„Waffen, Sanktionen, Allianzen – die Ukraine kämpft für unsere Zukunft“, so lautete der Titel der Talkshow von Maybrit Illner am 25. Mai um 22:15 Uhr. Der Überschrift würde ich so null von fünf Punkten geben, keinerlei Kreativität oder Mühe erkennbar, keine Innovation. Bei der Gästeliste das Gleiche. Die Gäste in der Runde sind alle schon zum hundertsten Mal da, zumindest die, dessen Namen man sich merken muss. Da haben wir Marie-Agnes Strack-Zimmermann (wohl wegen ihrer Kandidatur ins EU-Parlament auf Aufmerksamkeitsentzug), dann Sigmar Gabriel (auch lange nicht gesehen), Amira Mohamed Ali (hab ich auch nicht vermisst) und Carlo Masala (ebenfalls Aufmerksamkeitsentzug).
Ob der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze schon mal da war, weiß ich nicht, der könnte tatsächlich neu sein. Vielleicht spielt mir meine Erinnerung aber auch nur einen Streich. Ich habe bei der zwanzigsten Illner-Sendung zur Ukraine aufgehört zu zählen und das dürfte inzwischen schon ein Jahr her sein – inzwischen fühle ich mich wie in einem Déjà-vu in einem Déjà-vu in einem Déjà-vu … Eigentlich kann ich nicht mal wirklich sicherstellen, ob ich da gestern nicht eine Wiederholung angeschaut habe. Jedenfalls war mir schwindelig und ich glaube, ich hatte einen Tinnitus in den Augen, denn ich habe nur Pfeifen gesehen.
Auch Carlo Masala hat keine rosigen Aussichten zu bieten: „Die Russen haben monatelang Zeit, ihre Verteidigungsstellungen auszubauen. Das wird kein Durchmarsch. Das werden langwierige, blutige Schlachten.“ Die Linken-Vertreterin Amira Mohamed Ali sagt dazu: „Der Angriff der Milizen auf das russische Gebiet muss völkerrechtlich geprüft werden.“ Für sie geht dieser Vorstoß über Selbstverteidigung hinaus. Damit wäre dann auch schon das Update zur aktuellen Situation besprochen.
Den Rest der Sendung wurde über genau den gleichen Zeitpunkt gesprochen wie in jeder Sendung bisher: die Zukunft. Wie wird der Krieg enden, wer wird gewinnen, wer sollte gewinnen, und so weiter. Dabei wurden dann auch wieder die gleichen Fronten abgesteckt. Marie-Agnes Strack-Zimmermann war mit den üblichen Phrasen am Start: Die Ukraine kämpft für unsere Freiheit, die Ukraine kämpft für unsere Werte, die Ukraine kämpft für unsere Demokratie. Während dessen hatte Amira Mohamed Ali natürlich auch die üblichen Phrasen aus ihrem Lager im Gepäck, so zum Beispiel: „Wir müssen Wege finden, an den Verhandlungstisch zu kommen.“ Die eine Seite will den Krieg schnell beenden, indem man irgendwie genug Waffen liefert – wobei man nicht weiß, was dieses „genug“ ist –, während die andere Seite den Krieg schnell beenden will, indem man irgendwie zu Verhandlungen kommt – wobei man nicht weiß, wie es zu solchen Verhandlungen kommen sollte.
Besonders diese beiden Frauen waren der Fokus der Sendung. Die Dame der Linken unweigerlich, da sie die einzige Vertreterin der Opposition war, Marie-Agnes Strack-Zimmermann weil – naja, Sie kennen sie ja. Als die FDPlerin ihrer Gegnerin vorwirft, nicht genug über die Ukraine zu wissen, kontert die unerwartet: Man könne ja auch nicht einmal durch’s Land reisen, wie Strack-Zimmermann es getan hat, und dann behaupten, man würde ein Land kennen. Als sich die Linke gegen Energiesanktionen ausspricht, die mehr auf Deutschland wirken als auf Russland, antwortet Marie-Agnes: „Die Auswirkungen der Sanktionen sind der Preis, den wir zahlen, für unsere Sicherheit und, um ein Signal nach Russland zu senden, dass wir diese Form des Imperialismus unter keinen Umständen akzeptieren können.“
Dass aus dieser Sendung eine Linke – ja, eine Linke, Mitglied der umbenannten Mauerpartei – als sympathischer hervorgeht, nur weil Strack-Zimmermann sich aufführt, als wäre sie von Putin bezahlt worden, um die pro-ukrainische Seite lächerlich und unsympathisch zu machen, muss da keinen wundern. Bevor man sich also über ein paar Trolle auf Twitter aufregt, sollte man sich vielleicht fragen, weshalb man dazu beiträgt, dass die so ein leichtes Spiel haben.
In der letzten Sendung konnte man auf jeden Fall mal wieder Selbstüberschätzung in Aktion sehen. Denn obwohl wir es mit einem Thema zu tun haben, das seit über einem Jahr auf der ganzen Welt diskutiert wird, waren die Herrschaften in der Runde tatsächlich und ganz selbstverständlich der Ansicht, dass sie noch etwas ganz Neues und Weltbewegendes zu sagen haben. Man hat teilweise das Gefühl, sie sind der Ansicht, dass Selenskyj – oder Putin, je nachdem – die Sendung eingeschaltet hat, um sich anzuhören, was sie zu sagen haben. Hätten sie das mal gemacht, dann wäre der Krieg wohl morgen bereits vorbei!
Die Damen und Herren im Fernseher hatten wirklich großartige Vorschläge. Man könnte sagen, sie kommen ein paar hundert Jahre zu spät, denn mit diesen Weisheiten hätte Napoleon die Schlacht von Waterloo gewiss gewonnen. Wobei man sich immer nur sicher über das ‚was‘ ist: Was sollte jetzt passieren? Wie dieses ‚Was’ erreicht werden soll, weiß niemand. Und seltsamer Weise weiß man das auch immer noch nicht, obwohl Illner für diese Diskussion bestimmt schon an die hundert Stunden Sendezeit aufgewandt hat. Albert Einstein soll so doch Wahnsinn definiert haben: Wenn man immer wieder das Gleiche tut und dabei ein anderes Ergebnis erwartet – Illner und ihre Redaktion haben den Test nicht bestanden.