Sie sich keine Sorgen, dass sich das Land in sehr kurzer Zeit verändert? 95 Prozent der Migranten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung. Sie wandern in die Sozialsysteme ein.“ Grünbein erwiderte: „Wir müssen differenzieren. Ich bin für ein Einwanderungsgesetz. Aber ich habe keine Angst. Dass wir in diesem Land so vielen Flüchtlingen helfen, das ist ein Ruhmesblatt.“
So weit, so interessant, so überaus wichtig, weil diskussionswürdig. Aber was den Verlag in seinem Innersten getroffen haben mag und hin zu einer Gesinnungsschäbigkeit sondergleichen veranlasste, kam vielleicht sogar von außen, hatte überhaupt nichts mit den Diskutanten auf der Bühne zu tun. Wurde ausgelöst, brachte das Fass bei Suhrkamp zum Überlaufen, als sich ein für diese Debatte wichtiger Protagonist als Zuschauer in der Aussprache zu Wort meldete. Die Rede ist von Götz Kubitschek. Der forderte dazu auf, den Riss in der Gesellschaft noch zu vertiefen. Der Riss müsse noch konkreter sein, damit alles auf den Tisch kommt. Durs Grünbein nutzt die Gelegenheit und macht aus dem Fragenden einen Antwortenden, als er mit Kubitschek in den Kurzdialog tratt.
So weit so gut. So interessant, so selten und wichtig, was Grünbein und Tellkamp da anboten. Aber dass es nun ausgerechnet Kubitschek sein musste, der offensichtlich diese Diskussion für den Verlag so unerträglich machen sollte, ist nur ein weiterer Erfolg für den Vordenker einer Neuen Rechten aus Schnellroda in der Nähe von Leipzig. Dort, wo dessen Antaios Verlag zu Hause ist. Und selbstverständlich musste Kubitschek hier anwesend sein, immerhin lieferte der Auftritt seines Verlages auf der Frankfurter Buchmesse überhaupt erst den Anlass für diese Diskussion im Kulturpalast.
Dazu passt dann auch, dass sich im selben Atemzug die Junge Freiheit gerade von der Leipziger Buchmesse verabschiedet hatte, weil man sich von den Messemachern mit Verlagen wie dem von Kubitschek in eine Ecke gestellt sah. Und zwar nicht zuerst ideologisch, sondern zunächst räumlich. Für Herausgeber Dieter Stein wohl eine Unerträglichkeit, dabei haben es Weggefährten wie Kubitschek letztlich der jahrzehntelangen Vorarbeit eines Dieter Steins zu verdanken, dass sie heute medial so viel Aufmerksamkeit bekommen. Stein hat den Boden bereitet. Beide haben lange zusammengearbeitet, die Massenzuwanderung ab Ende 2015 tat dann ihr übriges, die Haltung Kubitscheks massenkompatibel zu machen. Die Zeit titelte nach einem Besuch in Schnellroda launig: „Alles wie im Wendtland.“
Aber zurück auf die Bühne in Dresden. Dieser Uwe Tellkamp hat ja hier kein „rechtes” Coming-Out , er war immerhin unbeschadet einer der Unterzeichner einer „Charta 2017“ der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen (Buchhaus Loschwitz), die in einem offenen Brief an den Börsenverein den Umgang mit „andersdenkenden Verlagen“ auf der Frankfurter Buchmesse kritisiert hatte. Auch Autorin Cora Stephan hatte die Charta unterzeichnet, ohne dass ihr Verlag Kiepenheuer & Witsch sich deshalb veranlasst sah, sich von ihr und ihrer Haltung in irgendeiner Weise zu distanzieren.
Was Suhrkamp nun final veranlasst hat, sich auf Twitter zum Zuchtmeister eines seiner besten Pferde im Stall zu erheben, ist unerheblich. Nicht unerheblich ist der Schaden, der damit angerichtet wurde. Diskussionen der Art, wie sie in Dresden öffentlich geführt wurden zwischen Tellkamp und Grünbein, zwischen zwei der herausragenden Persönlichkeiten der deutschen Gegenwartsliteratur, dürften nun für dieses große Heer weniger bedeutender Literaten noch schwieriger geworden sein, die auf Gedeih und Verderb auf das Wohlwollen solcher Verlage angewiesen sind.
Und weil das nun alles so schäbig ist, soll hier noch mal der 2002 verstorbene Siegfried Unseld, langjährige Leiter des Suhrkamp Verlages, zu Wort kommen, mit einer Art Leitplanke zur Verlagspolitik, mit der sich der Twitter-Account Suhrkamps heute freimütig schmückt: „Hier werden keine Bücher publiziert, sondern Autoren“.
Aber was bitte ist daran so falsch zu verstehen, dass man nun meint, sich von der legitimen Haltung eines deutschen Buchpreisträgers im Verlag öffentlich distanzieren zu müssen?