Tichys Einblick
Von Ostasien lernen

Südkorea, Westeuropa, Subsahara: Ein Vergleich bezüglich Export und Corona

Warum ist Südkorea nicht nur der große Wirtschaftsaufsteiger der vergangenen Jahrzehnte, sondern brilliert auch in der Corona-Krise? Ein Blick auf die Statistik der Mathematik-Kenntnisse vermittelt eine Ahnung.

Südkorea steigert seine Exporte im ersten Quartal 2020 um 3,3 Prozent. Damit setzt es sich im OECD-Club der entwickelten Nationen an die Spitze. Die EU 27 hingegen verringern im selben Zeitraum ihre Ausfuhren um 3,2 Prozent, Deutschland allein sogar um 3,5 Prozent.

Durch seine smarte Antwort auf Corona kommt Südkorea fast ohne Lockdown durch die Pandemie. Sein Dreistufensystem Testen-Kontakte-Isolation wird zur Musterantwort auf zukünftige Virus-Wellen. Bei ungewöhnlichen Atemwegsbeschwerden gibt es (1.) kostenfreie Tests in Drive-in- oder Walk-in Labors. Nach 24 Stunden erscheinen die Resultate der zehnminütigen Untersuchung auf dem Smartphone, über das (2.) Kontaktpersonen der Infizierten gefunden werden, die dann (3.) in Isolation die Quarantäne einhalten oder bei Symptomen in vorbereiteten Kliniken behandelt werden.

Ohne Lockdown durch Corona kommt auch Schweden, das seine Exporte im ersten Quartal 2020 um ebenfalls sehr passable drei Prozent steigern kann. Aber mit weniger als 300 Corona-Toten unter 50 Millionen Südkoreanern Mitte Juli 2020 gegenüber mehr als 5.000 unter 10 Millionen Schweden demonstrieren die Ostasiaten ihre Extraklasse.

Viele möchten verstehen, wie sie das schaffen. So will man in westlichen Nationen wissen, wie man ihnen gegenüber auch in Zukunft noch mithalten kann. Noch interessierter beobachten ehemalige Kolonien Europas die Exkolonie Japans. Afrikaner orientieren sich verständlicherweise lieber an ehemaligen Leidensgenossen als an den Herren von gestern.

Schöne Grüße aus Hanoi
Corona-Deutschland aus Asien gesehen
Dennoch kommt man beim Aufdecken des Geheimnisses hinter dem asiatischen Erfolg kaum weiter. Er wirkt so unbegreiflich, weil im Koreakrieg (1950–1953) beide Hälften Koreas ihre wenigen Industrien verloren. US-General Curtis Lemay (1906 – 1990) erklärt später, dass man „fast alle Städte in Nord- und Südkorea“ durch Brand- und Flächenbombardements ausgelöscht habe. Im Zweiten Weltkrieg bewirken rund 1,4 Millionen Tonnen alliierter Bomben den Tod von über 500.000 Deutschen. Korea verliert aufgrund einer schwächeren Infrastruktur für Luftschutz rund eine Million Einwohner durch 635.000 Tonnen Bomben.

Doch lediglich vier Jahre später zieht Südkorea beim Pro-Kopf-Einkommen mit Ghana gleich. Die britische Kolonie erringt 1957 die Unabhängigkeit, hat ein modernes Rechtssystem und ist unzerstört. Sie soll zu einem Musterland für westliche Entwicklungshilfe im Subsahara-Raum werden. Gleichwohl steht es 2019 beim Pro-Kopf-Einkommen nicht mehr 1:1, sondern 8:1 für die einstige Trümmerwüste Südkorea (43.000 : 5.600 Kaufkraft-Dollar). In Wechselkurs-Dollar gerechnet erreichen die Ostasiaten gegenüber den Afrikanern sogar einen Vorsprung von 14 : 1 (31.800 : 2.200).

Der Economist – seit 1843 für viele das beste Wirtschaftsmagazin der Welt – will im Juni 2020 diese immer weiter aufgehende Wohlstandsschere endlich erklären. Weil es anders als Afrika kaum über Bodenschätze verfüge, habe Südkorea „stattdessen auf schweißtreibendes Arbeiten gesetzt“ (relied on sweat instead). Man wünscht sich, dass die Londoner Weisen recht hätten. Doch auch sie wissen, dass in Subsahara-Afrika immer noch sechs von zehn Menschen in der Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdienen. Ohne Schweiß kommt bei dieser Arbeit niemand über die Runden.

Sieht man weiter, wenn man die Ostasiaten mit einem Land vergleicht, das die in Afrika bisher scheiternde Industrialisierung zweifelsfrei geschafft hat? Nehmen wird Deutschland als Beispiel. Im Jahr 1994 steht es bei den scharf gesiebten PCT-Patentanmeldungen 22 : 1 (4.294 : 190) für die Berliner Republik gegen Südkorea. Ein Vierteljahrhundert später führen die 80 Millionen Deutschen nur noch hauchdünn mit 19.353 : 19.085 Anmeldungen.

Es verlangt schon auch Schweiß, in sechs Jahrzehnten fünfzehnmal stärker zu werden als Ghana oder in fünfundzwanzig Jahren einen zwanzigfachen Rückstand gegenüber Deutschland aufzuholen. Aber gegenüber den wenigen Nationen, die den Schritt ins Hightech-Zeitalter geschafft haben, müssen auch andere Komponenten eine Rolle spielen. Erstrangig ist die Sicherheit des Eigentums für die Besicherung von Geld und als Pfand für Kredit. Doch darin ähnelt Südkorea der Bundesrepublik, weil es – auf dem Umweg über die japanisch Kolonialmacht – die deutsche Rechtskultur des BGB übernommen hat.

Wer findet den Anschluss?
Qualifikationsprofil: Globaler Schülervergleich in Mathematik
Unterschiede zwischen den beiden Ländern gibt es allerdings bei der Kompetenz. Will man diese neutral, also frei von bildungskulturellen Vorteilen messen, ist man auf die globalen Mathematik-Schülervergleiche TIMSS angewiesen. Die jüngsten Ergebnisse für Zehnjährige stammen aus dem Jahr 2015 bzw. vom Geburtsjahrgang 2005. In die höchste Leistungsgruppe (advanced) schaffen es 53 von 1.000 Kindern aus Deutschland. In Südkorea hingegen sind es 409 von 1.000. Aus dem Subsahara-Raum hat bei TIMSS 2015 niemand teilgenommen. Die dortigen Länder gehören wohl zu den rund 160 Nationen, die mit weniger als zehn mathematisch Begabten unter 1.000 Kindern auskommen müssen und diese Talente durch Emigration zumeist noch an OECD-Staaten verlieren.

Wenn Kompetenz den Faktor bildet, der wirtschaftliche Entwicklung und Epidemie-Schutz gleichermaßen determiniert, fällt der Ratschlag an Europäer und Afrikaner leicht: Lernt Rechnen! Und doch ist diese Hilfestellung so einfach nicht. Denn bisher haben wir weder sichere Mittel noch Methoden, um unsere Kinder in Mathe-Asse zu verwandeln.

Den schnellsten Effekt bringt das Anwerben fremder Könner. Da deren Verfügbarkeit weit unter der globalen Nachfrage bleibt, hat Einwanderung vor allem Ländern geholfen, die schon seit den 1970er Jahren darauf bestehen, dass Zuwanderer vor Grenzübertritt ihre Kompetenz unter Beweis stellen müssen. Die nachstehende Tabelle offenbart, dass diese Methode gerade im westlichen Kontinentaleuropa verworfen wurde. Von großzügiger Grenzoffenheit profitieren fast nur englischsprachige Nationen, weil fast alle Hochkompetenten dieses Idiom erlernt haben.


Gunnar Heinsohn (*1943) lehrte von 2011 bis 2020 Kriegsdemographie am NATO Defense College in Rom. 2019 hat er Wettkampf um die Klugen (Orell&Füssli) publiziert.

 

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